Angst beim Freitagsgebet?
Drohserie verunsichert hessische Moscheegemeinden
Seit Christchurch ist klar: Auch Moscheen sind Ziele von rassistisch motiviertem Terror. Eine Drohserie gegen hessische Moscheegemeinden schürt Ängste.
Von Eva Krafczyk Sonntag, 20.08.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 28.09.2023, 11:44 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Jeden Freitag in der Mittagszeit sind in der Münchener Straße im Frankfurter Bahnhofsviertel zahlreiche Gläubige unterwegs zu den dortigen Moscheen. Inhaber arabischer, türkischer, pakistanischer oder afghanischer Geschäfte, Bäckereien oder Teestuben unterbrechen die Arbeit für das traditionelle Freitagsgebet. Auch die Frankfurter Moschee der Religionsgemeinschaft Ditib ist hier, in der vielleicht multikulturellsten Straße der international geprägten Mainmetropole. Doch nach einer Serie von Drohschreiben, die bei Moscheegemeinden in ganz Hessen eingegangen sind, wächst die Sorge in den Gemeinden.
Die Moschee sei ein Ort des Gebets, „ein Ort des Seelenfriedens“, sagt Salih Özkan, Landesvorsitzender der Ditib in Hessen. Doch ist der Ort des Gebets zunehmend auch mit Angst und Sorge verbunden? Schreiben mit Drohungen, rassistischen Beschimpfungen und Gewaltfantasien erschüttern den Seelenfrieden.
Alle 86 Moscheegemeinden betroffen
„Über die vergangenen Jahre hinweg sind bereits beinahe sämtliche 86 Moscheegemeinden unserer Landesreligionsgemeinschaft in Hessen betroffen gewesen“, sagt Onur Akdeniz, Landesgeschäftsführer der Ditib.
Darüber hinaus seien die weiteren unzähligen Moscheegemeinden zu berücksichtigen, die dasselbe erleben. „In den letzten Wochen waren es konkret unsere Landesreligionsgemeinschaft und der Landesjugendverband sowie unsere Moscheegemeinden in Frankfurt, Dieburg, Wächtersbach, Gelnhausen und Schlüchtern, die derartige Schreiben erhielten.“
Drohschreiben „eine neue gefährliche Qualität“
Dass weiterhin nicht bekannt sei, wo die Schreiben ihren Ursprung haben, führe bei den Gläubigen und in den Gemeinden zu Verunsicherung. Umso mehr, als viele der Schreiben in der Zeit nach 2020 und damit nach dem rassistischen Anschlag in Hanau kamen. Der gewaltsame Tod von zehn jungen Menschen hat in der ganzen Rhein-Main Region die Menschen erschüttert – und gerade bei all jenen, die als migrantisch gelesen werden, Ängste ausgelöst. Mit dem Massaker von Christchurch in Neuseeland, dessen Ziel eine Moschee war, aber auch mit dem Anschlag von Halle auf die dortige Synagoge war klar: Auch Gotteshäuser können Terrorziele sein.
Für muslimisches Leben in Deutschland stelle die Drohbriefserie gegen Moscheen „neben den realen Angriffen wie Hakenkreuzschmierereien, eingeschlagenen Fenstern und Schweinsköpfen sowie körperliche Übergriffe eine neue gefährliche Qualität“ dar, betont die Frankfurter Politologin Saba-Nur Cheema. Sie ist auch Mitglied des beim Bundesinnenministerium angesiedelten Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit.
Expertin: Gefahr wird unterschätzt
„Bisher wird das Ausmaß und die Gefahr von Politik und Sicherheitsbehörden noch unterschätzt“, meint sie. Die Expertenkommission habe im Rahmen ihres Berichts zu Muslimfeindlichkeit bereits für eine einheitliche und flächendeckende Erfassung islamfeindlicher Angriffe plädiert. „Wir wissen zu wenig über das Ausmaß, da die Instrumente fehlen“, warnt Cheema. „Wir sollten nicht den ersten Anschlag abwarten, sondern schon jetzt auf die Bedürfnisse und Sorgen der muslimischen Gemeinschaft eingehen.“ Als Beispiel nannte sie etwa regelmäßige Polizeistreifen während des Freitagsgebets sowie die Entwicklung von Krisenkonzepten bei Verdacht eines Anschlags.
„Es ist leider so, dass fast alle Moscheen mittlerweile eine Sicherheitskamera haben“, sagt Özkan auf die Frage nach Schutzkonzepten. Hierfür seien aber auch staatliche Förderprogramme erforderlich. Und Akdeniz ergänzt: „Mit Bedrückung nehmen wir als muslimische Bürgerinnen und Bürger seit Jahren einen zunehmend polarisierenden gesellschaftlichen, politischen und medialen Diskurs um den Islam wahr.“ Stigmatisierende und negative Fremdzuschreibungen schürten Ängste und erschwerten eine Beheimatung.
Erwartungen an Polizei nicht erfüllt
Erst vor wenigen Tagen wurde ein Gespräch mit dem Frankfurter Polizeipräsidenten geführt, auch mit Landespolizeipräsidium und Landeskriminalamt (LKA) gab es Gespräche, die Vertreter der Moscheegemeinden als „grundsätzlich wertschätzend und konstruktiv“ beschreiben. Derzeit habe sich aber noch nicht die Erwartung erfüllt, dass solche Gesprächsformate regelmäßig stattfinden, um Ermittlungsverfahren anzustoßen, „die zu Ende geführt werden und die betroffenen Moscheegemeinden über den Stand der Aufklärung auch informiert werden“, heißt es.
Insbesondere das zuletzt in der Frankfurter Zentralmoschee eingegangene Schreiben sei „besorgniserregend, da neben den rechtsextremistischen Bezügen zum NSU 2.0 und dem Attentäter von Hanau auch Gewaltvorstellungen gegenüber Musliminnen und Muslimen offen kundgetan werden“, sagt Akdeniz. In der Vergangenheit kam es auch schon wiederholt zu Fällen von Vandalismus an den Moscheegemeinden in Offenbach, Kassel und Frankfurt.
LKA: Drohschreiben stark unterschiedlich
Ein Sprecher des LKA sagte, seit 2020 seien vereinzelt Drohschreiben bei der hessischen Polizei zur Anzeige gebracht worden, die bei muslimischen Gemeinden eingegangen waren. „Die Schreiben sind stets einzeln zu betrachten, da sie sich in Form, Schreibweise und Empfängerkreis teilweise stark voneinander unterscheiden“, hieß es.
Grundsätzlich werde jedes Drohschreiben, das der Polizei gemeldet wird, im Detail untersucht und je nach Charakter der Bedrohung „die angebrachten polizeilichen Maßnahmen ergriffen“. Gerade mit Blick auf mögliche Nachahmer hält sich das LKA mit Details zu Drohschreiben zurück. Die Sorgen und Ängste der Vertreter der betroffenen Moscheen-Gemeinden würden sehr ernst genommen, hieß es. Zudem stehe der Landesmigrationsbeauftragte Mimoun Mokhtari allen muslimischen Gemeinden in Hessen als Ansprechpartner zur Verfügung. (dpa/mig) Leitartikel Panorama
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