Aus dem Leben
Wie mir jüdischer Humor hilft, durchs Leben zu kommen
Für mich ist Humor mehr als eine menschliche Fähigkeit, sondern ein Teil meiner Sozialisation. Er ist aus meinem Alltag nicht wegzudenken. Ich lache, um nicht zu weinen.
Von Michael Groys Dienstag, 04.07.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 02.07.2023, 19:04 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Was ist schon alles nicht über den jüdischen Witz geschrieben worden. Dieser sei scharfsinnig, traurig und dennoch hoffnungsvoll zugleich. Die Bücher des israelischen Satirikers Ephraim Kischon gelten im deutschsprachigen Raum als außergewöhnlich erfolgreich. Ganze Generationen sind mit dem immer stets leichten und humorvollen Moderator Hans Rosenthal aufgewachsen, der den Holocaust in einem Berliner Schrebergarten überlebte.
Humor gehört sicherlich zu jedem Volk dazu, aber als jüdischen Menschen ist er einfach aus meinem Alltag nicht wegzudenken. Um es mit den Worten des herausragenden jiddischen Schriftsteller Scholem Alejchem zu sagen: „Wir lachen, um nicht zu weinen.“
Jüdischer Humor bedient sich auch häufig der Ironie und Satire, um ernste Themen wie Politik, Religion und soziale Normen zu kommentieren. Jüdische Komiker machen sich zum Beispiel über die strengen Speisegesetze des jüdischen Glaubens oder die komplizierten Rituale bei jüdischen Hochzeiten lustig. Diese Art von Humor kann subversiv sein, indem sie traditionelle Ideen und Überzeugungen mithilfe von Comedy infrage stellt.
Er zeichnet sich durch den Einsatz von Ironie, Satire und Selbstironie aus und hebt oft die Absurditäten und Widersprüche des Lebens hervor. Jüdischer Humor hat einen bedeutenden Einfluss auf die amerikanische und globale Kultur und prägt alles von Stand-up-Comedy bis hin zu beliebten Fernsehsendungen.
Humor im Allgemeinen hat bereits seit der Antike Philosophen beschäftigt. Eine Vielzahl von Theorien über den Ursprung und dass Wesen dieser intellektuellen Fähigkeit. Nach Aristoteles ist der Mensch das einzige Tier, welches das Lachen entwickelt hat – Lachen und Menschsein gehörten für ihn zusammen. Für den Gründer der Psychoanalyse Sigmund Freud ist die Fähigkeit zu Humor die einfachste Möglichkeit auf psychologische Probleme im Unterbewusstsein zu reagieren.
So hatte ausgerechnet Freud die Verbrennung seiner Werke am 10. Mai 1933 auf dem damaligen Opernplatz mit Humor genommen und angemerkt, dass die Nazis fortschrittlicher geworden sind und dem Mittelalter entwachsen. Früher hätte man wohl ihn selbst verbrannt, heutzutage nur noch seine Bücher. Er starb 1939 und erlebte den Holocaust nicht mehr.
„Man wollte uns umbringen. Wir haben überlebt und jetzt gehen wir was essen.“
Für mich ist Humor mehr als eine intellektuelle menschliche Fähigkeit, sondern ein Teil meiner Identität und Sozialisation. Wer in der jüdischen Gemeinschaft aufwächst, wird schnell feststellen, dass kein einziges Treffen und Fest ohne die Ironie, dem Witz oder einer leichten Komik auskommt. Selbst bei traurigen Anlässen verlässt uns Juden der Humor nicht. Ein Beispiel davon ist die treffende Beschreibung meines ehemaligen Bibellehrers in der Schule aller jüdischen Feiertage: „Man wollte uns umbringen. Wir haben überlebt und jetzt gehen wir was essen.“
Ich möchte nicht das Klischee des witzelnden Rabbis unterstützen, aber ich kenne wohl kaum eine jüdische Predigt, die keinen Witz enthält. Offensichtlich hat sich über so viele Jahrhunderte Verfolgung und Unterdrückung herausgearbeitet, einigen Dingen mit gewisser Gelassenheit zu begegnen. Mir hat diese alte jüdische Weisheit nicht selten im Leben geholfen.
Wie oft konnte ich mit einem jüdischen Witz im zwischenmenschlichen Gespräch die Stimmung erhellen. Nicht selten kann man mit gutem Humor eine schwierige Situation auf der Arbeit, in einer Behörde oder sogar im Supermarkt überspielen.
Ein nahbares Beispiel aus der Praxis geschah neulich als mein Freund Aaron sich bei mir über zu viele Bauaufträge und damit Arbeit beschwerte. Ich entgegnete ihm mit humoristischem Ausdruck aus dem Jiddischen, dass er zu viele „gesunde Sorgen“ hätte, was ein Synonym für positiven Stress ist.
„Eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge.“
In der jüdischen Tradition, Kultur und Erziehung werden nicht selten kritische Bemerkungen oder Flüche auch in Witzform verpackt. Wenn man also jemanden, was Schlechtes wünscht, fügt man dem jüdischen Glückwunsch 120 Jahre alt zu werden (wie Moses) ein „Aber jetzt“ hinzu. Wenn Kinder auf eine Frage ausweichen oder schummeln wollen, hörte ich nicht selten den Ausspruch: „Eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge.“
Den jüdischen Witz kann man aus meinem Alltag nicht wegdenken. Er ist so allgegenwärtig, ob in Freude oder Trauer. Die besondere Form der Komik, die sich in der jüdischen Gemeinschaft über Jahrhunderte hinweg entwickelt hat, ist identitätsstiftend. Es ist ein Bindeglied zwischen europäischen und orientalischen, orthodoxen und säkularen sowie wohlhabenden und armen Jüdinnen und Juden.
Eines der Markenzeichen des jüdischen Humors ist die Selbstironie. Damit ist die Praxis gemeint, sich über sich selbst oder die eigene Kultur lustig zu machen, wobei oft die Schwächen und Unvollkommenheiten des jüdischen Lebens hervorgehoben werden. Jüdische Komiker machen sich zum Beispiel über ihre überheblichen Mütter, ihre neurotischen Neigungen oder ihre Vorliebe für gute Schnäppchen lustig. Diese Art von Humor wird eingesetzt, um ernste Themen auf heitere Art und Weise anzusprechen, wodurch sie oft einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des jüdischen Humors ist die Verwendung der jiddischen Sprache und Kultur. Jiddisch, eine von Juden in Osteuropa gesprochene Sprache, hat den jüdischen Humor maßgeblich beeinflusst. Viele jüdische Komödianten verwenden jiddische Wörter und Ausdrücke in ihren Darbietungen, um ihnen Authentizität und Humor zu verleihen. Die jiddische Kultur mit ihrer Betonung von Familie, Gemeinschaft und Tradition spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für den jüdischen Humor und mein Leben.
Es gibt wenig so lustige Angelegenheiten, wie von seiner jüdischen Oma, Fragen auf Jiddisch in Bezug auf Partnersuche und Heiratsthemen zu hören. Sicherlich spielt der Generationsunterschied eine enorme Rolle, jedoch verleiht das Jiddische dem Ganzen eine besondere Prise Komik.
Viele der erfolgreichsten Komiker des letzten Jahrhunderts waren Juden, darunter Woody Allen, Jerry Seinfeld und Joan Rivers. Jüdischer Humor hat auch beliebte Fernsehsendungen wie die Simpsons und Seinfeld beeinflusst und ist zu einem festen Bestandteil von Stand-up-Comedy-Clubs im ganzen Land geworden.
Der britische Komiker Sasha Baron Cohen hat sich zum Ziel genommen, mithilfe von Humor und Komik, den Antisemitismus zu bekämpfen und ihn in seiner Absurdität bloßzustellen. Seine Witzfigur des kasachischen Reparateurs Borat ist in die Komikgeschichte eingegangen und hat einen großen Beitrag zur Schaustellung antijüdischer Vorurteile gemacht.
Dies gelang bereits dem herausragenden Komiker des 20. Jahrhunderts Charlie Chaplin eindrucksvoll in seinen vielen, dem zum Nationalsozialismus kritischen Filmen. Von den Nationalsozialisten wurde Chaplin irrtümlich für einen Juden gehalten. So bezeichnete Joseph Goebbels, wie ein Eintrag in seinem Tagebuch zeigt, ihn privat bereits 1928 als solchen. Spätestens seit 1931 wurde Chaplin von der NS-Presse offen als Jude tituliert. Chaplin hatte es sein Leben lang nie geleugnet, um den Antisemiten absichtlich einen Streich zu spielen.
„Vor Antisemitismus aber ist man nur noch auf dem Monde sicher.“
Jüdischer Humor hat mir im Leben sehr viel gebracht. Er hat den Mut zum Widerspruch und der Komplexität von einigen Dingen verständlich zum Ausdruck gebracht, sowie vor allem die Fähigkeit der Selbstreflexion und Motivation.
Selbst die herausragende und seriöse Philosophin Hannah Arendt schrieb 1941 über die traurige Lage der Juden mit einem humoristischen Unterton: „Vor Antisemitismus aber ist man nur noch auf dem Monde sicher“, was eindrucksvoll den Kern des jüdischen Witzes zur Schau stellt.
In diesem Jahr hat die Sängerin und Schauspielerin Vivian Kanner eine modernisierte Fassung des politisch-satirischen Couplets des deutschen Komponisten Friedrich Hollaender aus dem 1931 „An allem sind (immer noch) die Juden schuld“ veröffentlicht. Darin zeigt sie gekonnt die Kontinuität antisemitischer Vorurteile und den humorvollen Umgang damit in heutiger Zeit.
Für die Zukunft meiner Kinder wünsche ich mir jüdischen Humor ohne den doppelten Boden von Traurigkeit und Bitterkeit zu gebrauchen. Meinung
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