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Lukas Geisler, Migazin, Flucht, Flüchtling, Rassismus, Menschenrechte
Lukas Geisler © privat, Zeichnung: MiGAZIN

Grenzräume

Rassistische Wissenschaft an der Goethe-Universität?

Die deutsche Wissenschaft hat eine rassistische Vergangenheit. Deshalb ist sie besonders verpflichtet und gefordert. Gefährlich ist daher, was die Frankfurter Goethe-Universität seit Jahren zulässt.

Von Sonntag, 16.04.2023, 13:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 16.04.2023, 11:23 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

An der Goethe-Universität sind Boris Palmer und Ahmad Mansour zu einer Konferenz über Migrationspolitik geladen. Das „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“ veranstaltet die Konferenz unter dem Titel „Migration steuern, Pluralität gestalten“. Auf der Website des Forschungsinstituts steht, dass die „zunehmende Diversität“ genauso „positive Effekte“ wie „Herausforderungen“ mit sich bringe. Dies soll „wissenschaftlich und politisch kontrovers diskutiert“ werden. Politisch kontrovers ist die Konferenz auf jeden Fall, die Wissenschaftlichkeit darf bezweifelt werden. Unter anderem ist Boris Palmer, der regelmäßig mit rassistischen Äußerungen in der Öffentlichkeit auffällt, ein geladener Gast.

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Der baden-württembergische Grünen-Landesvorstand äußerte sich damals folgendermaßen: „Boris Palmer hat die Grenzen dessen überschritten, was wir als Partei aushalten müssen“. Auf einem Landesparteitag Anfang Mai 2021 hatten die Grünen beschlossen, ein Ausschlussverfahren gegen den wegen seiner Provokationen umstrittenen Tübinger Rathauschef einzuleiten. Im April 2022 einigte man sich mit Palmer darauf, dass er seine Mitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lässt.

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Nicht nur Palmer

Genau der gleiche Boris Palmer soll nun bei einer wissenschaftlichen Konferenz über Migrationspolitik auf einem Panel sitzen? Ja, und nicht nur er. Beispielsweise spricht auf dem ersten Panel die Lehrerin Birgit Ebel, die eine Facebookseite mit dem Namen „extremdagegen!“ betreibt. Die Facebook-Seite teilt unter anderem verschwörungsideologische Artikel sowie Statements von sich, in denen sich migrantisierte Jugendliche direkt mit Islamismus und Terrorgefahr assoziiert werden, und teilt islamophobe Blog-Artikel. Auch gegen ein „durchgedrehtes ‚wokes‘ Weltbild“ wird gehetzt.

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Mehrfach greift die Betreiberin der Facebook-Seite, Birgit Ebel, in ihren Posts auf, was in ähnlicher Weise auch rechte und verschwörungsideologische Blogs verbreiten. Sie prangert beispielsweise den vermeintlichen Mord an einer Lehrerin an. Eine verschwörungsideologische und eine vom Verfassungsschutz als rechtsextreme beobachtete Seite, die den Namen „Pi News“ trägt, schreibt dazu: „Immer noch halten aber alle Mainstream-Medien die Ethnie des Mörders geheim – nur die Bild-Zeitung nennt den Namen des Messerstechers: […]. Der Name ist arabischer Herkunft, der vor allem unter Albanern und Türken häufig ist.“ Auch Birgit Ebel nennt den Namen des vermeintlichen Straftäters.

„Rechts ist übrigens nichts Verwerfliches“

Weiter geht es bei der geplanten Konferenz an der Goethe-Universität am Nachmittag mit einem Panel mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Manuel Ostermann, der zum Thema „Deutschland im Krisenmodus – Zwischen humanitärer Verantwortung und Sicherheitsrisiken“ sprechen soll. Manuel Ostermann fiel in den letzten Jahren mehrfach auf Twitter durch problematische Äußerung auf. Bei einer Diskussion auf der Social-Media-Plattform schrieb der Bundespolizist beispielsweise den bedenklichen Kommentar: „Rechts ist übrigens nichts Verwerfliches“.

Mit ihm auf dem Podium sitzt der Autor Ahmad Mansour. Die taz schrieb über ihn und ähnliche Personen des öffentlichen Lebens: „Rechte rekrutieren gern Verbündete, die selbst Migrationshintergrund haben. Damit versuchen sie, Stereotype zu untermauern.“ Auch NPD und AfD greifen Videos und Aussagen von Ahmad Mansour und ähnlichen „Islamkritikern“ gerne auf: „So teilte beispielsweise die rechtsextreme NPD mehrfach ein Video mit dem Untertitel: ‚Was Deutsche sich nicht zu sagen trauen‘. Darin erklärt der deutsch-ägyptische Politologe und ‚Islamkritiker‘ Hamad Abdel-Samad die ‚Wahrheit über den Islam‘.“, schreibt die taz. Wie die Diskussion des Panels aussehen wird, scheint zementiert zu sein.

Rassistische Wissenschaft?

Leider geht die Konferenz noch weiter. Auf dem Abendpanel darf dann endlich Boris Palmer ran, der voraussichtlich seine rassistischen Thesen verbreiten wird. Mit ihm auf dem Podium sitzt der Völkerrechtsprofessor Daniel Thym, der 2021 in der „FAZ“ Push-Backs unter Umständen als rechtlich legitim bezeichnet hat. Später legte er seine Perspektive auch nochmal auf dem „Verfassungsblog“ dar. Damit ist zu den beiden eigentlich alles gesagt.

Heraus kommt bei all dem eine sogenannte wissenschaftliche Konferenz über Migration, die Skandalpotential hat. Gerade für eine Universität, wie die Goethe-Universität, die sich in ihrem Leitbild damit brüstet, sich „gegen Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus“ zu wenden. Es ist leider nicht die erste Konferenz, die dieses sogenannte Forschungsinstitut mit ähnlichem Drehbuch veranstaltet.

Auf einer Konferenz im Mai 2019 unter dem Titel „Das islamische Kopftuch. Symbol der Würde oder der Unterdrückung“ lud man sich in Frankfurt Alice Schwarzer ein, die einen Vortrag namens „Von Teheran bis Neukölln. Der Siegeszug des politisierten Islams, nicht zuletzt dank einer falschen Toleranz“ 45 Minuten lang halten durfte. Andere Veranstaltungen trugen den Titel „Zwischen Grundgesetz und Scharia“, „Burka und Kalaschnikow“ oder „Entstehung von islamistischem Terrorismus – Die Rolle rechtsfreier Räume und Parallelgesellschaften“.

Oft wird bei Konferenzen des Forschungsinstituts Globaler Islam ein Fragezeichen hinter die Veranstaltungstitel gesetzt. Man will signalisieren, dass man ‚kritisch‘ und ‚unbequem‘ diskutiere. Ein Gast der Konferenz zu Afghanistan im Jahr 2021 fällte pauschal folgendes Urteil über Afghan:innen: „Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ist bei den Afghanen nicht vorhanden, sie sind extrem verantwortungslose Leute.“

Ist das Wissenschaft oder kann das weg?

Es tut mir leid, dass ich das fragen muss, aber: Ist das Wissenschaft oder kann das weg? Ein Fragezeichen hinter eine These zu setzen, das habe ich bei der Recherche auf der Website des Forschungszentrums gelernt, ist an einigen Stellen gut (Vorsicht: Ironie), damit man sich nicht zu angreifbar macht.

Hinter all dem steht eine Frau: Susanne Schröter. Sie ist Professorin am Institut für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, im November 2014 gründete sie das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) und ist seitdem Direktorin der Einrichtung. Dabei ist das FFGI mitnichten isoliert, wie man bei solchen „kontroversen“ Konferenzen eigentlich annehmen könnte. Namhafte Frankfurter Sozialwissenschaftler:innen, wie Rainer Forst, treten bei Veranstaltungen von ihrem Forschungszentrum und mit ihr auf.

Schröter und mir ihr das FFGI sind Teil des renommierten Forschungsverbands „Normative Orders“ der Goethe-Universität, das einen ganzen Gebäudekomplex sein Eigen nennt. Beim Forschungsverbands ist Schröter sogenannte „Principal Investigator“ und sogar Mitglied des Direktoriums.

Die Eingangsfrage, ob Wissenschaft rassistisch sein kann, darf und muss erlaubt sein. Gerade auch angesichts der rassistischen Vergangenheit der deutschen Wissenschaft, besonders zu Zeiten des NS, ist das, was hier passiert, problematisch. Schon vor der Machtergreifung der NSDAP gab es starke Verstrickungen zwischen Wissenschaft und Nazismus. Damals instrumentalisierte man die Wissenschaft. Sie war ein nützliches Instrument der NS-Kriegsführung und die sogenannte „Rassenlehre“ wurde an Universitäten gelehrt. Heute gibt es wieder eine rechtsextreme Partei im Bundestag. Wissenschaftler:innen tragen also eine besondere Verantwortung im post-nationalsozialistischen Deutschland.

Kritik an Schröter nicht neu

Dabei ist die Kritik an der Professorin, die diese Konferenzen veranstaltet, nicht neu. Seit Jahren protestieren Studierende gegen die Professorin, die – so die Kritik – antimuslimischen Rassismus salonfähig macht. Auch im MiGAZIN wurde darüber berichtet. Damals sagte eine Aktivistin: „Diese Konferenzen waren auffallend einseitig mit islamfeindlichen Referenten besetzt.“ Die Referent:innen „geben dieser Hetze sogar einen ‚feministischen‘ oder ‚emanzipatorischen‘ Anschein“, aber „normalisieren antimuslimische Stimmungsmache“. Sie holen damit antimuslimischen Rassismus aus der „AfD-Schmuddelecke heraus“. Das mache die Konferenzen so gefährlich.

Eine ähnliche mahnende Zeitdiagnose brachte der jüdische Publizist, Max Czollek, in seinem Essayband „Desintegriert Euch!“, das 2018 erschien, eindrücklich zu Papier: „Beim nächsten Mal brennen vielleicht zuerst die Moscheen. Aber dann brennen auch wieder die Synagogen. Ich mache mir da keine Illusionen.“ Die Sentenz verpflichtet uns alle, aber vielleicht einige Personengruppen, wie Wissenschaftler:innen, besonders. Denn sie gelten als „neutral“ oder „objektiv“, gestalten die Wissensproduktion und -vermittlung und sind gesellschaftlich hoch angesehen. Gerade dies kann Personen, wie Susanne Schröter, – darauf weist die Aktivistin zurecht hin – so gefährlich machen.

Susanne Schröter war zu diesem Zeitpunkt zu keiner Stellungnahme bereit. Das Präsidium der Goethe-Universität ist bisher ebenfalls nicht tätig geworden. Auch wenn die Konferenzen des FFGI im Sinne der Meinungsfreiheit vom Grundgesetz gedeckt sein mögen, regen sich doch im Hinblick auf die Wissenschaftlichkeit der Konferenz ernste Zweifel. Allein dies sollte der Grund sein, darüber nachzudenken, ob eine solche Veranstaltung an einer Universität im post-nationalsozialistischen Deutschland stattfinden sollte. Meinung

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  1. Peter H sagt:

    Sorry, das ist alles viel zu pauschal, undifferenziert, unterkomplex und mit viel zu vielen Kampfbegriffen und Labeling gespickt, als dass man das Ernst nehmen könnte … Palmer hat mal recht, mal hat er nicht recht. Dass deutsche Kommunen mit der Einwanderung überfordert sind, das sollten die Zuwächse der AFD als Korrelat beweisen. Ihn aber generell in eine „rechte Ecke“ zu stellen … wie gesagt, dass ist viel zu pauschal, undifferenziert, unterkomplex und mit viel zu vielen Kampfbegriffen und Labeling gespickt.

  2. Jochen Z. sagt:

    Nochmal um das zu verstehen: Es diskutieren ein sehr populärer Bürgermeister, eine Lehrerin mit einer sehr erfolgreichen Facebookseite, ein Völkerrechtsprofessor, ein hoher Gewerkschaftsfunktionär und ein recht bekannter Autor arabisch-palästinensischer Herkunft. Das Problem soll sein, dass sie sich in der Vergangenheit mit einigen Aussagen in linksautoritären Kreisen unbeliebt gemacht haben. Wenn diese Menschen deshalb nicht mehr auf dem Podium diskutieren dürfen, dann sind wir in der Meinungs-DDR angekommen.

  3. Against Asteroid Protection sagt:

    Lieber, geschätzter Lucas Geisler,

    in Erinnerung deiner letzten Beiträge, wünsche ich dir, dass du neue Kraft sammeln konntest.
    Das Thema deines aktuellen Beitrags informierte mich und sicherlich viele Menschen und führte wie in den Kommentaren nachzulesen zur Diskussion.

    Mein Kommentar soll universeller sein.
    Wird mehr Engagement zu mehr Erfolg führen? Mit Bezug auf deinen letzten Beitrag, welcher mich zu Tränen rührte, frage ich ganz ernsthaft ob ein selbstaufopferndes Engagement wirklich zu mehr Erfolg führt, wenn man die Abwehr z.B. auch dieses Beitrags betrachtet?

    Ich schätze sehr deinen Artikel über Kritik. Als Laie glaube ich zu verstehen, dass du Grundlagen erarbeitest, auch indem du bestehende Erkenntnisse überprüfst.

    Verfall nicht der Illusion, dass deine wichtige wissenschaftliche, sowie politische Arbeit zwingend mehr Wirkung durch mehr Engagement entfaltet (welches zum aktivistischen burnout führen könnte).

    Solange demokratische Mehrheiten generiert werden müssen und sollen, folgt die Mehrheit… (nicht unbedingt der Wissenschaft oder ethischen Überlegungen zu einer gleichberechtigten Weltbevölkerung); um es so abzukürzen :(

    Populismen, Begehrlichkeiten, letztlich Macht sind die aktuellen Treiber dieses, unseres Planeten.

    Ist aufopfernder Aktivismus wirklich das richtige Mittel dagegen?
    Ich erinnere deine Aussage, dass Kritik nicht zynisch sein, oder ein einzelnes Leid vergessen darf.
    Aber Kritik darf auch nicht der Gejagte sein.

    Lieber Lucas,
    du stehst nicht allein mit deinen Ansichten, aber allein sind wir mit unserer Frustration.
    Geteiltes 1st-world-Leid verdoppelt sich ;)

    Hochachtungsvoll

    AAP