Jahresbericht
Mehr Leute setzen sich gegen Diskriminierung zur Wehr
Das Bewusstsein für Diskriminierung nimmt zu, die Zahl der Menschen, die sich wehren wollen, auch. Die Antidiskriminierungsbeauftragte Ataman wertet das als gutes Zeichen, ist aber besorgt über die Zunahme an Ressentiments und Hetze.
Von Bettina Markmeyer Dienstag, 27.06.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 27.06.2023, 15:57 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Im vorigen Jahr hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Rekordzahl an Anfragen gehabt. Der häufigste Grund war, wie schon in den Vorjahren, Diskriminierung aus rassistischen Motiven. Insgesamt gab es 8.827 Beratungsanfragen, wie aus dem Jahresbericht 2022 hervorgeht, den die Leiterin der Stelle, Ferda Ataman, am Dienstag in Berlin vorstellte. Das sind 14 Prozent mehr als 2021 und doppelt so viele wie im Vor-Corona-Jahr 2019. Es geht um Benachteiligungen bei der Wohnungssuche, am Arbeitsplatz und im öffentlichen Leben. In rund 2.200 Fällen beschwerten sich Menschen aus Gründen, die gesetzlich nicht erfasst sind.
43 Prozent der Ratsuchenden berichteten von einer rassistischen Diskriminierung. An zweiter Stelle stehen Benachteiligungen wegen einer Behinderung (27 Prozent aller Anfragen), an dritter Stelle folgen mit 21 Prozent Diskriminierungsfälle wegen des Geschlechts. In fünf Prozent der Anfragen ging es um eine Benachteiligung aufgrund der Religion oder Weltanschauung.
Ataman: Hass und Ressentiments nehmen zu
Ataman wertete die Zahlen als Zeichen, dass Hass und Ressentiments zunehmen, häufig ausgehend von Hetze in den sozialen Medien. „Demokratische Parteien haben gerade jetzt eine große Verantwortung, Populisten nicht nachzueifern, sondern sich ihnen entgegenzustellen“, sagte Ataman. Wer die liberale Demokratie stärken wolle, dürfe nicht aus jeder neuen Gesetzesidee einen Kulturkampf machen. Die zunehmenden Anfragen zeigten aber auch, dass Menschen sich vermehrt gegen Diskriminierungen zur Wehr setzen. Sie werte dies als „gesellschaftliche Reife“, sagte Atamann. Eine Umfrage habe kürzlich gezeigt, dass inzwischen fast 80 Prozent der Bevölkerung für Diskriminierungen sensibilisiert seien.
Bei der Antidiskriminierungsstelle landen Fälle wie dieser: Eine schwarze Arbeitnehmerin muss nach einem Tag der Abwesenheit im Betrieb feststellen, dass Kollegen ein Profilbild für sie eingestellt haben, das einen Affen mit einer Banane zeigt. Ein typischer Fall sind auch Djamila und Tarek M., die keine Besichtigungstermine von einer Wohnungsbaugesellschaft erhalten. Ein Versuch als Diana und Torsten M. dagegen führt sofort zu einem Termin.
Staatliche Diskriminierung vom Gesetz nicht erfasst
Die Stelle unterstützt die Menschen dabei, ihre Rechte durchzusetzen. Im Falle der Wohnungsgesellschaft war die Beweislage gut, das Paar bekam eine Wohnung. Doch wer sich bei der Polizei, von Verwaltungsbeamten oder in einer staatlichen Schule diskriminiert fühlt, dem oder der kann die Stelle nicht helfen. Denn Diskriminierung im staatlichen Sektor wird vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht erfasst. Ataman forderte am Dienstag erneut, diese Benachteiligungen müssten einbezogen werden.
Außerdem will die Antidiskriminierungsbeauftragte, dass es den Menschen leichter gemacht wird, sich zu wehren. So seien etwa die Fristen für eine Beschwerde mit zwei Monaten zu kurz, sagte Ataman. Die Ampel-Koalition will das AGG schlagkräftiger machen, schiebt aber die Vorstellung von Änderungen hinaus.
Fünf Millionen Euro für Beratungsstellen
Ataman kündigte ihrerseits ein Fünf-Millionen-Euro-Programm zum flächendeckenden Ausbau von Beratungsstellen an. Sie will Vorschläge für den Schutz vor Diskriminierung durch Künstliche Intelligenz vorlegen und in einer Kampagne die Bürgerinnen und Bürger über ihre Rechte aufklären.
Die unabhängige Antidiskriminierungsstelle ist beim Bundesfamilienministerium angesiedelt. Sie berät und unterstützt Menschen, die aus rassistischen oder antisemitischen Motiven, wegen ihres Geschlechts, ihrer Weltanschauung, Religion, einer Behinderung, ihres Alters oder wegen ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt werden. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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