KI küsst Bildung
Team Wow und Team Vorsicht
Welche Auswirkungen hat Künstliche Intelligenz auf den Berufsalltag in der sprachlichen Bildung? Christiane Carstensen nimmt Sie in ihrer neuen MiGAZIN-Kolumne „KI küsst Bildung“ mit auf ihre Reise durch das KI-Labyrinth.
Von Christiane Carstensen Montag, 31.07.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 31.07.2023, 13:32 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Künstliche Intelligenz – kurz KI – polarisiert. In der Bildung allemal. Es gibt diejenigen, die Chancen sehen, und diejenigen, die Gefahren sehen. Wenige verorten sich dazwischen.
Wenn Sie, wie ich, Ihre Kindheit in den 70ern verbracht haben, dann kennen Sie sie noch: die Fieberthermometer aus Glas mit der Säule aus Quecksilber. Wenn ein Thermometer zerbrach, perlte das faszinierende Quecksilber über den Boden und veränderte sich mit jedem Fingerstups. Wenn man schnell genug – oder leise genug – war, bevor die Eltern es merkten, konnte man die Quecksilberperlen noch einige Male über den Boden mäandern lassen. Ich war fasziniert.
So geht es mir mit KI. Ich kenne die gesellschaftlichen Gefahren, die Ambivalenz ist mir bewusst und trotzdem hat es mich als Bildungsfrau im November 22, als ChatGPT für die Öffentlichkeit zugänglich wurde, sofort geflasht. Ich war vom ersten Moment an im Team Wow und habe seitdem nicht aufgehört, die Chancen zu erkunden.
„Mit dem richtigen Wissen über ihren Einsatz, über wann man sie nutzt und wann nicht, können außerordentliche Lernangebote entstehen.“
Was ich seither gelernt habe? Es existiert nicht DIE Künstliche Intelligenz in der Bildung, sondern vielmehr zeigt sich die KI in ihrer vielfältigen Form und Qualität, stets abhängig vom Menschen, der sie lenkt. Mit dem richtigen Wissen über ihren Einsatz, über wann man sie nutzt und wann nicht, können außerordentliche Lernangebote entstehen. Noch besser wird es, wenn Lehrende und Lernende gemeinsam die Steuerung übernehmen.
Das Team Vorsicht ist mir nicht gänzlich fremd, dort schaue ich als Bürgerin, aber auch beruflich regelmäßig vorbei. Ich arbeite mit und für zugewanderte Menschen und sie sind im Migrationsprozess besonders vulnerabel für die Schattenseite der KI: Diskriminierung und Teilhabe. Auch hier gilt: Ich kann gegensteuern, ich kann mich entscheiden, meine Verantwortung für Diversität wahrzunehmen. Und trotzdem gibt es auf politischer Ebene noch genug zu tun!
Team Wow und Team Vorsicht sind klein. Sehr überschaubar. Man kennt sich. In den Keynotes und den Workshops, die ich mit meiner Kollegin gebe, sind es oft nur eine Handvoll Leute, die bereits erste eigene Erfahrungen gemacht haben. Den Großteil der Lehrenden und vor allem auch der Einrichtungsleitungen, Verbände und Bildungsunternehmen trifft man immer noch im Team „Ach, da wollte ich mich immer mal mit beschäftigen. Habe ich mir fest für den Herbst vorgenommen.“ Manche sind sogar noch im Team „Was ist KI?“
Wechseln Sie das Team, denn die Welt Ihrer Lernenden ist längst von KI geprägt und Sie sollten dort sein, wo Ihre Lernenden sind. Denn KI ist bereits in der Lebens- und Arbeitswelt angekommen und wird genutzt:
„Die spanische Bauzeichnerin, die regelmäßig deutsche Mails an Kunden und Kollegen schreiben muss, hat beschlossen, die Aufgabe nicht mehr stundenlang und mühsam selbst zu erledigen. Stattdessen nutzt sie nun ChatGPT.“
Die spanische Bauzeichnerin, die regelmäßig deutsche Mails an Kunden und Kollegen schreiben muss, hat beschlossen, die Aufgabe nicht mehr stundenlang und mühsam selbst zu erledigen. Stattdessen nutzt sie nun ChatGPT, eine KI-Technologie, um ihre Mails zu formulieren. Durch das Eingeben eines Befehls an ChatGPT wird die gewünschte Mail automatisch auf Deutsch geschrieben, wodurch der Schreibprozess erheblich erleichtert und beschleunigt wird. Diese Methode ermöglicht der Bauzeichnerin, Zeit zu sparen und gleichzeitig eine korrekte und zielgerichtete Kommunikation in der benötigten Sprache sicherzustellen. Dadurch ist sie in dieser Situation beruflich mit einem Schlag genauso handlungsfähig wie ihre muttersprachlichen Kollegen.
Allein an diesem kleinen Beispiel können wir schon unzählige Fragen ableiten, mit denen wir uns als Bildungsbereich Deutsch-als-Zweitsprache eigentlich schon längst beschäftigen müssten:
- Wie gehen wir damit um, dass sich die Relevanz von Schriftlichkeit verändert?
- Was bedeutet das für das Deutschlernen?
- Wann entscheiden wir uns für Abkürzungen? Wann entscheiden wir uns für das Lernen? Schließt das eine das andere aus?
- Wenn sich Arbeitsprozesse verändern, verändert sich immer auch die Kommunikation. Was bedeutet das für unseren eigenen Fortbildungsbedarf als Lehrende?
- Wie müssen sich die Berufssprachkurse des Bamf verändern?
- Die bereits jetzt beeindruckende Fähigkeit der großen Sprachmodelle, zwischen einer Vielzahl an Sprachen zu wechseln, ist noch nicht an ihrem Ende angelangt. Wie gehen wir damit um, dass Deutsch-als-Zweitsprache als Lingua Franca in den Werkshallen und Büros an Bedeutung verlieren könnte. Füllt Mehrsprachigkeit die Lücke?
Wir sind bereits mittendrin in den Fragen der digitalen Transformation. Keine Zeit, im Team „Ach, da wollte ich mich immer mal mit beschäftigen. Habe ich mir fest für den Herbst vorgenommen“ zu bleiben.
In den Teams Wow und Vorsicht, aber auch irgendwo dazwischen, ist noch jede Menge Platz. Herzlich willkommen! Meinung
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