Einbürgerungsreform
Kürzerer Aufenthaltsdauer, weniger Sprachkenntnisse, mehr Doppelpass
Die Bundesregierung will die Einbürgerung reformieren: Verkürzung der Aufenthaltsdauer, Reduzierung der Sprachanforderungen, Hinnahme von mehrere Staatsbürgerschaften. Kritik kommt von den Unionsparteien. SPD mahnt, nicht wieder in das Jahr 1998 zurückzufallen.
Sonntag, 27.11.2022, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 27.11.2022, 16:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Pläne der Bundesregierung, das Einbürgerungsrecht zu reformieren, werden unterschiedlich bewertet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in seiner wöchentlichen Videobotschaft „Kanzler kompakt“, dass Deutschland bessere Regeln für die Einwanderung brauche. Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland begrüßt die Pläne. Kritik kommt dagegen von der Union. Am Freitag wurde bekannt, dass das Bundesinnenministerium die im Koalitionsvertrag vereinbarten Erleichterungen bei Einbürgerungen auf den Weg bringt.
Bundeskanzler Scholz sagte in seiner Videobotschaft, dass Deutschland seit Jahrzehnten für viele Menschen ein Land der Hoffnung sei: „Frauen und Männer, die nach Deutschland eingewandert sind, haben viel dazu beigetragen, dass die Wirtschaft so stark ist.“
Faeser verteidigt Reformpläne
Kritik an den Reformplänen formulierte dagegen die Union. Der Landesgruppenvorsitzende der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt, sprach im Boulevardblatt „Bild“ am Samstag in Berlin von einem „Verramschen“ der deutschen Staatsbürgerschaft. Dies fördere nicht die Integration, „sondern bezweckt geradezu das Gegenteil und wird zusätzliche Pulleffekte bei der illegalen Migration auslösen.“ Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Innenexperte Stefan Heck ergänzte in dem Blatt, dass die inflationäre Vergabe deutscher Pässe „enormen sozialen Sprengstoff“ berge. Dobrindt und Heck forderten Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf, die Pläne zu stoppen.
Faeser jedoch hat ihre Pläne gegen Kritik verteidigt. Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts mache die Bundesregierung die Einbürgerung einfacher und passe das Recht an die Lebenswirklichkeit vieler Menschen an, schrieb Faeser in einem Gastbeitrag im Berliner „Tagesspiegel“. Faeser verteidigte auch die Abkehr von dem Grundsatz, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Faeser führte aus, dass die bisherige Praxis die Einbürgerung von vielen Menschen verhindere, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebten und hier zu Hause seien. Zugleich warnte sie in der Diskussion vor Ressentiments. Es habe viele Menschen „tief verletzt“, dass die Debatten in der Vergangenheit häufig von „Stimmungsmache“ geprägt gewesen seien. Das werde einem modernen Einwanderungsland nicht gerecht.
Demir: Nicht zurückfallen ins Jahr 1998
Auch SPD-Bundestagsabgeordneter Hakan Demir erinnerte im Kurznachrichtendienst Twitter auf die von initiierte Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber Kampagne von CDU und CSU im Jahr 1998. Sie stand unter dem Motto „Ja zu Integration – Nein zu doppelter Staatsangehörigkeit“, artete aber zu einer Unterschriftenkampagne gegen Türken und Ausländer aus. „Wir dürfen nicht auf das Niveau der Unterschriftenkampagne vor mehr als 20 Jahren zurück, als es hieß. ‚Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben?‘“, schreibt Demir im Twitter.
Es sei ein Anliegen der Koalition, das Staatsangehörigkeitsrecht für die heutige vielfältige Einwanderungsgesellschaft zu modernisieren, sagte der Sprecher von Faeser am Freitag in Berlin. Laut dem Gesetzesentwurf für eine Reform des deutschen Staatsbürgerrechts sollen die Aufenthaltsdauer in Deutschland bis zur Möglichkeit der Einbürgerung verkürzt, Sprachanforderungen für bestimmte Gruppen reduziert und künftig hingenommen werden, wenn Menschen mehrere Staatsbürgerschaften haben. Wie ein Sprecher am Freitag in Berlin sagte, wird in Kürze ein entsprechender Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung gehen.
Antidiskriminierungsbeauftragte begrüßt Reformvorhaben
Die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman, würdigte hingegen das Vorhaben einer Reform: „Hürden abzubauen ist kein Ramschangebot, sondern ein Angebot zu Teilhabe und ein wichtiger Demokratiebooster in einem modernen Rechtsstaat“, erklärte Ataman am Sonntag in Berlin. „Bisher klafft leider eine große Lücke zwischen Wohnbevölkerung und Wahlberechtigten: Millionen Menschen leben seit Jahren in Deutschland und sind von politischer Teilhabe ausgeschlossen.“ Diese Lücke zu schließen, müsse Anliegen jedes demokratischen Gemeinwesens sein.
Auch der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat begrüßte die Eckpunkte der Reform – jedoch mit Vorbehalt. „Entscheidend für den Erfolg dieser Reform wird auch die Schaffung von nötigen Rahmenbedingungen sein“, teilte der Vorsitzende Memet Kılıç am Sonntag in Berlin mit. Um Einbürgerung tatsächlich zu erleichtern, brauche es mehr als rechtliche Schritte. „Menschen ist nicht geholfen, wenn sie rechtlich nach kürzerer Zeit eingebürgert werden können, das Verfahren jedoch wegen Personalknappheit Jahre dauert. Das ist vielerorts gegenwärtig leider der Fall.“ Nötig sei deshalb ein Personalausbau in den Einbürgerungsbehörden. Der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI) ist der Bundesverband der kommunalen Integrations- und Ausländerbeiräte.
Türkische Gemeinde begrüßt Reform
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoğlu, äußerte sich positiv über die von der Bundesregierung geplante Reform. Das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht entspräche nicht mehr der Realität unserer Tage, sagte Sofuoglu dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ in Berlin. Außerdem gehe es darum, eine gewisse Gleichstellung zu erreichen und damit mehr Menschen politische Partizipation zu ermöglichen.
Auch der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, äußerte sich positiv zum aktuellen Reformvorhaben: „Wer zum Arbeiten nach Deutschland kommt, muss auch eine Chance auf dauerhafte Integration in unsere Gesellschaft haben“, sagte er der Zeitung. Deutschland stehe in einem internationalen Wettbewerb um Arbeitskräfte. „Wenn wir da mithalten wollen, müssen wir runter von unserem hohen Ross und Steine aus dem Weg räumen.“ (epd/mig) Leitartikel Politik
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