Fragen und Antworten
NSU-Terroristin will ins Aussteigerprogramm – und zeigt Reue
Es war für viele eine Überraschung: Fünf Jahre nach dem Ende des NSU-Prozesses redete Beate Zschäpe vor dem bayerischen Untersuchungsausschuss. Sie erzählte, wie sich das „Trio“ über Ermittlungsfehler der Polizei amüsierte. Was hat sie noch gesagt - und was nicht?
Mittwoch, 24.05.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 24.05.2023, 11:53 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Es ist wohl der bislang größte Erfolg des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im bayerischen Landtag: Die 2018 zu lebenslanger Haft verurteilte Rechtsterroristin Beate Zschäpe stand den Abgeordneten am Montag stundenlang Rede und Antwort. Grundlegend neu muss die Geschichte der Mordserie an zehn Menschen, die die Republik nachhaltig erschütterte, nicht geschrieben werden. Aber manches Neue hat Zschäpe doch gesagt, über ihre toten Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, und über ihre ganz persönliche Mitschuld.
Warum hat Beate Zschäpe nun so ausführlich ausgesagt?
Das ist schon die erste Neuigkeit gewesen: dass Zschäpe dem Ausschuss überhaupt Rede und Antwort stand. Und dann auch noch so viele Stunden lang. Niemand hätte sie zwingen können, eine Drohung mit Beugehaft wäre sinnlos gewesen. Es war das erste Mal, dass sie sich seit Prozessende äußerte, und das erste Mal überhaupt, dass sie direkt auf Fragen antwortete. Zur Erinnerung: Im Prozess hatte sie sich – abgesehen von zwei kurzen Wortmeldungen – nur schriftlich geäußert. Warum also jetzt? Darüber lässt sich nur mutmaßen. Weil sie nun ohnehin nichts mehr zu verlieren hat? Oder vor allem deshalb, weil sie irgendwann auf Lockerungen im Strafvollzug hofft, wenn sie rechtzeitig eine Portion Reue zeigt? Taktische Reue sozusagen.
Was war das Neue an Beate Zschäpes Aussage?
Nach Angaben ihres Anwalts Mathias Grasel räumte sie eine Mitschuld an der NSU-Mordserie „deutlich intensiver“ ein als im Prozess. „Ich hätte verhindern können, dass aus dem ersten Mord eine Serie wird“, sagte sie demnach. Nämlich wenn sie sich damals der Polizei gestellt hätte. „Ich habe das Leben von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt fälschlicherweise über das Leben der Opfer gestellt.“ Neu auch: Zschäpe bekundete ihr Interesse an einem Aussteigerprogramm, wie ihr Anwalt sagte – darüber berichtete als erstes die „Süddeutsche Zeitung“. Sie habe sich deswegen bereits zweimal an die Leitung der Frauenhaftanstalt Chemnitz gewandt, so die „SZ“. Die Verantwortlichen hätten aber bisher entschieden, dafür sei die Zeit noch nicht reif.
Hat Zschäpe etwas Neues zu ihrer Tatbeteiligung gesagt?
Ja und nein. Grundsätzlich blieb sie dabei: An konkreten Mordplänen will sie nicht beteiligt gewesen sein, geschweige denn an den Taten. „Eine aktive Mitwirkung gab es nicht, weder in der Vorbereitung noch in der Durchführung“, sagte Grasel. Aber: Erstmals hat Zschäpe zugegeben, dass sie von den Ausspähungen potenzieller Opfer gewusst habe. Dass es dabei eben nicht nur um Ziele von Raubüberfällen ging, um Supermärkte und Tankstellen, sondern um Menschen. Die Kriterien seien gewesen: „ausländisch klingender Name, vorzugsweise türkisch, und gute Fluchtmöglichkeit“, sagte Grasel. Der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl (Grüne) sagte: „Sie wusste, dass auch für Morde ausgespäht wurde.“ Dass ein Mordopfer griechischstämmig war? Er sei wohl für einen Türken gehalten worden, sagte Zschäpe laut Schuberl. Alle Opfer seien nach Darstellung Zschäpes Zufallsopfer gewesen.
Wäre das Urteil gegen Zschäpe mit diesen Aussagen anders ausgefallen?
Das Oberlandesgericht München verurteilte Zschäpe 2018 auch so wegen zehnfachen Mordes zur Höchststrafe: lebenslange Haft, mit besonderer Schwere der Schuld. Nach fast fünf Jahren Prozessdauer folgte das Gericht der Argumentation der Anklage: Zschäpe habe sehr wohl „alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt“. Deshalb die Verurteilung als Mittäterin, die 2021 auch vor dem Bundesgerichtshof hielt. Mit Zschäpes neuen Aussagen hätte sich der Senat aber leichter getan, die Mittäterschaft zu begründen. Zschäpe habe gesagt, berichtete Schuberl, dass sie die Schuld ganz klar auch bei sich sehe: „So, als hätte sie selbst abgedrückt.“ Das entspricht fast der klassischen Definition der Mittäterschaft.
Hat Zschäpe weitere neue Details preisgegeben?
Einige Details waren durchaus neu. Schuberl zitierte Zschäpe etwa damit, dass sich das Trio nach dem Auffliegen eines bekannten V-Mannes gewundert habe, warum man nicht geschnappt wurde. Dass Mundlos sich über Ermittlungsfehler der Behörden, die man über die Medien mitbekommen habe, sehr amüsiert habe. Dass es Böhnhardt dagegen lieber gewesen wäre, wenn die Morde als rechtsextreme Taten eingeordnet worden wären. Dass sich alle drei gewundert hätten, warum der rechtsextreme Hintergrund der Mordserie nicht erkannt worden sei. Andererseits sagte Zschäpe nach Angaben von Abgeordneten auch, dass Tatorte weit weg vom eigenen Wohnort ausgewählt worden seien, damit sie, drei Rechtsextremisten im Untergrund, nicht in Verdacht geraten.
Welche Fragen bleiben offen?
Eine zentrale Frage ist und bleibt auch nach Zschäpes Befragung: Hatte der NSU Unterstützer und Helfer an den Tatorten? Zschäpe sagte dazu laut Schuberl, Mundlos und Böhnhardt hätten potenzielle Tatorte ausgespäht, immer „städteweise“ und in zeitlichem Abstand zur dann folgenden Tat. Aber niemand sonst. Es habe keine Helfer etwa in Bayern gegeben, so fassten mehrere Abgeordnete ihre Aussage zusammen. Und Zschäpe habe auch sonst keine Kontakte nach Bayern dargelegt – und zudem bestritten, selbst mehrfach in Nürnberg gewesen zu sein. Ob all das so stimmt? Darin gibt es große Zweifel. Auch der ehemalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) hatte zuletzt ausgesagt, er gehe weiterhin fest von Helfern an den Tatorten aus. Und die Angehörigen der Opfer werden sich weiter vor allem eine Frage stellen: warum ausgerechnet ihr Ehemann, Vater, Sohn sterben musste. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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