Versöhnung auf Zeit
Grüne raufen sich nach Asylstreit zusammen
Die Zustimmung auch ihres eigenen Spitzenpersonals zur geplanten EU-Asylrechtsreform hat viele Grüne empört. Beim kleinen Parteitag ist der Ton dann aber überraschend versöhnlich. Ein Antrag der Jugendorganisation, der klare Vorgaben macht, findet keine Mehrheit.
Von Anne-Béatrice Clasmann und Martina Herzog Sonntag, 18.06.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 18.06.2023, 16:07 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Grünen haben bei einem kleinen Parteitag ihre Marschroute für die weiteren europäischen Verhandlungen zum EU-Asylrecht festgelegt. Eine deutliche Mehrheit der rund 100 Delegierten stellte sich am Samstag im hessischen Bad Vilbel hinter einen Antrag des Bundesvorstandes zur Asylpolitik, in den zuvor allerdings zahlreiche Änderungen von Kritikern der Entscheidung der EU-Innenminister integriert worden waren. Beispielsweise sollen Familien mit Kindern grundsätzlich nicht in Asyl-Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen kommen. EU-Staaten sollen nicht zur Durchführung solcher Grenzverfahren verpflichtet werden.
Die Co-Vorsitzende Ricarda Lang sagte am Sonntag im Deutschlandfunk, sie habe eine inhaltlich zerrissene, aber keine gespaltene Partei erlebt. „Wir merken natürlich an verschiedenen Stellen, dass es weder in der Bundesregierung, geschweige in Europa, gerade wirkliche Mehrheiten für eine humane Flüchtlingspolitik gibt“, sagte sie. Wichtig sei, dass die Partei nun gemeinsam dafür kämpfe.
Die EU-Innenminister hatten am 8. Juni mit deutscher Zustimmung – und damit auch mit Genehmigung von Spitzen-Grünen – Pläne für eine weitreichende Asylreform beschlossen. Vorgesehen sind zahlreiche Verschärfungen, um irreguläre Migration zu begrenzen – insbesondere aus Ländern, die als relativ sicher gelten.
Asylanträge von Migranten, die aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent stammen, sollen bereits an den EU-Außengrenzen innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden. In dieser Zeit will man die Schutzsuchenden verpflichten, in streng kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen zu bleiben. Wer keine Chance auf Asyl hat, soll umgehend zurückgeschickt werden. Denkbar ist, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht. Am Ende müsste sich auch die Bundesregierung zum Ergebnis positionieren.
Grünen-Beschluss: Ohne uns wär‘s schlechter gewesen
„Wir wollen ein effektives Menschenrechtsmonitoring an den Außengrenzen und eine verbindliche Verteilung in den Mitgliedsstaaten“, heißt es in dem Beschluss, den die Delegierten der Grünen bei ihrem Länderrat in Hessen fassten. „Dafür werden wir in enger Abstimmung zwischen Europafraktion, Bundestagsfraktion, Bundespartei und Regierungsmitgliedern kämpfen. Auch das Ergebnis werden wir gemeinsam bewerten.“ Wie man sich am Ende positioniere, werde davon abhängen, „ob unter dem Strich Verbesserungen in der Europäischen Asylpolitik und auch für Europa stehen“.
In dem Beschluss heißt es weiter: „Der Ratsbeschluss wäre ohne unseren Einsatz, gerade von grünen Regierungsmitgliedern, ein schlechterer gewesen. Doch er enthält auch substanzielle Verschärfungen, die wir aus asylpolitischer Sicht falsch finden.“
Ein weitergehender Antrag der Grünen Jugend, der eine finale deutsche Zustimmung von „substanziellen Verbesserungen“ für Betroffene abhängig gemacht hätte, fand keine Mehrheit. Die Nachwuchsorganisation hatte darin unter anderem erklärt, es dürfe keine Verpflichtung zu Außengrenzverfahren geben. Der Vorsitzende der Grünen Jugend, Timon Dzienus, sah sich aber in seinen Zielen bestätigt und sprach von einem Startpunkt für die weitere europäische Auseinandersetzung. Er sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Wir erwarten von der Partei, klarzumachen, sich Asylrechtsverschärfungen entgegenzustellen.“
Baerbock: „Auch mich hat es zerrissen“
Die Delegierten diskutierten intensiv, aber ohne persönliche Angriffe. Außenministerin Annalena Baerbock verteidigte ihre Zustimmung zu der Entscheidung und versuchte, ihre Abwägungen zu erklären. „Auch mich hat es zerrissen“, sagte sie. Immerhin habe man nun eine Einigung gefunden, die eine bessere Verteilung von Schutzsuchenden in Europa bedeuten würde. „Wir haben im Vergleich zum Status quo eine kleine Verbesserung“, sagte Baerbock.
Die schleswig-holsteinische Integrationsministerin Aminata Touré wandte sich in einer emotionalen, stark bejubelten Rede gegen das Reformvorhaben, das Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit ihren europäischen Amtskollegen und -kolleginnen verhandelt hatte. Die Entscheidung, hier zuzustimmen, sei falsch gewesen, sagte sie, „sie schmerzt mich, sie enttäuscht mich“. Um Fassung ringend sagte sie, es gehe hier um Menschen, „Menschen wie meine Familie vor 30 Jahren“. Tourés Eltern waren nach einem Putsch im westafrikanischen Mali nach Deutschland geflohen.
Die Bundesregierung, vertreten durch Faeser, hatte sich in den Verhandlungen dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Um die Einigung nicht zu gefährden, musste sie jedoch letztlich akzeptieren, dass dies doch möglich sein könnte.
Habeck: „Es gibt Druck von allen Seiten auf uns.“
Der Parteivorsitzende Omid Nouripour sagte, aktuell sei die Lage in den Staaten an den EU-Außengrenzen ohne Humanität und ohne Ordnung, das müsse sich ändern. Nouripour verwies auf seine eigene Vergangenheit als Flüchtling aus dem Iran. Er appellierte an die Delegierten: „Lasst uns heute streiten, und dann gehen wir zusammen raus, untergehakt und kämpfen für das Richtige!“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte sich zuvor bemüht, der Partei in schwierigen Zeiten Mut zuzusprechen. „Es gibt Druck von allen Seiten auf uns“, sagte der Vizekanzler. „So viele Veränderungen, sie lösen Fragen aus, Kritik und teilweise Protest.“ Habeck räumte ein: „Veränderungen werden beklatscht auf Parteitagen, aber sie sind häufig auch Zumutungen.“
Für den Moment ist die Partei wieder mit sich versöhnt. Die Asylpolitik wird die Grünen allerdings wieder einholen, wenn die weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene in Gang kommen – und sich die Bundesregierung am Ende zu einem aus grüner Sicht womöglich unbefriedigenden Ergebnis verhalten muss. (dpa/mig) Aktuell Politik
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