Nebenan
Geschichte wiederholt sich
Konservative sind in diesem Lande immer die ersten gewesen, die Nazis Stück für Stück normalisiert und sie starkgemacht haben. Diese Anfänge sind wieder längst gemacht.
Von Sven Bensmann Montag, 18.09.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.09.2023, 8:15 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
„Die Geschichte wiederholt sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce.“, sagen die einen; „Wer seine Geschichte vergisst, ist verdammt, sie zu wiederholen.“ sagen die anderen. So oder so deutet sich an, dass tragische Geschichtsvergessenheit eine Forte deutscher Konservativer ist.
Am Ende ging es schließlich ganz schnell: Gerade erst hatte CDU-Chef Friedrich Merz die Brandmauer der Demokraten zu rechtsextremen Demagogen ideologisch zu Grabe getragen, da macht seine CDU in Thüringen Nägel mit Köpfen. Um großen Immobilienkonzernen deren Shareholder-Value zu sichern – statt Familien das Bauen zu vereinfachen, wie SPD, Linke und Grüne es gewollt hatten – hat die Union ebendort eine rechte Koalition mit der verfassungsfeindlichen, rechtsextremen Thüringen-AfD und der gelben AfD-Glatze Kemmerich geschmiedet und so ganz klargemacht, dass die Union keine Berührungsängste mehr mit dem Flügel des Faschisten Höcke mehr hat. Und das kann nichts Gutes für die Zukunft bedeuten.
Sicher, es gab wieder einen Aufschrei all derer in diesem Lande, die noch über einen Funken Anstand verfügen – aber die gehörten seit jeher nicht zur Kernwählerschaft der Union. Der schleswig-holsteinische Schwiegermuttertröster Daniel Günther stand deshalb selbst in seinem eigenen Landesverband ziemlich allein da, als er das so offene Kooperieren der CDU mit der rechtsextremen Höcke-AfD gar nicht mal so gut fand. Das stete Austesten nach rechts durch Merz und seine Union jedenfalls, von diesem weiterhin als „Streiten über die zukünftige Ausrichtung der CDU“ verharmlost, passiert dennoch erstaunlich unaufgeregt. Ebenso, wie ihre Wähler, folgt auch die Führungsebene der Union dem eigenen Rechtskurs, ganz so wie einst die AfD dem ihren:
Ein womöglich antisemitischer Hetzer und antidemokratischer Populist, der sich an ein „einschneidendes Ereignis“ (Selbstbezeichnung) in seiner Jugend nicht mehr erinnert, schon gar nicht daran, ob er damals eigentlich für oder gegen Juden war? Früher untragbar, heute als Koalitionspartner hofiert.
Ein gerichtlich verbriefter Faschist und seine erwiesen rechtsextreme Partei?
Früher sakrosankt, heute kann man mit so einem schonmal Gesetze vereinbaren.
Und die Anständigen rumoren ein: Wehret den Anfängen, da war doch schonmal was!
Nun, geht’s auch etwas konkreter? Logisch!
„Hat der Maggus den Schlussstrich gezogen, den der Bernd, die Alice und der Alexander immer wollten.“
Markus Söder hat vor Kurzem getönt, die Ampel sei die „schlechteste Regierung, die Deutschland je hatte“. Und auch wenn ich ihm gar nicht zugetraut hätte, ein solch waschechter Honecker-Fan zu sein, dass er die SED der Ampel vorzieht – auch da war doch noch was anderes…? Deutschland hat doch diese „tausendjährige Geschichte“, dazwischen noch ein tausendjähriges Reich, das allerdings nicht einmal 12 Jahre bestand. Und die Ampel soll nun wirklich schlechter sein als alles darin, inklusive der Kabinette unter Hitler? Ist dies eine Sympathiebekundung für den Führer und die Shoah, oder kann sich der Herr Söder am Ende mittlerweile auch an nichts mehr erinnern, dass vor 1945 stattfand, an Fliegenschisse? Hat der Maggus den Schlussstrich gezogen, den der Bernd, die Alice und der Alexander immer wollten, vergeben und vergessen? Man traut’s dem Maggus ja glatt zu, dass er das einfach mal selbst entscheidet und verkündet. Und dass das in Bayern dann auch noch Bestand hat, selbst wenn der Zentralrat der Juden freundlich anklopfen und erklären sollte, dass die Täter doch nicht selbst ihre Taten vergeben können. Es gibt schließlich auch Schlimmeres als Auschwitz und Dachau – Veggie-Tage und ein Heizungsgesetz beispielsweise. Und auf die schönen Autobahnen haben’s die Grünen ja auch noch abgesehen!
Verwunderlich ist meines Erachtens dann aber doch, wie wenig im Kontext der Thüringen-Affäre von der FDP gesprochen wird. Die war ja schließlich auch mal wieder mit dabei. Und sicherlich, die AfD ist letztlich nur ein Wiedergänger des alten FDP’schen Naumann-Kreises, die FDP selbst mittlerweile politisch völlig irrelevant, bis auf ihre Existenz als parlamentarischer Saboteur der Regierungskoalition komplett überflüssig. Aber sollten wir nicht erwähnen, dass die CDU eine Brandmauer immerhin behauptet hatte, die sie nun endgültig eingerissen hat – die FDP diese aber überhaupt nie konkret behauptet hat?
„Nazis sind wieder salonfähig.“
Sollte sie nach einer der kommenden Wahlen noch einmal in einem Landtag oder dem Bundestag auftauchen und in dieser Lage das Zünglein an der Waage spielen können, darf jedenfalls erwartet werden, dass sie einer Koalition von Union und AfD willig zur Seite springen wird – und das eine solche zweifelsohne und vielleicht schon kurzfristig kommen wird, ist nach dem fehlenden Einbruch in den Umfragen nach dem Flirt der Union mit der AfD in Thüringen und der Affäre Aiwanger in Bayern letztlich ausgemachte Sache. Die eigentliche Brandmauer, die gesamtgesellschaftliche Ächtung von rechtsradikalen Positionen nämlich, ist immerhin längst Geschichte. Nazis sind wieder salonfähig. Alles Gezetere, das wir noch erleben werden, alles Abstreiten, Abgrenzen, Behaupten ist nur Teil einer Inszenierung: Die Union radikalisiert ihre eigene Wählerschaft ebenso behäbig, wenn auch bedachter und planmäßiger, als die AfD die ihre – mit dem Ziel, eine neue Machtoption rechts von SPD und Grünen zu kreieren.
Aber seien wir heute mal fair. Nicht nur die Union hat in Sachen Nationalsozialismus offenkundig einen blinden Fleck. Kevin Kühnert (SPD) verkündete angesichts des gemeinsamen Gesetzesvorhabens von CDU, FDP und AfD in Thüringen, dass dies im deutschen Parlamentarismus etwas vollkommen Neues, nie Dagewesenes sei. Dabei müsste gerade er doch eigentlich wissen, dass es nach dem Verbot und der Verfolgung der Kommunisten im Dritten Reich nur noch seine eigene Partei war, die sich ihrer eigenen Gleichschaltung durch den Führer verweigert hatte, während das bürgerliche Spektrum, die Vorgänger der Union, geschlossen der Abschaffung ebendiesen Parlamentarismus‘ zugunsten des Führers zugestimmt haben. Gerade deswegen heißt es ja: „Wehret den Anfängen!“
„Diese Anfänge sind aber längst gemacht worden, heute sind wir endgültig in der Phase der Normalisierung angekommen.“
Konservative sind in diesem Lande immer die ersten gewesen, die sich rechtsextremen Führern an den Hals geworfen haben, die Nazis Stück für Stück normalisiert haben, die mit ihnen kooperiert haben und sie erst dadurch stark gemacht haben. Diese Anfänge sind aber längst gemacht worden, heute sind wir endgültig in der Phase der Normalisierung angekommen.
Die CDU hält derweil auf dem Papier noch immer daran fest, dass halblinke Konservative wie Bodo Ramelow genauso schlimm sind, wie Faschisten vom Schlage eines Bernd Höcke – und schließt mit beiden eine Kooperation formell aus. Nur: für Höcke scheint dies seit letzter Woche nicht mehr zu gelten. Meinung
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