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Ausstellung in der Bundeskunsthalle

Wie es mit dem einmillionsten Gastarbeiter weiterging

Die Bundeskunsthalle zeichnet die Migrationsgeschichte der Bundesrepublik nach - allerdings anders, als dies ein Geschichtsmuseum tun würde. Die Perspektive ist die der Migranten selbst - und dadurch wird es sehr persönlich.

Von Donnerstag, 25.05.2023, 13:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.05.2023, 12:24 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Am 10. September 1964 traf auf dem Bahnhof Köln-Deutz der „einmillionste Gastarbeiter“ ein, Armando Rodrigues de Sá aus Portugal. Der 38 Jahre alte Zimmermann war durch Blindtippen aus einer Liste mit Namen von Neuankömmlingen herausgefischt worden und bekam zur Feier des Tages ein Moped geschenkt. Auf Wunsch der versammelten Fotografen schob er es ein paar Meter über den Bahnsteig und entsprach dann der Bitte, einmal aufzusteigen. So entstand ein Bild, das Eingang in zahllose Schulbücher und Dokumentationen gefunden hat: der verlegene Mann mit dem breitkrempigen Hut und der verschlissenen Jacke auf der „Zündapp Sport Combinette“.

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Bis hierher ist die Geschichte bekannt – die Bundeskunsthalle in Bonn erzählt sie nun in ihrer neuen Ausstellung aber weiter. Rodrigues de Sá durfte demnach mit dem Moped in Deutschland gar nicht fahren, weil er keinen Führerschein besaß. In den 70er Jahren erkrankte er an Krebs, möglicherweise eine Spätfolge seiner Arbeit. Da ihm aber niemand sagte, dass er in Deutschland krankenversichert war, ging er zurück nach Portugal zu seiner Familie. Er ließ sich seine deutschen Rentenansprüche vorzeitig auszahlen und finanzierte damit die Behandlung. 1979 erlag er der Krankheit im Alter von nur 53 Jahren.

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Ausstellung zeichnet Migrationsgeschichte nach

Die Ausstellung „Wer wir sind – Fragen an ein Einwanderungsland“ (26.5. bis 8.10.) zeichnet die Migrationsgeschichte der Bundesrepublik nach – allerdings anders, als dies zum Beispiel das benachbarte Haus der Geschichte tun würde. Die Perspektive ist durchweg die der Migranten selbst und dadurch sehr persönlich und emotional aufgeladen. Die Sprache, in der erzählt wird, ist vielfach die der Kunst. Dazu kommen zahlreiche Dokumente und einige Zeitzeugnisse aus der Sammlung des derzeit in Köln entstehenden Museums über die Migration in Deutschland (DOMiD). Hiervon hätte man sich durchaus noch mehr gewünscht.

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Es ist eine Ausstellung, die dem Besucher etwas abverlangt. Man muss sich öffnen, muss sich einlesen. Vieles ist bedrückend, angefangen bei ganz kleinen Dingen wie der Wohnungsanzeige mit dem früher gar nicht so seltenen Zusatz „Keine Ausländer“.

Bekannte Entwicklungen, ungewöhnliche Blickwinkel

Immer wieder gelingt es den Kuratoren, bekannte Entwicklungen und Ereignisse aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel zu beleuchten. So hatte die Stadt Mölln nach dem rechtsextremen Mordanschlag von 1992 die Bevölkerung dazu aufgerufen, den beiden betroffenen türkischen Familien ihre Anteilnahme auszudrücken. Hunderte Privatpersonen, darunter Kinder und Jugendliche, aber auch Institutionen wie Schulen, Politiker und Wirtschaftsvertreter brachten daraufhin ihre Trauer und ihr Entsetzen zum Ausdruck und machten sogar konkrete Hilfsangebote.

Nur: Die bewegenden Schreiben erreichten große Teile der beiden Familien wohl nie. Erst im Jahr 2019, so erzählt Kuratorin Johanna Adam, wurde einer der neun Überlebenden des Brandanschlags auf die Briefe aufmerksam, die im Stadtarchiv von Mölln aufbewahrt wurden. Erst nach mehrmaliger Intervention übergab die Stadt die Sendungen der Familie.

Migranten nehmen Ihr Schicksal in die Hand

Die Ausstellung vermeidet es, die Migranten auf eine Opferrolle festzulegen. Stattdessen zeigt sie immer wieder, wie die Neuankömmlinge ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen, gleiche Rechte einforderten und sich gegen schlechte Behandlung zur Wehr setzten. So kam es 1973 bei Ford in Köln zu einem „wilden Streik“, nachdem 300 türkische Arbeiter gefeuert worden waren, weil sich ihre Rückkehr aus dem Urlaub verspätete – die lange Fahrt aus Anatolien zurück ins Rheinland ließ sich damals noch nicht so genau kalkulieren. Ungefähr 8000 vorwiegend türkische Ford-Arbeiter demonstrierten daraufhin spontan für die Wiedereinstellung ihrer Kollegen und legten die Produktion lahm. Schnell kamen andere Forderungen wie Lohnerhöhung, mehr Urlaub und Verringerung der Fließbandgeschwindigkeit dazu. All das taten die Türken in Eigenregie – IG Metall und Betriebsrat stellten sich gegen die Aktion.

Im selben Jahr stoppte Westdeutschland nach der Ölkrise die Anwerbung aus anderen Ländern, und dann dauerte es gar nicht mehr lange, bis es hieß, die „Gäste“ sollten wieder gehen. An der Museumswand prangen Politiker-Zitate aus jener Zeit. Von Helmut Schmidt: „Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze.“ Von Helmut Kohl: „Über die nächsten vier Jahre wird es notwendig sein, die Zahl der Türken um 50 Prozent zu reduzieren.“ Da merkt man dann, dass sich doch so einiges getan hat. Zum Glück. (dpa/mig) Aktuell Feuilleton

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