29. Mai 1993
Am 30. Jahrestag des Solinger Anschlags rücken die Opfer in den Blick
Fokus auf die Opfer und großer Gedenkakt mit Bundespräsident: Der 30. Jahrestag des fremdenfeindlichen Solinger Brandanschlags wird anders begangen als in den Vorjahren. Im Blickpunkt stehen stärker als bisher die fünf getöteten Frauen und Mädchen.
Von Michael Bosse Donnerstag, 25.05.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.05.2023, 12:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der 30. Jahrestag des rassistischen Anschlags auf das Wohnhaus der türkeistämmigen Familie Genç am 29. Mai ist nicht nur wegen der runden Jahreszahl etwas Besonderes. In diesem Jahr findet das Gedenken am Pfingstmontag erstmals ohne die im Oktober gestorbene Mevlüde Genç statt. Sie verlor bei dem rechtsextremen Verbrechen zwei Töchter, eine Nichte und zwei Enkel – und wurde dennoch zur Friedensbotschafterin, die als Versöhnerin und Mahnerin für Toleranz und Verständigung auftrat.
Seine Mutter sei eine „sehr starke Person gewesen, die unsere Gefühle am besten zum Ausdruck gebracht hat“, sagte der Sohn der Verstorbenen, Kamil Genç, kurz vor dem Jahrestag dem „Evangelischen Pressedienst“. Diese Aufgabe müsse nun künftig auf mehrere Schultern verteilt werden. Die Familie wolle sich auf jeden Fall weiter für Versöhnung und gegen Hass und Rassismus einsetzen. Zu Ehren von Mevlüde Genç soll am Sonntag der Solinger Mercimek-Platz nach ihr benannt werden.
Vor fünf Jahren – zum 25. Jahrestag – hatte ein Unwetter die im Freien organisierte Gedenkfeier am Mahnmal zum Brandanschlag jäh unterbrochen, in diesem Jahr findet die zentrale Gedenkveranstaltung im städtischen Theater- und Konzerthaus statt. Erwartet werden unter anderen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Bundesinnenminister Nancy Faeser (beide SPD) sowie Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) haben ihr Kommen zugesagt.
Ausstellung im Zentrum für verfolgte Künste
Bei dem Gedenken sollen nach dem Willen der Familie Genç die Namen und Schicksale der fünf getöteten Frauen und Mädchen stärker in den Fokus rücken. Dafür wurde eine Ausstellung erarbeitet, die im Zentrum für verfolgte Künste an die fünf Todesopfer – Gürsün Ince, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç – erinnert. Unter dem Motto „Solingen ’93 – Unutturmayacag z! Niemals vergessen!“ soll die Schau bis zum 17. September anhand einer Chronologie zeigen, wie Betroffene rassistischer Gewalt und die Gesellschaft mit den Erfahrungen rechten Terrors umgehen.
Der Anschlag auf das Wohnhaus der Familie Genç in der Unteren Wernerstraße war einer von mehreren fremdenfeindlichen Anschlägen, die in den 90er Jahre das wiedervereinigte Deutschland erschütterten. Zwar sei Solingen kein Zentrum rechtsradikaler Umtriebe gewesen, allerdings sei die fremdenfeindliche Stimmung damals ein „bundesweites Phänomen“ gewesen, das zu dem Anschlag vom 29. Mai geführt habe, sagt der Sachgebietsleiter für Demokratieförderung und Verwaltung im Stadtdienst Integration, Michael Roden.
Rassismus bleibt wichtige Aufgabe für Politik und Gesellschaft
Als Reaktion auf den Vorfall gründete sich in der Bergischen Großstadt unter anderem das Bündnis für Toleranz und Zivilcourage, das sich mit Projekten für ein besseres Miteinander einsetzt und den Solinger Preis für Zivilcourage, den „Silbernen Schuh“, verleiht. Zudem engagiert sich die Stadt über das Landesprogramm „NRWeltoffen“ an Projekten gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Träger ist das Diakonische Werk des Evangelischen Kirchenkreises Solingen.
Trotz aller Bemühungen bleibt der Kampf gegen Fremdenhass und Rassismus nach Ansicht der Familie Genç eine wichtige Aufgabe für Politik und Gesellschaft. Man habe in Deutschland nach wie vor ein Rassismusproblem, das Sorgen bereite, sagt Hatice Genç, Schwiegertochter von Mevlüde Genç, die den gleichen Vornamen wie eines der Todesopfer trägt. Auch Ministerpräsident Wüst mahnt, aus der Vergangenheit zu lernen. Es gelte, jeden Tag dafür einzustehen, „dass Hass, Hetze und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz in unserer Gesellschaft haben“, sagte er dem „Evangelischen Pressedienst“. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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