Ton oder Musik?
Polizeiliche Abwehrreflexe im Fall Bahar Aslan
Wer der Polizei Rassismus bescheinigt, löst Abwehrreflexe aus. Das zeigt der Fall Bahar Aslan eindrucksvoll. Ich weiß das aus eigener Erfahrung - aus dem Fall Marwa El-Sherbini.
Von Prof. Dr. Sabine Schiffer Dienstag, 06.06.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 01.02.2024, 17:57 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Die Realschul-Lehrerin Bahar Aslan hat sich nicht gewählt ausgedrückt, als sie ihrem Unmut Ausdruck verlieh, dass sie sich – als migrantisch wahrgenommene Person – bei Polizeikontrollen unwohl und irgendwie unter Generalverdacht fühle. Sie twitterte am 20. Mai 2023: „Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freundinnen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land #Polizeiproblem.“ Das klingt harsch und ist es auch. So möchte man nicht unbedingt die rassistischen und rechtsextremistischen Probleme der Polizei andressiert wissen. Aber es gibt sie und die Perspektive der Betroffenen ist für Nichtbetroffene schwer nachzuvollziehen. Dem Diskurs darüber merkt man an, dass im Grunde die Problematik überhaupt nicht adressiert werden soll.
Man könnte nun meinen und so kommentierten auch einige, „der Ton macht die Musik“. Sicher, das im Tweet deutlich werdende Unbehagen hätte man anders zum Ausdruck bringen können, aber ich bezweifle aus eigener Erfahrung, dass es wirklich am Ton liegt und nicht an der Musik. Denn als ich 2009 nach der Ermordung Marwa El-Sherbinis im Landgericht Dresden in diversen Interviews – ohne zuspitzende Formulierungen – auf Versäumnisse bei Gericht hinwies und forderte, dass auch der Schuss eines Polizisten auf den Ehemann der Ermordeten auf Rassismus hin untersucht werde, ereilte mich nicht nur ein Shitstorm, sondern in Folge auch eine Anzeige von der Polizei.
Die Musik ist das Problem, nicht der Ton
Die Polizei folgte dabei den Anschuldigungen der rechtslastigen Shitstormer und deshalb berichte ich hier davon – also von meiner eigenen Erfahrung mit einem Vorwurf – damals einem Rassismusvorwurf – gegenüber der Polizei. Damals ging ich von einem rassistischen Reflex aus, weil der aus dem Nachbarsaal im Gericht herbeigeholte Grenzschützer ohne Kenntnis der Personen und der Situation auf einen der beiden kämpfenden Männer schoss – den dunkleren von beiden, den Ehemann von Marwa El-Sherbini, der versuchte seine Frau zu verteidigen. Niemand sonst war mehr im Gerichtssaal, um den hereinstürmenden Beamten, der die Situation retten wollte, zu informieren, dass der andere der Angreifer war. Man hatte die Erstochene, ihr Kind, den kämpfenden Ehemann mit dem Mörder allein im Saal zurückgelassen und sich im Nachbarraum eingesperrt. Das Gericht hatte bereits zuvor einen Drohbrief des Beleidigers und schließlich Mörders ignoriert. Wir können uns alle fragen, ob es auch keinen Personenschutz gegeben hätte und die Zeugin bzw. das Opfer zunächst einer Verbalattacke – also Hatespeech – in einer zweiten, völlig überflüssigen Anhörung nochmal ihrem Angreifer ausgesetzt worden wäre, wenn dieser ein Muslim gewesen wäre.
Dem Polizisten, der in Dresden schoss, bescheinigte ich also einen möglicherweise rassistischen Reflex und fordere bis heute eine unabhängige Untersuchung, zumal er im Laufe der damaligen internen Untersuchung seine Aussage geändert hatte: zunächst hätte er auf den am nächsten Stehenden geschossen, dann auf den am virulentesten Kämpfenden. Weder als Frage formuliert, noch als These in den Raum gestellt, erreichte meine Interview-Aussage eine überprüfende Wirkung, die ja für zukünftige Fälle relevant sein könnte. Die bekannten Stichworte sind hier „racial profiling“ und „Rassismus tötet“, wofür es bis in die jüngste Vergangenheit tragische Beispiele gibt. Fälle, in denen migrantisch aussehenden Jugendlichen mit unverhältnismäßigem Auftreten, Gewaltandrohung, tatsächlicher Gewalt, bis hin zu tödlichen Schüssen begegnet wird. Auch die polizeiliche Gefährderansprache an die Überlebenden und Hinterbliebenen der in Hanau ermordeten migrantisch wahrgenommenen Menschen spricht diese Sprache. Nicht der den Opfern nachstellende Vater des Täters, sondern die Opfer selbst werden als potenzielle Täter angesprochen. Das erinnert an die Täter-Opfer-Umkehr bei den sogenannten NSU-Morden, mindestens.
Struktureller Rassismus geht uns alle an
Warum aber sollte es gerade bei der Polizei kein strukturelles Problem mit Rassismus geben, wo dies doch Teil der gesellschaftlichen DNA ist, wie die Forschung um Andreas Zick und Beate Küpper ebenso deutlich belegt wie die anderer Institutionen. Erstaunlich ist, dass gerade bei der Polizei dieses strukturelle Problem gerne und schnell von sich gewiesen wird, obwohl der Hinweis auf Strukturelles doch den Einzelnen entlasten würde. Natürlich enthebt es niemanden von der Übernahme persönlicher Verantwortung, aber es müsste doch einen Zugang zu möglichen eigenen Reflexen, Unüberlegtheiten und stereotypen Zuschreibungen eröffnen, wenn sie als Produkt allgemein verbreiteter Fehlleitung begriffen werden und nicht als persönliche Schuld.
Offensichtlich überwiegt zu oft und zu schnell der Korpsgeist, der einer kritischen Auseinandersetzung und damit Verbesserung der Abläufe im Wege steht. In meinem Fall bedeutete das ein halbes Jahr Strafverfolgung und Hetze via Internet. Während sich die Strafverfolgung dann freilich in Luft auflöste, hielt die Hetze noch lange vor. Frauen, die sich gesellschaftsrelevant äußern, stehen ja im besonderen Fokus von Chauvinisten, denen Rassismus und Frauenhass gleichermaßen wenig fern ist. Und Rassismuskritik als Teil der Wissenschaftsfreiheit wird bis heute wenig verteidigt.
Zunächst kredenzte mir ein islamophobes Blog einen Hasspost mitsamt meiner Email-Adresse. Die eingehenden Morddrohungen brachte ich bei der Polizei zur Anzeige. Jedoch wurden nicht diese verfolgt, sondern ich. Denn der mit meiner Anzeige betraute Staatsschützer forderte seinen Kollegen, der in Dresden geschossen hatte, auf, mich anzuzeigen, was dann dieser sowie dessen Dienststelle taten. Verfolgt wurde also eine angebliche Beamtenbeleidigung, weder die Morddrohungen, noch die Aufklärung der Versäumnisse in Dresden. Der Richter in Erlangen setzte diesem Spuk beim schließlich stattfindenden Prozess sofort ein Ende und betonte die Wichtigkeit der Debatte, die angestoßen wurde.
Symptomatisch sind die erkennbaren Strukturen hinter dem Ablauf. Polizei und Staatsanwaltschaft sitzen am längeren Arm, der Strafbefehl war geeignet mein gerade aufgebautes Institut in seiner Existenz zu bedrohen und eine kritische Stimme gegen (in dem Fall antimuslimischen) Rassismus mundtot zu machen. Kooperationspartner und Medien, denen eine kritische Meinungsfreiheit eigentlich ein Anliegen sein müsste, wollten sich nicht dem Ruch aussetzen, angebliche Beleidigungen gegen Behörden mitzutragen. Es gab Absagen und Ausgrenzung. Wissen über Mobbing-Mechanismen und wie man damit souverän und konstruktiv umgeht, war damals noch wenig verbreitet.
Aufgeklärte Diskurse für eine aufgeklärte Gesellschaft
Letzteres immerhin ist heute anders. Wenn auch im Fall von Bahar Aslan weiterhin Machtgefälle und rassistische Hierarchien durchscheinen, etwa wenn ihr ohne eine Abmahnung sofort ihr Lehrauftrag an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW (HSPV) entzogen wird oder ein Disziplinarverfahren in Sachen Lehramt eingeleitet wird, so gibt es auch gewichtigen Widerspruch. Dass Medien diesem zu Öffentlichkeit verhelfen, mag auch der eigenen Erfahrung geschuldet sein, wie wenig erforderlich ist, um zum Hassobjekt für Rechts zu werden. Natürlich entgeht auch Aslan nicht Hass und Hetze im Netz, zumal ihr türkischer Name dazu nochmal besonders einzuladen scheint, zusätzlich zu den üblichen Silencing-Strategien Frauen gegenüber. Und vermutlich trug auch der Name Bahar Aslan zur schnellen Entscheidung der HSPV bei. Dies erkennt auch die in der Wochenzeitung „Die Zeit“ veröffentlichte Solidaritätserklärung gewichtiger Persönlichkeiten für sie, zu denen auch viele Dozenten der HSPV und Polizeibeamte zählen. Dort heißt es: „Während wir in der Organisation Polizei zum Teil viel Verständnis im Umgang mit rechten Grenzüberschreitungen feststellen, macht uns die Unerbittlichkeit im Umgang mit einer migrantischen Frau, die sich für eine bessere Polizei einsetzt, fassungslos.“
Und: „Medienberichten ist zu entnehmen, dass die Bezirksregierung in Münster dienstrechtliche Konsequenzen gegen die verbeamtete Lehrerin prüft. Mit diesen öffentlichen Äußerungen zu einem möglichen Disziplinarverfahren hat das Land NRW gegen die Fürsorgepflicht als Dienstherrin und gegen beamtenrechtliche Vorschriften verstoßen.“ Selbst muss man es anscheinend nicht so genau nehmen, weil man in-group ist. Nur von out-group-Mitgliedern wird tadelloses Verhalten erwartet. Hier offenbaren sich Hierarchie und Machtgefälle erneut. In der Stellungnahme heißt es weiter: „Während nicht wenige Polizeibeamte, die in rechten Chatgruppen den Holocaust geleugnet, Hakenkreuze versendet und den Tod von Flüchtlingskindern bejubelt haben, ihren Dienst weiter fortführen, wird eine kritische Lehrerin 48 Stunden nach einem unglücklichen Tweet ohne Anhörung von ihrem Lehrauftrag entbunden. Die Aufkündigung der Zusammenarbeit hat Aslan erst durch Medienberichte erfahren.“
Was weiterhin ausgeblendet bleibt, ist, was es bedeutet von Alltagsrassismus als Dozentin betroffen zu sein. Wieviel muss jemand aushalten können und wieviel besondere Sensibilität muss man dennoch aufbringen, um Menschen rassismuskritische Ansätze zu vermitteln, die einen deren geglaubte Höherstellung spüren lassen? Jedes Wort muss auf die Goldwaage, jeder Satz genau abgewogen werden, jede Aussage mehrfach überprüft, ob sie so oder so sagbar ist, damit sich niemand angegriffen fühlt, von einigen, die ohne mit der Wimper zu zucken platteste Zuweisungen durchscheinen lassen – von einer Einsatzerfahrung auf eine ganze Gruppe von Menschen schließen. Letztendlich geht es bei echten Chauvinnisten auch darum, die durch die Dozentenschaft in Frage gestellte Hierarchie wieder herzustellen.
Gibt es einen Ausgleich für die besondere Anstrengung, die so markierte Dozenten zu leisten haben, wenn sie selbst von Rassismus betroffen sind? Sonderurlaub? Höhere Bezahlung? Den Tweet von Bahar Aslan kann man auch als Ausdruck langjähriger Verletzungen sehen. Die besondere Mühe, sich im fortlaufenden Provoziertwerden nicht selbst provozieren zu lassen, ist hier nicht mehr geleistet worden. Die Twitterbubble mag ihren Beitrag dazu geleistet haben, sich zu einem derart emotionalen Tweet hinreißen zu lassen, der auch als Verallgemeinerung verstanden werden kann – genau das, wofür die interkulturelle Kompetenzschulung zu sensibilisieren sucht.
Zu Perspektivwechseln und Hinterfragung lädt auch der Publizist Max Czollek ein und nimmt selten ein Blatt vor den Mund. Er sorgt mit seinen Analysen zu tief verwurzelten Selbst- und „Fremd“-Bildern in der Gesellschaft, einer vermeintlichen Aufarbeitung der gewissermaßen ausgelagerten Nazi-Verbrechen und der Inszenierung eines unwürdigen Versöhnungstheaters für verstörende Momente im Wohlfühldiskurs von Werten und Wunschvorstellungen. Derlei Verstörung ist notwendig. Und deswegen brauchen wir die Bahar Aslans, die daran erinnern, dass ein idealisiertes Selbstbild noch kein Ideal ist, sondern dieses nur durch die Umsetzung der Ideale erreicht wird.
Meinung
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