Kritik und Applaus
CDU-Thesen zur Wende bei Flüchtlingspolitik
Zwölf Thesen, zwei Seiten. Schwarz auf weiß hält die CDU-Fraktion fest, wie sie das Steuer in der Flüchtlingspolitik herumreißen würde. Darunter: Zuzug-Bremse aus der Ukraine. Für die meisten Forderungen ist die Bundesregierung zuständig - wenn sie überhaupt umgesetzt werden können.
Mittwoch, 20.09.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.09.2023, 17:27 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Angesichts der steigenden Zahl von Geflüchteten fordert die baden-württembergische CDU-Landtagsfraktion ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik. „Wir brauchen eine 180-Grad-Wende in der deutschen Migrationspolitik“, sagte CDU-Fraktionschef Manuel Hagel nach Worten eines Fraktionssprechers vom Mittwoch.
Man wolle den grünen Koalitionspartner ins Boot holen, um eine entsprechende Bundesratsinitiative der Landesregierung auf den Weg zu bringen. In einem Thesenpapier formuliert die Fraktion zwölf Forderungen, die sich zum großen Teil an den dafür zuständigen Bund richten. So müsse die Ampel-Bundesregierung endlich feststellen, dass es sich bei den Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien um asylrechtlich sichere Herkunftsländer handele. Grenzkontrollen sollten je nach Situation zeitweise wieder eingeführt werden. Zuvor hatte der SWR berichtet.
Keine Geldleistungen mehr
„Wir müssen stets wissen, wer ins Land kommt und sich hier aufhält“, heißt es in dem Papier. Das betreffe mit Blick auf Baden-Württemberg vor allem die EU-Außengrenze zur Schweiz. „Auch gegen innereuropäische Grenzkontrollen, wie zu Frankreich oder Österreich, dürfen wir uns nicht von vorneherein verschließen“, heißt es im Papier weiter. Einmal abgeschobene Straftäter dürfen nach Ansicht der CDU-Fraktion nicht wieder einreisen. Außerdem sei es „ein unhaltbarer Zustand“, dass eine Abschiebung „ohne Weiteres“ verhindert werden könne durch einen Asylfolgeantrag mit aufschiebender Wirkung.
Reine Geldleistungen müssten ersetzt werden, lautet eine weitere Forderung. „Um Fehlanreize für eine Migration nach Deutschland ohne Asylgrund abzubauen, ist es sinnvoll, allen ausreisepflichtigen Personen und Folgeantragstellern vorrangig Sachleistungen in Höhe des absoluten Mindestbedarfs zu gewähren. Dies könnte zum Beispiel teils mit Chipkarten gelingen, mit denen Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs gekauft werden könnten.
Haseloff zweifelt
Sach- statt Geldleistungen sieht Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) indes kritisch. „Es ist oftmals eine Frage der Praktikabilität“, sagte Haseloff am Dienstag in der RTL/ntv-Sendung „Frühstart“. Für die Kommunen sei es technisch und organisatorisch sicherlich schwieriger, Sachleistungen zu gewähren. Ein Teil könne auch wiederum in Finanzleistungen einmünden, dazu gebe es bereits Urteile.
Auch die Kommunen zeigten sich wegen des Bürokratieaufwands bei Sachleistungen skeptisch. „Es hat immer wieder Anläufe gegeben, die aber zugleich den enormen bürokratischen Aufwand einer solchen Lösung und den geringen Effekt verdeutlicht haben“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dem „Tagesspiegel“. Bei einer Umstellung müssten trotzdem gewisse Taschengeldzahlungen geleistet werden. Der Aufwand wäre noch höher, wenn unterschieden werden müsse zwischen Menschen mit guter Bleibeperspektive und solchen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Asylanspruch hätten.
Weniger Zuzug aus der Ukraine
Auch der Zuzug aus der Ukraine sollte gebremst werden, ginge es nach der CDU. Ukrainische Flüchtlinge sollten ab einem Stichtag nicht mehr direkt ins Bürgergeldsystem aufgenommen werden. „Wir müssen weitere Pull-Faktoren nach Deutschland unbedingt vermeiden“, formuliert es die Fraktion. Sie warnte die Ampel-Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen auch davor, andere Asylbewerber in den Genuss so hoher Sozialleistungen kommen zu lassen.
Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg warf der CDU vor, die wirklichen Gründe für Flucht und Migration zu verkennen und Stimmung gegen geflüchtete Menschen zu schüren. „Die Vorschläge der CDU zeugen davon, dass sie offensichtlich immer noch dem Irrglauben aufsitzt, dass weniger geflüchtete Menschen nach Deutschland kommen, wenn die Aufnahmebedingungen nur abschreckend genug gestaltet würden“, sagte die Co-Geschäftsführerin des Vereins, Anja Bartel.
Grenzkontrollen: Polizeigewerkschaften uneins
Dagegen begrüßte die Deutsche Polizeigewerkschaft vor allem die Forderung nach Grenzkontrollen: „Wenn wir nicht ein System finden, dass die illegale Einreise verhindert, führt das zu einem ungewollten Rechtsruck in Deutschenland“, warnte deren Landesvorsitzender Ralf Kusterer. Selbst der dringend notwendige Schutz von Schutzsuchenden schwinde in der Bevölkerung, wenn die illegale Einreise nicht begrenzt werde. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke sicherte der CDU die Unterstützung zu, sollten entsprechende Initiativen in den Landtag eingebracht werden.
Die Gewerkschaft der Polizei hingegen verwies darauf, dass alle Asylbewerber an der Grenze trotz Grenzkontrollen aufgenommen und an die Erstaufnahmeeinrichtung verwiesen würden. Bereits heute sei es bei verdachts- und anlassunabhängigen Personenkontrollen die Hauptaufgabe der Polizei von Bund und Land, Schutzsuchende zu registrieren und an die Erstaufnahme zu verweisen. Zurückweisungen und Zurückschiebungen seien im Regelfall unzulässig, wenn Asyl begehrt wurde.
Kühnert: Obergrenze ist untauglich
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert zufolge ist die Forderung nach einer Migranten-Obergrenze „untauglich“. Seit Jahren werde in Deutschland über eine sogenannte Obergrenze diskutiert, sagte Kühnert am Dienstag in der ARD-Talkshow „Maischberger“. Doch alle, die sie vorgeschlagen hätten, hätten irgendwann einsehen müssen, dass sie nicht durchsetzbar sei. „Wir haben ein individuelles Recht auf Prüfung eines Asylanspruchs, und das richtet sich eben nach der persönlichen Bedrohungssituation“, sagte Kühnert. (dpa/mig) Aktuell Politik
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