„Irrsinniger Rassismus“
Hunderte gedenken in Hanau der Opfer des rassistischen Anschlags
Am Sonntag wurde der Toten des rassistischen Anschlags in Hanau gedacht. Auch drei Jahre nach der Tat bleiben Fassungslosigkeit, Trauer und Abscheu. Die Antidiskriminierungsbeauftragte attestiert Deutschland weiterhin ein „Rassismus-Problem“.
Sonntag, 19.02.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.02.2023, 9:14 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
In Hanau ist am Sonntag der Opfer des rassistischen Terroranschlags vor drei Jahren gedacht worden. Am Mittag kamen auf dem Marktplatz rund 500 Vertreter aus Politik, Bürgerschaft und Religionsgemeinschaften zu einer Gedenkstunde zusammen. An ihr nahmen neben Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auch die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sowie Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) teil.
Der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD), der außer Angehörigen der Opfer als einziger eine Ansprache hielt, rief bei der Gedenkveranstaltung dazu auf, sich gegen Hass, Rassismus und Hetze zu wehren und für eine kämpferische Demokratie einzutreten. Er nannte die Namen der Opfer. Der Täter habe sich das Recht angemaßt, über Leben und Tod anderer zu entscheiden. „Welch ein irrsinniger Rassismus“, rief der Oberbürgermeister aus. „Deshalb sagen wir allen Rassisten, allen Antidemokraten, ja allen, die mit ihren Parolen unser Land vergiften: Wir sind mehr! Und wir sind stärker als euer Hass!“
Kaminsky verwahrte sich auch gegen Stimmen, die ein Ende des Gedenkens forderten. Der 19. Februar müsse neben der Erinnerung an die Ermordeten „ein dauerhafter Tag der Reflexion, der Prüfung, der Selbstvergewisserung“ sein. Zudem müsse weiter an der Aufdeckung der Tathintergründe gearbeitet werden, forderte das Stadtoberhaupt.
Demonstration gegen Rassismus
Nach dem Gedenkakt auf dem Hanauer Marktplatz kamen die Teilnehmenden am Sonntag auf dem Hauptfriedhof zusammen. Dort wurde für jedes der Opfer ein Blumengesteck niedergelegt, ebenso auf den anderen Friedhöfen im In- und Ausland, auf denen die Opfer beerdigt sind. Am Nachmittag und Abend sollten in Hanau eine Demonstration gegen Rassismus und weitere Gedenkveranstaltungen stattfinden.
Hessens Ministerpräsident Rhein und sein Stellvertreter, Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne), erklärten in Wiesbaden, dass es für die „grausamen, unfassbaren“ Morde niemals ein Vergessen geben könne. „Wir müssen alles in unserer Macht Stehende dafür tun, damit sich so eine furchtbare Tat nicht wiederholt“, so Rhein und Al-Wazir.
Faeser: Rechtsextremismus weiterhin die größte Bedrohung
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erinnerte an die Toten. „Wir können den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nur stärken, indem wir die Erinnerung an die Opfer sichtbar machen“ schrieb Scholz auf Twitter. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wies am Freitag auf die anhaltende Gefahr von rechts hin. „Der Rechtsextremismus ist weiterhin die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie“, erklärte Faeser in Berlin. Menschen erlebten täglich rechtsextreme Hetze und Gewalt, Anfeindungen und Ausgrenzung. In vielen dunklen Ecken des Netzes werde weiter ein Klima der Menschenverachtung geschürt. „Deshalb hat die Bekämpfung des Rechtsextremismus für uns als Bundesregierung und für die Sicherheitsbehörden weiterhin besondere Priorität“, sagte Faeser.
Bereits am Samstag hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) notwendige Lehren für den Rechtsstaat angemahnt. Dass Menschen „aufgrund ihrer Herkunftsgeschichte in unserem Land fürchten müssen, Opfer von Gewalttaten zu werden, dürfen wir nicht dulden“, sagte Buschmann am Samstag in Berlin. Er betonte, der Anschlag in Hanau bleibe eine Wunde, die nicht verheilt. Drei Jahre nach „diesem Akt des Terrors bleiben Fassungslosigkeit, Trauer, Abscheu und die Frage: Warum war der Staat nicht in der Lage, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen?“ Der Rechtsstaat und seine Vertreter müssten „ihre Lehren aus diesem Anschlag und aus ihrem eigenen Versagen ziehen“.
Antidiskriminierungsbeauftragte attestiert Deutschland ein „Rassismus-Problem“
Die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman, attestierte Deutschland weiterhin ein „Rassismus-Problem“. Das zeige sich etwa, „wenn Bundespolitiker abfällig über muslimische Jugendliche als ‚kleine Paschas‘ reden“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Viele von Rassismus betroffene Menschen, erlebten gerade, dass „Diskriminierung als ‚woke‘ oder ‚Identitätspolitik‘ verharmlost“ und als „belangloses Interesse von Minderheiten abgetan“ werde.
Ataman rief dazu auf, Maßnahmen im Kampf gegen Rechtsextremismus konsequenter umzusetzen als bisher. Ein Kabinettsbeschluss mit Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus Ende 2020 sei „politisch eine Zäsur“ gewesen. „Umso mehr ist es enttäuschend, dass die Bundesregierung ihre Ankündigungen bis heute nicht umgesetzt hat.“ Etwa sei der umstrittene Begriff „Rasse“ in Artikel 3 des Grundgesetzes trotz entsprechender Ankündigungen der Bundesregierung noch nicht geändert worden.
Opferbeauftragter: Aufklärung des Anschlags wichtig für Betroffene
Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Pascal Kober (FDP), erklärte derweil, die genaue Aufklärung der Umstände des Anschlags von Hanau, „auch über das strafrechtlich Notwendige hinaus“, sei für viele Betroffene von großer Bedeutung, um ihre Trauer verarbeiten zu können.
Am 19. Februar 2020 hatte ein 43-jähriger Deutscher in Hanau neun Menschen mit Einwanderungsgeschichte erschossen und weitere Menschen verletzt. Anschließend erschoss er seine Mutter und nahm sich selbst das Leben. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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