Nebenan
Nebenan – Slutframing
Wir sollten mal wieder über Framing reden: über Fluten und Rassistenströme, über private und öffentlich-rechtliche Medien - im In- und Ausland. Einfach so.
Von Sven Bensmann Montag, 20.03.2023, 13:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.03.2023, 7:59 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Was Framing überhaupt ist, muss ich meinen Lesern wohl nicht mehr erklären: Eine Wortwahl, die dem Rezipienten eine spezifische Reaktion diktiert, statt diesem selbst ein eigenes Urteil zu erlauben; das Stupsen in eine ideologische Richtung, die der Leser oder Hörer vielleicht gar nicht bemerkt.
Durchexerziert wurde dieses ja prominent im Zusammenhang mit der Diskussion über das Menschenrecht auf Asyl und die moralische Verantwortung des reichen Deutschlands, die Opfer seiner eigenen „Entwicklungspolitik“, seiner eigenen Kriege und seiner eigenen Waffenexporte – aber natürlich auch der seiner Verbündeten – bei sich Schutz vor Verfolgung, Folter, Hunger und Tod zu gewähren.
Wer die Verantwortung für Menschenleben von sich weisen will, kann natürlich nicht so argumentieren – weil sofort der vollständige moralische Bankrott dieser Leute offenbar würde. Also sprechen die Höckes, die Söder und die Lindner, die „Ich bin ja kein Rassist, aber“-er besser gar nicht von Menschen, nutzen lieber Vokabeln aus dem Bereich von Naturkatastrophen, von „Fluten“, von „Strömen“, bezeichnen den Luxusliner Deutschland, auf den sie sonst so stolz sind, lieber als kleines Bötchen, dass den Wassermassen schutzlos ausgeliefert sei. Schließlich sind das Metaphern, die jeder versteht und bei denen sich jeder ein bisschen gruseln kann. Und dann fluten diese Rassistenströme den öffentlichen Diskurs mit einem Tsunami aus Bullshit, der doch hoffentlich Onkel Ottmar und Tante Liesel Angst davor machen möge, dass Opa Mehmet mit seinem Schlauchboot nach Griechenland segeln könnte – und zwar allein mit dem Ziel, Deutschland kaputtzumachen. Wenn Opa Mehmet nämlich kein Mensch, sondern eine Naturgewalt ist, dann hilft nur eines: Eindeichen. Das ist ja keine Frage von Moral mehr. Aber mal ernsthaft: Dafür geht doch niemand los. Nicht aus dem Sudan, nicht aus Syrien und auch nicht aus Mali.
Framing gibt es aber auch natürlich überall sonst. So kam mir die letzte Woche eine Schlagzeile unter, die in etwa „Ex-Tagesschau-Sprecherin ließ sich von Bundeskanzleramt für Interview bezahlen“ lautete. Gemeint ist der Fall einer Journalistin, die, lange nachdem sie die ARD in Richtung Pro7 verlassen hatte, Geld dafür bekommen haben soll, dass sie auf einer öffentlichen Veranstaltung den Kanzler interviewte – ein Interview, dass durch einen eher unkritischen Stil aufgefallen war und bei dem offenbar unter den Tisch fallen sollte, dass Geld aus dem Kanzleramt geflossen ist.
„Tag für Tag, Schlagzeile für Schlagzeile soll so das Vertrauen in einen von finanziellen Interessen weitgehend unabhängigen Rundfunk erodiert werden, bis die Horden retardierter RTL2-Gucker auf die Straße marschieren und „Lügenpresse“ in die Gassen brüllen.“
Der neue Arbeitgeber einer Journalistin, Pro7, hatte damit übrigens kein Problem. Das könnte man an dieser Stelle durchaus kritisch hinterfragen. Aber dies ist ja keine Medienkolumne, und hier sollte es ja um Framing gehen.
Worin besteht nun also das fragwürdige Framing? Nun: Eine Journalistin in einer kompromittierenden Situation völlig unnötig mit der ARD in Verbindung zu bringen, dient der privaten Presse einzig und allein dazu, ein Narrativ zu füttern, dass die ARD – und der öffentliche Rundfunk insgesamt – an allen Ecken und Enden korrupt sei und eine zu große Nähe zur Politik habe. Und nur der. Die privaten Medien, für die Journalistin zur fraglichen Zeit gearbeitet hat, aber nicht. Schließlich wird sie ja als Ex-Tagesschau-Sprecherin identifiziert, nicht als Pro7-Journalistin oder -Moderatorin oder was auch immer die da jetzt – dem Vernehmen nach wohl ohne größeres Publikum – macht.
Tag für Tag, Schlagzeile für Schlagzeile soll so das Vertrauen in einen von finanziellen Interessen (und damit von der privaten Industrie, von Sponsoren und Werbetreibenden) weitgehend unabhängigen Rundfunk erodiert werden, bis die Horden retardierter RTL2-Gucker auf die Straße marschieren und „Lügenpresse“ in die Gassen brüllen. Ohne den öffentlichen Rundfunk wäre schließlich alles viel gemütlicher: Keine an der europäischen Küste angespülten Körper ersoffener Kinder mehr, weil das schließlich kein positives Werbeumfeld ist, keine sachlichen Politdiskussionen mehr (so selten die auch sind), sondern hier und da maximale Polarisation, weil das den Zuschauer vor dem Bildschirm hält und ansonsten seichtes Gute-Laune-Fernsehen a la „Dicker Mann ist Deutschlands größten Tierkadaver“, „Dicke Leute müssen abnehmen“ und „Eltern verheiraten ihre Kinder“. Wer sich durch Spots und Anzeigen von der deutschen Autoindustrie finanzieren muss, wird schließlich eher nicht über Abgasskandale berichten wollen. Oder über Lebensmittelhersteller, die schließlich ganze Werbeinseln für ihre Ware kaufen. Wes‘ Fertigprodukt ich ess‘, des Lied ich sing.
Wer sehen will, was es bedeutet, wenn ein Staat über keinen unabhängigen Rundfunk verfügt, sollte sich die USA oder das UK anschauen. Während in den USA Nachrichten (außerhalb der hochpolarisierten Nachrichtensender) immer gleich „Action News“ sein müssen, weil auch die Einschaltquoten der Newssendungen stimmen müssen, hat sich die BBC in ihrer Abhängigkeit von der konservativ-englischen Staatstitte in eine Pseudoneutralität verkrochen, in der sie sich von rechten Politikern und der noch rechteren Murdoch-Presse treiben lässt, Menschen zu suspendieren, weil die dummerweise noch unabhängig genug sind, beim Namen zu nennen, was im Lande schief läuft. Weil die BBC nämlich vielleicht längst Geschichte wäre, wenn sie im Vorfeld des Brexits nicht Bullshit-Argumenten denselben Raum eingeräumt hätte, wie all den Experten, die vor ebendiesem Brexit warnten, traut sie sich auch heute nicht, politische Positionen zu vertreten, selbst dann nicht, wenn Politiker im Land eine Sprache nutzen, die Deutschlands in den 1930er Jahren nicht unähnlich ist.
„Der Rundfunk in Deutschland hat viele Probleme. Sehr viele. Dass in den angesprochenen Rundfunkräten sehr viel mehr Bauernvertreter als Vertreter von Migranten sitzen zum Beispiel.“
Dagegen sind ein paar zu viele Parteimitglieder in den Rundfunkräten – wie hier in Deutschland – das geringste Problem. Denn der Rundfunk in Deutschland hat viele Probleme. Sehr viele. Dass in den angesprochenen Rundfunkräten sehr viel mehr Bauernvertreter als Vertreter von Migranten sitzen zum Beispiel; dass ein überbezahlter, rückgratloser Intendant vor dem rechten Mob buckelt, ein anderes. Und: dass Deutschland einen unabhängigen, starken öffentlichen Rundfunk hat, als Gegengewicht zu den privaten Medien, die allein der werbetreibenden Industrie und den politischen Launen ihrer Eigentümer verpflichtet sind, ist keines dieser Probleme.
Gerade jetzt, wo die Framing-Diskussion wieder aus vielen Köpfen verschwunden ist, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, wie leicht es sein kann, Meinung zu manipulieren. Und sei es durch Weglassen. Meinung
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