Nazi-Raubkunst
Die „Beratende Kommission NS-Raubgut“ wird 20 Jahre alt
Vor 20 Jahren wurde die Beratende Kommission NS-Raubgut gegründet. 23 Empfehlungen zum Umgang mit Raubkunst hat sie seither ausgesprochen - und zuletzt auf grundlegende Reformen gedrungen. Von einem Gremium, das mehr will, als es aktuell darf.
Von Elisa Makowski Mittwoch, 13.09.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.09.2023, 10:30 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Der Zeitpunkt hätte besser nicht sein können: Kurz vor ihrem 20-jährigen Jubiläumsfest am 14. September in Berlin veröffentlichte die „Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts“ eine Stellungnahme. Darin forderte sie ein Restitutionsgesetz und weitgreifende Reformen für ihre Arbeit. In Deutschland fehle immer noch ein rechtlich verbindliches Regelwerk zum Umgang mit NS-Raubgut, kritisierte der Vorsitzende des Gremiums und der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier, im Gespräch. „Dies würde die Kommission und vor allem die Rechte der Opfer und deren Nachfahren nachhaltig stärken.“
Als Raubkunst gelten Kulturgüter, die die Nazis beschlagnahmten, und Besitz, zu deren Verkauf NS-Verfolgte gezwungen wurden. Die Opfer des Raubs waren vor allem Juden und als Juden Verfolgte. Das Ausmaß wird auf 600.000 Kunstwerke geschätzt, die zwischen 1933 und 1945 von den Deutschen in Europa gestohlen wurden.
Bund, Länder und Kommunen haben die unabhängige Kommission 2003 eingerichtet, um bei Differenzen über die Rückgabe zu vermitteln. Die entstehen zum Beispiel, wenn Privatpersonen und öffentliche Einrichtungen darüber streiten, wer rechtmäßig Eigentümerin oder Eigentümer des Kunstwerks ist. Voraussetzung für das Tätigwerden der Kommission ist das Einverständnis beider Seiten. Die Kommission kann zur Beilegung der Meinungsverschiedenheit allerdings nur rechtlich unverbindliche Empfehlungen geben – bisher waren es 23.
Nicht auf Augenhöhe
Zu wenige, kritisieren nicht nur jüdische Verbände. „Die Umsetzung der Empfehlungen dauert oft zu lang“, beklagt Rüdiger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Deutschland. Vor allem dringt Mahlo darauf, die Opferseite mehr zu berücksichtigen. „Die Nachkommen sind oftmals nicht auf Augenhöhe mit den öffentlichen Institutionen, weil jene zu jeder Zeit sagen können, wir brechen ab oder ziehen die Verhandlungen in die Länge.“
Mahlo spielt unter anderem auf einen aktuellen Streit an, der in Bayern angesiedelt ist: Die Erben von Paul von Mendelssohn-Bartholdy wollen das Picasso-Gemälde „Madame Soler“ zurück, weil das Werk unter Druck des NS-Regimes verkauft oder in Obhut eines Kunsthändlers gegeben worden sei. Die Gemäldesammlung in Bayern sieht sich jedoch als rechtmäßige Eigentümerin und sieht deswegen keinen Bedarf, vor die Kommission zu ziehen.
Ein Bau-Fehler
Im Fall von Picassos „Madame Soler“ seien die Provenienzforscher der Gemäldesammlung nach einer „äußerst sorgfältigen“ Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dem Werk nicht um NS-Raubkunst handle, heißt es von der bayerischen Staatsregierung. Anfang September beschloss nun der bayerische Ministerrat die Einbringung einer Bundesratsinitiative für eine gesetzliche Regelung zur Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut.
„Es ist ein Bau-Fehler der Kommission, dass man staatlichen Stellen zugesteht, dass sie sich einem von staatlicher Stelle gewünschten Verfahren entziehen können, wenn sie das möchten“, sagt Stephan Klingen, Kunsthistoriker und Leiter der Fotothek am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München. „Vor 20 Jahren ist man davor zurückgeschreckt, ein Restitutionsgesetz zu verabschieden, man wollte nicht gegen die Länder arbeiten.“
„Politisch schwer durchsetzbar“
Dennoch sieht er ein solches Gesetz kritisch. Gerichte seien meist zu wenig vorbereitet auf die moralisch-politischen Aspekte von Restitutionsverfahren. „Die Kommission bildet diese Situation mittels ihrer Zusammensetzung und Zielsetzung besser ab“, gibt Klingen zu bedenken.
Nach Ansicht der Kommission wären für ein Restitutionsgesetz, das auch die privaten Inhaber von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut mit erfassen möchte, weitgehende gesetzliche Änderungen vonnöten. „Ein solches Gesetz wäre sehr weitreichend und ich fürchte, es wäre politisch schwer durchsetzbar“, sagt Papier.
Auch kleine Reformen helfen
Aber auch kleinere Reformen könnten Stellung und Bedeutung der Kommission stärken, wie zum Beispiel eine Möglichkeit für die Nachfahren der Opfer, das Verfahren vor der Beratenden Kommission von sich aus in Gang zu setzen. Bisher kann die Kommission nur dann tätig werden, wenn beide Seiten, also sowohl die Nachfahren der Verfolgten als auch die Museen, der Anrufung zustimmen. Zum anderen fehle die rechtliche Verbindlichkeit der Empfehlungen der Kommission.
Auf die Stellungnahme der Kommission Anfang September hieß es prompt aus der Behörde der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), dass sich die Kulturstaatsministerin mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Rande der Klausur in Meseberg auf Kernpunkte für eine veränderte Verjährungsregelung, einen Herausgabeanspruch und einen einheitlichen Gerichtsstand verständigt habe. Demzufolge soll im Oktober über inhaltliche Punkte und Umsetzungsschritte zur Reform der Beratenden Kommission gesprochen werden. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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