Krachende Niederlage
Gericht stoppt Sunaks Asyl-Pakt mit Ruanda
Er werde Flüchtlinge stoppen, hatte Premierminister Sunak versprochen. Doch sein Plan, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern, wird vom Obersten Gericht zerpflückt. Nun dürfte der Druck auf den Regierungschef aus den eigenen Reihen weiter steigen.
Von Benedikt von Imhoff und Christoph Meyer Mittwoch, 15.11.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16.11.2023, 12:20 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Bei einem seiner wichtigsten politischen Projekte hat der britische Premierminister Rishi Sunak eine krachende Niederlage vor Gericht erlitten. Der Oberste Gerichtshof verwarf am Mittwoch die Pläne des konservativen Regierungschefs als rechtswidrig, irregulär eingereiste Migranten ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda abzuschieben und dort einen Asylantrag stellen zu lassen. Trotzig kündigte Sunak daraufhin an, seine Pläne per «Notfall-Gesetzgebung» doch noch durchsetzen zu wollen und Ruanda zum sicheren Drittland zu erklären.
In einer Pressekonferenz nahm Sunak Forderungen des rechten Flügels seiner Konservativen Partei auf, einen Einspruch von Betroffenen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abzublocken. Die Abschiebeflüge nach Ruanda würden im Frühjahr abheben, sagte der Premier. „Ich werde nicht zulassen, dass ein ausländisches Gericht diese Flüge verhindert.“ Als möglich gilt auch, dass Großbritannien die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verlässt.
Gericht sieht erhebliche Probleme für Flüchtlinge in Ruanda
Das oberste britische Gericht machte in seiner Urteilsbegründung umfassend deutlich, dass es das ostafrikanische Ruanda nicht als sicheres Drittland betrachtet. Dabei berief sich der Supreme Court vor allem auf Berichte des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sowie frühere britische Angaben über außergerichtliche Hinrichtungen, Todesfälle in Haft sowie Folter und eine hohe Ablehnung von Asylanträgen aus Konfliktgebieten wie Syrien.
Es besteht demnach die Gefahr, dass Geflüchtete keine Chance auf ein faires Asylverfahren in Ruanda haben und ihnen eine Abschiebung in ihr Heimatland droht. Das Gericht betonte, nicht nur die EMRK, sondern auch die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen und andere Abkommen würden die Rückführung von Asylsuchenden verbieten.
Stopp der irregulären Migration ist ein zentrales Versprechen
Sunak hat versprochen, die kleinen Boote zu stoppen, mit denen Menschen über den Ärmelkanal das Land erreichen. Im vergangenen Jahr kamen mehr als 45.000 Personen auf diesem Weg nach Großbritannien. Zwar ist 2023 die Zahl bislang niedriger als im Vorjahresvergleich, doch das Versprechen gilt noch nicht als eingelöst. Der Ruanda-Plan war ein zentraler Bestandteil von Sunaks Regierungsprogramm – das Urteil ist daher für den Premier ein weiterer Rückschlag. Seine Tories liegen in Umfragen weit hinter der Oppositionspartei Labour. Die nächste Parlamentswahl findet spätestens im Januar 2025 statt.
Vorgesehen war, Geflüchtete künftig ohne Prüfung eines Asylantrags direkt nach Ostafrika abzuschieben und dort um Schutz suchen zu lassen. Eine Rückkehr nach Großbritannien war demnach ausgeschlossen. Das Vorhaben, für das die britische Regierung bereits mehr als 140 Millionen Pfund an Ruanda gezahlt hat, war im In- und Ausland auf heftige Kritik gestoßen. Das UNHCR hatte das Vorgehen als Bruch internationalen Rechts verurteilt. Englands Bischöfe sprachen von einer „Schande für Großbritannien“. Zudem gibt es Zweifel, ob der erhoffte Abschreckungseffekt tatsächlich eintreten würde.
Erste Reaktion von Sunak beruhigt rechten Tory-Flügel
Die Gerichtsentscheidung hatte Sunak in seiner Partei unter Druck gesetzt. Vor der Presse zeigte er nun Verständnis für „emotionale“ Forderungen wie die von Vize-Geschäftsführer Lee Anderson, er solle das Urteil ignorieren und Migranten kurzerhand ins nächste Flugzeug setzen. Die Briten hätten genug davon, dass ihr Parlament nicht das tun dürfe, für das es gewählt worden sei, sagte Sunak.
Das Zugeständnis des 43-Jährigen dürfte den rechten Parteiflügel beruhigen, der seit dem Rauswurf der bisherigen Innenministerin Suella Braverman in Aufruhr war. Die Rechtsaußen-Politikerin, die nach Ansicht von Kommentatoren nach der erwarteten Wahlschlappe selbst Tory-Chefin werden will, hatte Sunak nach ihrer Entlassung vorgeworfen, er habe die Wähler belogen und das Land betrogen.
Im Parlament kündigte Bravermans Nachfolger James Cleverly nun einen neuen Vertrag mit Ruanda an. Dabei solle verankert werden, dass Asylsuchende nicht in ein anderes Land weitergeschoben werden können. Doch selbst im Falle eines neuen Vertrags gilt als unwahrscheinlich, dass bald ein Flugzeug nach Ruanda abhebt. Kommentatoren betonten, der Supreme Court habe institutionelle Probleme in Ruanda kritisiert.
Britische Regierung verweist auf Debatte in Deutschland
Cleverly sagte, dass andere Länder in ihrer Asylpolitik dem britischen Beispiel folgen würden und verwies auch auf Deutschland. Zuletzt hatte es in der EU und in Deutschland Forderungen nach der Auslagerung von Asylverfahren in Drittländer gegeben. Der Bund bekräftigte dabei auch auf Drängen der Ministerpräsidenten, er wolle Asylverfahren außerhalb Europas prüfen. Ein Bund-Länder-Beschluss geht hier allerdings nicht ins Detail. Die SPD-Ministerpräsidenten machten aber deutlich, sie könnten sich allenfalls vorstellen, dass Asylgesuche noch vor der Einreise geprüft werden. Ein One-Way-Ticket nach Ruanda, wie es Großbritannien plant, lehnten sie ab.
Italien vereinbarte kürzlich mit Albanien den Aufbau von zwei Zentren in dem Balkanstaat zur Aufnahme von Geflüchteten. Menschen, die von Schiffen der italienischen Behörden gerettet werden, sollen in Albanien ihr Asylverfahren zu durchlaufen. Nur Menschen, deren Asylantrag bewilligt wird, sollen dann nach Italien gebracht werden. (dpa/mig) Aktuell Ausland
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