Lehrer grüßen nicht mehr
Lehrkräfte nach rechtsextremen Vorfällen: Nichts hat sich verändert
Ein anonymer Brandbrief zweier Lehrkräfte hatte vor zwei Monaten rechtsextreme Vorfälle an einer Schule in Burg zutage gebracht. Was hat sich seitdem getan? Wie geht es den Lehrern an der Schule? Bei einem Fachgespräch äußern sich Politik, Verfassungsschutz und Akteure dazu.
Von Silke Nauschütz Dienstag, 27.06.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 28.06.2023, 8:47 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Eine Regenbogenfahne hängt zum Zeichen für Akzeptanz und Toleranz aus einem Fenster des Schulgebäudes in Burg. Ein Grillstand ist auf dem Schulhof aufgebaut, es gibt Workshops zum Thema Vielfalt, Schüler malen unter Anleitung Graffiti, die Schulband spielt – ein friedliches Fest an der Grund-und Oberschule im Spreewald. Lehrer Max Teske ist zufrieden mit dem organisierten Demokratiefest. „Es lief total gut.“ Er hoffe, dass die Schüler mit einem positiven Erlebnis in die Ferien starten.
Seit zwei Monaten bekommt die Schule im bekannten Spreewald-Ort eine nie dagewesene Aufmerksamkeit. Teske und seine Burger Kollegin Laura Nickel hatten Ende April in einem anonymen Brief den täglichen Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie an ihrer Schule geschildert: Hakenkreuze auf Möbeln, rechtsextreme Musik im Unterricht und demokratiefeindliche Parolen in den Schulfluren. Zudem erlebten sie eine „Mauer des Schweigens“, hieß es in dem Brief.
Schüler interessieren sich nicht für Diskriminierung
Das bunte Fest kann über die aktuelle Situation an der Schule nicht hinwegtäuschen. Die Lage habe sich nicht verändert, sagt Teske. Der Lehrer berichtet von einem tief gespaltenen und auch verunsicherten Kollegium. Er und seine Kollegin Laura Nickel würden teilweise nicht gegrüßt. Es gebe keine Maßnahmen und auch keine wirklichen Ziele. Sie seien die „Nestbeschmutzer“, so Teske. Das Demokratiefest hatten er und andere Lehrkräfte lange vor dem „Brandbrief“ vorbereitet.
Schülerinnen und Schüler machen sich indes mit ihren Fahrrädern auf den Weg nach Hause. In ihren Workshops ging es um Fragestellungen wie: Warum fliehen Menschen? Schule, ein schöner Ort zum Leben? Es gebe wenig Schüler, die das Thema Diskriminierung und Rechtsextremismus interessiere, beschreibt Lehrer Teske. „Sie können mit dem Thema schwer umgehen und wollen damit nicht in Verbindung gebracht werden“, so seine Einschätzung. Er selbst hat in seinen Schuljahren Gewalt, Mobbing und Diskriminierung erfahren. Er hätte sich früher Lehrkräfte gewünscht, die Schutz geboten hätten. An der Schule in Burg wolle er es besser machen. Mehr Unterstützung erhofft sich die engagierte Lehrkraft vom Bildungsministerium.
„Melden Sie Vorfälle, holen Sie sich Hilfe“
Die kommt überraschend von Bildungsminister Steffen Freiberg, der die Burger Schule vor einem Fachgespräch in Cottbus zu Extremismus an Schulen erstmals besucht. Er spricht mit Lehrkräften, Eltern- und Schülervertretenden sowie mit dem Amt Burg als Schulträger. „Gut, dass er auch die Sicht der Schüler gehört hat“, sagt Lehrerin Laura Nickel. Freiberg bestärkt alle Beteiligten im gemeinsamen demokratischen Bestreben, extremistischen Aussagen oder Symbolen in der Schule als gesellschaftliche Aufgabe zu begegnen.
„Melden Sie Vorfälle, holen Sie sich Hilfe, es gibt sie“, ruft der SPD-Politiker dann bei einem Fachgespräch in Cottbus den zahlreich teilnehmenden Lehrkräften und Schulleitungen aus Südbrandenburg am Dienstag zu. Jeder Vorfall müsse einzeln betrachtet werden. Die Räume „des Sagbaren“ dürften sich aber nicht weiten, warnt er.
Warnung vor Verharmlosung des Rechtsextremismus
Der Bedarf an Unterstützung, Aufklärung und Information ist groß bei der Veranstaltung über den Umgang mit demokratiefeindlichen Tendenzen und den Einsatz für ein angst- und gewaltfreies Klima. Etwa 200 Lehrkräfte und weitere Interessierte im Saal und via Live-Stream lauschen den Ausführungen Freibergs und dem Lagebericht des Leiters des Brandenburger Verfassungsschutzes, Jörg Müller.
Müller warnt vor einer Verharmlosung des Rechtsextremismus. Das sei aus Sicht seiner Behörde derzeit eine der größten Gefahren für die Demokratie. „Hakenkreuz-Schmierereien, NS-Parolen und Verharmlosungen von NS-Symboliken sind keine Bagatellen. Wenn im schulischen Umfeld so etwas auffällt, müssen wir als Gesellschaft reagieren“, sagt er.
Verfassungsschutz: Rechtssein bei einigen wieder „in“
Der Verfassungsschützer berichtet, dass auch Schulen immer wieder ins Visier von Rechtsextremisten geraten. „Sie versuchen, auch bei jungen Menschen an Schulen anschlussfähig zu sein“, stellt Müller fest. Er nennt als Beispiel die rechtsextremistische Kleinstpartei Der Dritte Weg, deren Mitglieder Anfang Mai vor der Grund- und Oberschule in Burg Flyer verteilt hatten. Die Polizei sprach einen Platzverweis aus, eine Kundgebung vor der Schule wurde verboten.
„Es braucht nicht nur politische Bildung in Geschichte, sondern auch Medienkompetenz und Demokratiebildung“, betont Müller. Rechtssein sei heute bei einigen wieder „in“, das müsse allen eine Warnung sein. „Sie vereinfachen komplexe Probleme, erklären Fakten als Lügen oder umgekehrt und verschieben in der Sprache die Grenzen.“ Bei jungen Menschen wirke dies leider noch stärker.
Laut Studie keine Zunahme von Rechtsextremismus an Schulen
Laut einer Jugendstudie im Auftrag des Bildungsministeriums haben an brandenburgischen Schulen rechtsextreme Einstellungen bei Jugendlichen nicht zugenommen. Im Vergleich zur vergangenen Untersuchung von 2017 lehnt nach wie vor eine Mehrheit der befragten Schülerinnen und Schülern rechtsextreme Aussagen ab.
Allerdings gibt es auch beträchtliche Zustimmungswerte: Fast die Hälfte der Befragten meint „eher“ oder „völlig“, dass „Schluss mit dem Gerede über unsere Schuld gegenüber den Juden“ sein solle. Jeweils fast ein Viertel ist der Meinung, der Nationalsozialismus habe „auch seine guten Seiten gehabt“ und die Deutschen seien „anderen Völkern überlegen.“
Fragen ohne Antworten
Bildungsminister Freiberg kündigt Unterstützung beim Ausbau der Demokratieförderung an den Schulen an. Mehr als 380 außerschulische Lernorte könnten dazu genutzt werden. Auch eine Vorgabe des Ministeriums für rechtssicheres Handeln an Schulen werde ergänzt. An der Leitlinie „Hinsehen, Handeln, Helfen“ werde sich aber nichts ändern, so Freiberg. Der Fünf-Punkte-Plan des Ressorts „Stärkung der politischen Bildung an Brandenburger Schulen“ biete den Lehrkräften Angebote für die Demokratieförderung.
Lehrerin Laura Nickel hat es vom Demokratiefest in Burg doch noch zum Fachgespräch geschafft. Ihre Frage ans Ministerium: Inwieweit steht das Thema Demokratiebildung bei der Ausbildung von zukünftigen Lehrern im Fokus? Dazu kann eine Mitarbeiterin des Ressorts auf dem Podium keine konkreten Aussagen machen. Eine Cottbuser Lehrerin fragt nach dem Umgang mit der Schulleitung in Burg und nach Konsequenzen. Das Ministerium verweist auf den Datenschutz und macht keine Angaben. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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