Integration in Rheinland-Pfalz
„Wir schaffen mit unserem Perfektionismus Standards, die nicht erfüllbar sind“
Ein fast leeres Einkaufszentrum, ein umgebautes Bürogebäude und immer wieder Container: Die Unterbringung Geflüchteter in Wohnungen ist längst nicht immer möglich. Wie geht es in Rheinland-Pfalz weiter nach der Bund-Länder-Runde zu den Flüchtlingskosten?
Sonntag, 26.11.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 26.11.2023, 10:59 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Integrationsministerin Katharina Binz will mehr Plätze für die Erstaufnahme von geflüchteten Menschen schaffen und sie nicht zu früh auf die Kommunen verteilen. Das Integrationskonzept des Landes von 2017 soll Anfang 2024 fortgeschrieben werden – mit enger Einbindung der Kommunen, wie die Grünen-Politikerin im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Mainz sagte. „Es macht nur Sinn, wenn wir am Ende ein Integrationskonzept aus einem Guss haben.“ Und: Kooperationen zwischen den „extrem belasteten“ Ausländerbehörden der Kommunen sollten die freiwillige Ausreise und die Abschiebungen nicht anerkannter Asylbewerber beschleunigen.
„Die Kommunalen Spitzenverbände sind erleichtert darüber, dass für die Finanzierung der Flüchtlingskosten für 2024 deutlich mehr Mittel bereitgestellt werden“, sagte Andreas Göbel vom Landkreistag im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur über die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) Mitte November. Das Land wird die Kommunen im kommenden Jahr mit zusätzlich 267,2 Millionen Euro unterstützen.
„Die Finanzierung der Flüchtlingskosten für 2023 und 2025 ist aber noch offen“, mahnte der Hauptgeschäftsführende Direktor. Der Landkreistag – der derzeit für alle drei kommunalen Spitzenverbände spricht – wünsche sich so schnell wie möglich „eine Klärung der strukturellen Finanzierungsfragen“ – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung. Vordringlich sei aber die Integration der geflüchteten Menschen, betonte Göbel.
Weniger Perfektion bei der Integration
Bei der geplanten Aktualisierung des Integrationskonzepts müsse mit Best-Practice-Beispielen zur Orientierung gearbeitet werden. Dabei komme es auch auf das Ehrenamt an. „Aber auch die Ehrenamtlichen brauchen Unterstützung und Begleitung, sonst überfordert man sie“, betonte Göbel. „Und Überforderung ist schon jetzt fast überall gegeben.“
Bei der Integration müsse auch viel mehr auf integrationswillige Flüchtlinge gesetzt werden. „Sie können sich in die Lage hineinversetzen und so kann man den Personalmangel auch etwas abmildern“, sagte Göbel. Es sei besser, wenn eine geflüchtete Mutter von drei Kindern in einer Kita aushelfe, als kein Angebot zu haben. „Wir schaffen mit unserem Perfektionismus Standards, die nicht erfüllbar sind“, mahnte Göbel. „Wir können da auch von den Flüchtlingen lernen: Wir perfektionieren nur und können gar nicht mehr improvisieren.“
„Integration hängt mit anderen Themen zusammen“, betonte Binz. „Geflüchtete, die in Arbeit kommen, sind dann auch nicht mehr im Leistungsbezug. Sie ziehen auch schneller in eigenen Wohnraum um, das entlastet die Kommunen, das schafft Akzeptanz, das ist gut für die Gesellschaft, denn wir haben Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel.“
Der Städtetag unterstützte bei seiner Mitgliederversammlung die Pläne des Landes, mit den Kommunen das Integrationskonzept weiter zu entwickeln. Die Integration sei eines der wichtigsten Themen „und gehört ganz oben auf die politische Agenda“, sagte David Langner, Vorsitzender des Vorstands des Städtetages nach der Mitgliederversammlung am Donnerstag. Dabei müssten alle Schritte von der Erstzuweisung der Flüchtlinge bis zur Einschulung von Kindern und zur Arbeitsmarktintegration erfasst werden. Migration und Integration müssten zusammen gedacht werden, von Beginn an. „Wichtig aus Sicht der Städte ist, dass nur Menschen mit einer guten Bleibeperspektive in die Kommunen verteilt werden“, betonte Langner (SPD), der auch Oberbürgermeister in Koblenz ist.
Als positives Beispiel nannte Göbel die Vermittlung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Kreis Alzey-Worms: Von 214 habe der Kreis 180 in Ausbildung und Arbeit bekommen. „Eine Super-Quote. Dies zeigt, was möglich ist, wenn man die Leute richtig betreut. Aber es ist natürlich extrem personalintensiv.“
Als negatives Beispiel nannte er, junge Männer mit einer extrem hohen Bleibewahrscheinlichkeit ohne jede Anbindung auf ein Dorf zu verteilen, in dem der letzte Bus um 18 Uhr fährt. „Das können wir uns nicht leisten und hat auch nichts mit Humanität zu tun“, betonte Göbel. „Das führt zu Misstrauen in der hiesigen Bevölkerung, weil es keine Berührungspunkte mehr gibt. Und die Flüchtlinge sind maximal verunsichert, weil ihnen überhaupt keine Perspektive gegeben wird, wie sie sich hier einfinden sollen.“
Mehr Plätze in den Aufnahmeeinrichtungen schaffen
„Wir brauchen eine neue Langfristplanung für die Erstaufnahme von Flüchtlingen: Wie stellen wir unsere Standorte auf, und welche können wir noch dazu gewinnen?“, stellte Binz fest. „Das Land ist wirklich bemüht, die Erstaufnahmekapazitäten auszuweiten“, sagte Göbel. „Es gibt aber vor Ort Widerstand.“ Denn sinnvoll sei es nur, Flüchtlinge mit Bleibeperspektive weiter auf die Kommunen zu verteilen.
Neben den bestehenden fünf Aufnahmeeinrichtungen für Asylbegehrende (AfA) plus Außenstelle im Hunsrück sollen neue Standorte gewonnen werden. „So dass wir künftig nur die schon Angehörten weiter auf die Kommunen verteilen können. Das ist uns ganz, ganz wichtig“, betonte Binz. Das Land unterstützt die Standorte finanziell: Im laufenden Jahr mit rund 1,6 Millionen Euro, im kommenden Jahr sind drei Millionen Euro eingeplant.
„Unser AfA-Konzept ist von der Wirklichkeit überrollt worden“, stellte Binz fest. Die Plätze in den AfA seien zwar von 3.300 auf 6.600 verdoppelt worden – gebraucht hätte man aber fast 8.000. Wie viele Plätze es werden könnten, hänge auch mit den Kapazitätsausweitungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zusammen, betonte Binz. „Eine Zielgröße von vielleicht 8.000 Plätzen bringt nichts, wenn das Bamf nicht seine Kapazitäten auch danach ausrichtet. Wir brauchen dafür eine Harmonisierung.“
„Alle Kommunen wollen die Geflüchteten dezentral unterbringen“, sagte Binz. „Das hat auch lange sehr gut funktioniert, aber irgendwann ist es auch für die Landkreise schwer, die Menschen noch dezentral unterzubringen“, sagte die Ministerin. „Es wird auch nächstes Jahr Container für Geflüchtete geben.“
Zuwanderung insgesamt begrenzen
„Die ganzen Beschlüsse der MPK sind alle Makulatur, wenn es nicht gelingt, die Zuwanderung zu begrenzen“, betonte Göbel. „Wir werden dann auch denjenigen, die hierher kommen, nicht gerecht. Dann kann ich nicht integrieren.“ Es dürfe nicht sein, „dass Paketbote die Krönung dessen ist, was erreicht werden kann“, sagte Göbel. „Da lockt man die Menschen auch in eine gewisse Falle. Die enttäuschten Erwartungen sind vorprogrammiert, mit allen negativen gesellschaftlichen Folgen.“
Auch Binz betonte: Rückführungen – freiwillige Ausreise und Abschiebung – „gehören zum Geschäft dazu“. Um sie zu beschleunigen, sollten einige Ausländerbehörden im Land „gebündelt“ werden und die Aufgaben für die anderen mit übernehmen. „So können wir dann auch Kompetenzen bündeln. Das sind oftmals schwierige rechtliche Fragen und man braucht oftmals auch Kenntnisse, was die Herkunftsländer angeht“, sagte Binz. „Wir wollen, dass die Ausländerbehörden in der Fläche so entlastet werden und sich dann mehr damit beschäftigen können, wie kriegen wir die Leute in Arbeit oder wie können wir andere Integrationsfragen umsetzen?“ (dpa/mig) Aktuell Politik
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