Dinçer Güçyeter
Preis der Leipziger Buchmesse geht an ehemaligen „Gastarbeiter“
Unter großem Andrang ist in Leipzig die Buchmesse gestartet. In den Hallen war große Freude über das Wiedersehen der Branche zu spüren. Die Trägerinnen und Träger des diesjährigen Buchmesse-Preises wurden ausgezeichnet – darunter Dinçer Güçyeter, der einst als Gastarbeiter nach Deutschland kam.
Von Inga Jahn und Birgit Zimmermann Montag, 01.05.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 01.05.2023, 12:54 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Der Lyriker und Theatermacher Dinçer Güçyeter ist diesjähriger Träger des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik. „Ich hoffe, dass dieser Roman der kommenden Generation den Mut gibt, mit neuen literarischen Formen zu arbeiten und keine Angst zu haben, sich verletzlich zu machen“, sagte der 1979 in Nettetal (NRW) geborene Autor des Romans „Unser Deutschlandmärchen“ am Donnerstag nach der Verleihung des Preises in Leipzig. In seinem Buch erzählt Güçyeter von den Schmerzen, Entbehrungen, Einsamkeiten und Sehnsüchten seiner Eltern, die Ende der 1960er Jahre aus der Westtürkei als Gastarbeiter nach Deutschland kamen.
Die Jury würdigte die poetische Sprache Güçyeters. Zudem stehe seine Familiengeschichte stellvertretend für viele Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, die Rassismus und belastende Arbeitsbedingungen erleben mussten. „Jeder schreibt sein eigenes Märchen, das ist meins“, sagte der Autor, dessen Buch all jene würdigen soll, die „den Blick offen halten und was bewegen wollen“.
Der Preis der Leipziger Buchmesse ist mit insgesamt 60.000 Euro dotiert und wird in drei Kategorien vergeben. In der Kategorie Sachbuch/Essayistik setzte sich Regina Scheer durch. Ihr Buch „Bittere Brunnen“ thematisiert das Leben der jüdischen Kommunistin Hertha Gordon-Walcher. In der Übersetzungs-Sparte gewann Johanna Schwering. Sie übertrug den Coming-of-Age-Roman „Die Cousinen“ von Aurora Venturini aus dem argentinischen Spanisch.
Zweifel nach Corona-Pause ausgeräumt
Schon am Donnerstagvormittag war klar: Die Leipziger Buchmesse hat sich von drei Jahren Zwangspause nicht unterkriegen lassen. Kaum waren die Türen des gläsernen Messegebäudes geöffnet, strömten zahlreiche Buchfans hinein. Endlich konnten sich Aussteller wieder präsentieren, waren Neuheiten zu entdecken und war ein Treffen wieder möglich. Und so wich die Spannung unter Besuchern und Ausstellern der Freude über das Wiedersehen der Branche.
Zuvor schwebte die Frage über der Veranstaltung, ob es die Publikumsmesse schaffe, wieder aufzuleben. Nachdem die Messe 2020 und 2021 wegen der Corona-Pandemie ausgefallen war, hatten sich im vergangenen Jahr große Verlagsgruppen zurückgezogen. Begründet wurde dies mit Corona-Risiken – die Folge war die dritte Absage hintereinander und eine sich anschließende Debatte über die generelle Zukunft der Leipziger Buchmesse.
„Literatur geht an die Grenze“ … und weiter
Den Neustart gestalteten Buchmesse-Direktor Oliver Zille und sein Team mit Altbekanntem und Neuerdachten. Neben Lesungen und Diskussionsrunden trafen Autoren und Besucher auch in der neu eingerichteten Buchbar aufeinander. Unter anderem stellte Autor Florian Havemann dort sein jüngstes Buch „Bankrott“ vor. Insgesamt präsentierten sich den Angaben der Veranstalter zufolge bis Sonntag 2.082 Aussteller aus 40 Ländern.
Als Gastland ist Österreich mit rund 200 Autorinnen und Autoren dabei. In Anwesenheit von Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnete das deutsche Nachbarland seine Präsenz auf der Buchmesse. Zum Auftakt verwies der österreichische Schriftsteller Doron Rabinovici auf die Internationalität von Büchern und der darin verwendeten Sprache. „Literatur geht an die Grenze, doch sie macht davor nicht halt“, sagte Rabinovici. Die österreichische Regierung unterstützt die Präsentation mit 2,2 Millionen Euro.
Gelungener Start nach Pandemie-Pause
„Die Begegnung mit Fans, mit Vertragskollegen, mit Autoren – das hat schon gefehlt“, sagte Patricia Keßler von der Verlagsgruppe Droemer Knaur. Dass so viele Besucherinnen und Besucher gleich am ersten Messetag zu Gast sein würden, hat Sebastian Wolter vom mecklenburgischen Katapult-Verlag nicht erwartet: „Ich habe mit so einem Andrang eigentlich erst am Wochenende gerechnet.“
Auch Ausstellerinnen und Aussteller kleinerer Verlage freuten sich, ihre Neuheiten in diesem Jahr wieder in Leipzig zeigen zu können. „Dass es einen Abgesang auf Bücher geben wird, war klar. Die sich ändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machen es uns allerdings zunehmend schwerer“, sagte Stefan Fassel-Wenz, Inhaber des im hessischen Dreieich ansässigen Wenz Verlags. Hans-Jürgen Beier vom Verlag Beier & Beran freute sich ebenfalls über den gelungenen Start der Messe. Sorge habe er sich darüber gemacht, ob es nach einer so langen Pause zu organisatorischen Pannen kommen wird. Dies sei zum Glück nicht passiert: “Es ist alles gut organisiert.“
Roth: „Ort der Kultur der Demokratie“
Neben den Preisträgerinnen und Preisträgern waren auch andere bekannte Gesichter zur Eröffnung auf die Messe gekommen. So stellte unter anderem Alt-Bundespräsident Joachim Gauck sein neues Buch „Erschütterungen. Was unsere Demokratie von außen und innen bedroht“ vor, das er gemeinsam mit der Publizistin Helga Hirsch geschrieben hat. Darin setzen sie sich sowohl mit außenpolitischen wie auch innenpolitischen Entwicklungen auseinander. „Ich möchte, dass wir in der Mitte der Gesellschaft die Probleme benennen“, sagte Gauck.
Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth sprach am Donnerstag auf der Messe. Diese sei ein „Ort der Kultur der Demokratie“, so die Grünen-Politikerin. In Zeiten von Krieg und Krisen sei die Kultur in einer besonderen Rolle. „Kulturschaffende geben der Demokratie eine Stimme.“ (dpa/mig) Aktuell Feuilleton
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