Ansichten & Aussichten
Nette Leute
Die ganze weiße Welt an Bord: Urlaubsgespräche auf ein paar schwimmenden Metern - mit Christina, der Frau eines Policeofficers aus Florida, mit Brexit-Briten und einem Pärchen aus einem Deutschland ohne Ausländer.
Von Miriam Rosenlehner Dienstag, 19.09.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.09.2023, 8:27 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Die Hölle, das sind die anderen, schrieb der Philosoph Jean-Paul Sartre in seinem berühmtesten Werk. Auf einem Schiff mit 30 anderen war dagegen meine Vorstellung von Urlaub. Netter, deutscher Urlaub, bei dem man bedient wird, aufs Meer schaut und beim nächsten Swimstopp direkt vom Schiffsheck ins Wasser gleitet: Arriviertenurlaub, Freizeit für Aufsteiger:innen.
Es stellte sich heraus, dass auch Nichtdeutsche Urlaub auf Schiffen in der Adria machen. Die ganze Welt eigentlich: An Bord gingen Franzosen, Engländer, Iren, Neuseeländer, Südafrikaner, Nordamerikaner, Australier, Schweizer, Ostdeutsche und Westdeutsche. Ein schwimmendes soziologisches Experiment. Es verwunderte niemanden, dass trotz der kosmopolitischen Urlaubsgesellschaft alle außer mir weiß waren. Mich auch nicht, aber aus anderen Gründen. Bemerkenswert: Viele der vertretenen Weltgegenden haben erst seit der Kolonisierung weiße Bewohner. Es könnte Zufall sein, dass gerade sie Arriviertenurlaub auf der Adria machen. Das ist es aber natürlich nicht.
Nordamerika
„Ich hätte so viele Fragen gehabt. Aber er war misstrauisch und hielt stets Abstand. Vielleicht spürte er, dass er in meiner Kolumne landen würde.“
Die amerikanische Familie bestand aus einem Pärchen aus Florida in ihren späten Vierzigern und ihren jeweiligen Müttern, die um die 80 waren. Als ich zum ersten Mal an Deck kam, begrüßte mich Christina mit einem strahlenden Lächeln, rief und winkte über die Länge des Schiffs, um mich willkommen zu heißen. Sie war so sehr Florida, als sei sie einem Movie entstiegen. Christina machte in Real Estate, hatte sehr weiße Zähne, war blond und sportlich. Nicht ganz so sportlich wie ihr Partner John-Bob, ein riesiger austrainierter Bodybuilder, der Extraportionen beim Mittagessen bekam und vom obersten Deck ins Wasser sprang. Er sprach nicht mit mir, dabei hätte ich mich zu gerne einmal mit ihm unterhalten. Denn, Christina erzählte mir das mit unübersehbarem Stolz, er war Feuerwehrmann und Cop gewesen. Ein Cop aus Florida! Ich hätte so viele Fragen gehabt. Aber er war misstrauisch und hielt stets Abstand. Vielleicht spürte er, dass er in meiner Kolumne landen würde.
„Wir beide haben nicht dieselbe Assoziation beim Wort „Policeofficer“. Sie sieht in ihm Schutz. Ich sehe Gefahr.“
Einmal an Deck ging ich hinter ihm. Er überragte mich um zwei Köpfe und seine Schultern waren so breit, dass er den Seitengang des Schiffs vollständig auszufüllen schien. In seiner Nähe spürte ich eine undefinierbare Angst, eine Art körperliches Unsicherheitsgefühl. Das Bild überfiel mich, wie er in Uniform und bewaffnet wirken musste. Ich hatte eine Art Zwangsvorstellung einer Polizeikontrolle, in der ich ihm gegenüberstehen würde. Christina wollte ihn mir als amerikanischen Helden vorstellen, aber wir beide haben nicht dieselbe Assoziation beim Wort „Policeofficer“. Sie sieht in ihm Schutz. Ich sehe Gefahr. Ich sorge mich, dass er Leute wie mich als die ansieht, vor denen er Leute wie sie beschützen muss. Und ich glaube nicht, dass das zwei Meinungen sind, sondern ich glaube, Meinungen haben Geschichte.
Wenn ich John ansehe, sehe ich das andere Florida. Das, das gerade Schwarze Historie in Schulen verbietet. Florida, dessen neuer Lehrplan vorsieht, Schüler:innen beizubringen, welche Vorteile die Sklaverei gehabt habe – für Versklavte. Das Florida von Gouverneur Ron DeSantis. Dort werden gerade die Freedom Schools wieder notwendig – Sommerschulen, in denen Freiwillige aus der Community Schwarzen Kindern den Teil der Geschichte beibringen, den die öffentlichen Schulen nicht unterrichten dürfen. Die Verbotsgründe dafür sind, so liest man in den Begründungen der weißen Bildungsgremien, dass die gewalttätige Geschichte von Genozid, Sklaverei, „Rassen“trennung und Rassismus weiße Schüler sich unwohl fühlen lässt. Das englische Wort, das dafür in der Regel gebraucht wird, heißt „uncomfortable“. Ich finde es bezeichnend: Es stört den Komfort der Profiteure. John-Bob, der 2-Meter-Mann, erinnert mich an dieses Florida und Christina kann es mit ihrem Lächeln nicht wettmachen. Warum wird einer wie er Cop? Und noch viel wichtiger: Warum hört einer wie er auf, Cop zu sein? Ich hätte so viele Fragen gehabt, aber John-Bob mied mich.
Debbie
„Sie sprach über meine Gesichtszüge, die sie wohl eben mit ihrer inneren Rassentafel abgeglichen hatte und für nicht so schlimm befand.“
John-Bobs Mutter mied mich nicht. Die betagte, rundliche Dame saß neben mir am Heck des Schiffes und machte freundliche Konversation. Sie war über 80, wurde also in den 1940ern geboren. Eine Südstaatlerin, die die „Rassen“trennung erlebt haben muss, die mit dem kulturellen Erbe der Sklavenhalterstaaten aufgewachsen sein muss. Debbie lächelte und lobte mein Haar. Wir kannten uns nicht, aber sie fasste ungefragt in meine Locken. Dann fragte sie mich die altbekannte Frage, die so häufig einen Vorfall mit Rassismus einleitet: „Wo kommst du her, woher kommen deine Eltern?“ Ich verzieh ihr sofort. Und ich war so gespannt, wie weit sie gehen würde, deshalb erzählte ich es ihr: Vater Ostafrika, Mutter das Kind einer Deutschen und eines amerikanischen Soldaten. Mehrmals versuchte ich, das Gespräch auf diesen Amerikaner in der Familie zu lenken, aber Debbie interessierte etwas anderes. Sie wollte mehr über Afrika wissen. Nur 3 Sätze später lobte sie jetzt andere meiner Körperteile: „Du hast nicht diese Negrotraits“ sagte sie, „nice“, legte sie nach. Damit meinte sie körperliche Merkmale, wie sie in West- und Zentralafrika häufig sind. Sie sprach über meine Gesichtszüge, die sie wohl eben mit ihrer inneren Rassentafel abgeglichen hatte und für nicht so schlimm befand.
Beim nächsten Swimstopp stieg auch Debbie über die Badetreppe vom Schiff ins Meer. Sie benutzte einen grünen Schwimmreifen, aber die wilde Adria hatte Strömung. Ich hörte, wie sie sich zunächst beklagte. Ein paar Minuten später bekam ich das Gefühl, dass sie nicht gegen die Strömung ankam. Ich schwamm näher und fragte, ob ich helfen sollte. John-Bob rief vom Schiff: Wir machen das selbst! Der Held. Aber der Hechtsprung ins Wasser blieb aus. Debbie war merklich erschöpft und inzwischen schon nicht mehr gut ansprechbar. Nach John-Bobs Ruf traute ich mich nicht, Debbie anzufassen. Deshalb zog mein Partner sie schließlich bis zur Badetreppe des Schiffs, wo John-Bob seine Mutter aus dem Wasser fischte.
„Der Respekt, den sie nicht fühlen konnte, während sie in meine Haare griff und über meine Gesichtszüge sprach, als würde ich mit meiner spitzen Nase und meiner helleren Haut einen besseren Preis auf dem Sklavenmarkt erzielen.“
Später musste ich dran denken, dass ich Debbie selbstverständlich um Erlaubnis gefragt hatte, bevor ich sie aus dem Wasser ziehen wollte. Obwohl sie schwach war, habe ich gefragt, bevor ich sie anfassen wollte. Das ist also Respekt. Der Respekt, den sie nicht fühlen konnte, während sie in meine Haare griff und über meine Gesichtszüge sprach, als würde ich mit meiner spitzen Nase und meiner helleren Haut einen besseren Preis auf dem Sklavenmarkt erzielen.
We want our country back
Die Urlaubswoche war bereits fortgeschritten und in mir reifte die Idee für diese Kolumne. Diesmal begann mein Partner ein gezieltes Gespräch mit United Kingdom. Harriet und Steve waren in ihren 70ern, sie war an diesem Abend an Deck mit echtem Schmuck behängt, seine blaue Windjacke flatterte in der Brise. Harriet rauchte und lachte gern. Als wir sie nach dem Brexit fragten, waren die beiden gleich bei der Sache: „I voted out!“ erklärte Harriet und Steve stimmte zu. Wir gaben die wirtschaftlichen Folgen zu bedenken, aber Steve wischte das vom Tisch: Ohne Covid würde es Großbritannien gut gehen. Warum genau haben die beiden mit „out“ gestimmt? „Wir wollten unser Land zurück“, erklärte Steve. „Europa schickt uns die ganzen Flüchtlinge.“ Und den Frieden, den Europa an der nordirischen Grenze gebracht hat? Harriet winkte ab: „Gebt es ihnen!“ Ungläubig sah ich sie an. Nordirland an die Republik zurückgeben? Wirklich? Sie denkt kurz nach und ist dann nicht mehr so sicher. Was ist mit Schottland, fragte mein Partner. Sollen die auch unabhängig werden können? Das ist der Punkt, wo das Königreich den beiden doch zu klein wird. Schottland bleibt britisch, wenn es nach Harriet und Steve geht. Den fortgeschrittenen Abend beendete Steve lachend: „I am sorry, that we didn’t fix the world today.“ Nette Leute.
Mecklenburgische Seenplatte
Susanne und Volker kamen aus einem Idyll. Sie vermieteten dort sogar eine kleine Datsche. Sein Dialekt klang für mich nach der norddeutschen Küste. Er war ein Naturmensch, oft schweigsam, manchmal ein bisschen wütend. Die beiden wirkten auf mich bodenständig, sie waren sich selbst genug. Susanne war Architektin, Volker war früher LKW-Fahrer gewesen. Das gefällt mir. Ist im Westen selten, dass die Frau den höheren Bildungsabschluss oder angeseheneren Beruf hat.
Immer wenn wir mit unseren geplänkelten Gesprächen in tiefes Wasser gerieten, setzte Volker an, aber Susanne stoppte ihn. Arglos sagte sie, bei ihnen gebe es keine Ausländer. Über das Thema habe sie aber in der Zeitung gelesen.
„Ich fühle mich im Osten nicht sicher, weil ich nicht weiß bin, aber das sagte ich nicht.“
Die beiden luden uns ein, sie einmal in der Datsche besuchen zu kommen. Ihre Freundlichkeit freute mich. Ich fragte, wie es ist an der Mecklenburgischen Seenplatte. Ich fragte das, weil ich noch nie dort gewesen bin und vermutlich nicht hinfahren werde. Denn ich habe auch Zeitung gelesen: Vor ein paar Wochen z.B. musste eine Berliner Schulklasse bei Nacht ihre Klassenfahrt abbrechen und abreisen, weil vermummte Rechtsradikale sie überfallen hatten. Ich fühle mich im Osten nicht sicher, weil ich nicht weiß bin, aber das sagte ich nicht. Wenn darüber mal einer in der Zeitung schreiben würde, wüssten Susanne und Volker vielleicht mehr darüber, warum es bei Ihnen „keine Ausländer“ gibt. Ich habe mir diese Diskussion jedenfalls gespart, schließlich hatte ich Urlaub.
Jean-Paul Sartre sagte, die Hölle, das sind die anderen. Ich muss sagen: Die anderen, das sind nette Leute.
Meinung
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