Nebenan
Der Markt kann meinen Schmerz nicht lindnern
Wären SPD und Grüne klüger, als sie sind, würden sie wissen, dass ein bloßes Durchhalten in dieser Koalition den Roten und den Grünen massiv schadet.
Von Sven Bensmann Montag, 27.11.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.11.2023, 10:47 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Da haben wir also den Salat: Die Union hat den von dem deutschen Finanzgenie Christian Lindner schludrig zusammenflickten Etat erfolgreich torpediert und damit die deutsche Wirtschaft in eine veritable Krise gestürzt – und aufgrund des Vetos der FDP zur Abschaffung der Schuldenbremse, und damit zu anderen Investitionen in ein zukünftiges Wirtschaftswachstum, sowie zu Steuererhöhungen, um das Minus auszugleichen, wird das wohl auch so bleiben.
Es braucht endlich eine Regierung, für die Investitionen in Schienen, in Straßenbahnen und Schulen nicht bloß Ausgaben sind, sondern Investments, bei denen entscheidend ist, ob ihre Rendite größer ist als die inflationsbereinigten Kosten – um im Denken dieser Leute zu bleiben. Was bringt uns eine schwarze Null, wenn sie sich ja doch nur im Bundestag den Arsch platt sitzt, in der Hoffnung wider Erwarten vielleicht doch noch Bundeskanzler zu werden?
Wenn wir kommenden Generationen die Wahl ließen, ob sie lieber in einem schuldenfreien Sudan oder einem heillos überschuldeten (und übrigens auch wirtschaftswachstumsfreien) Japan zu leben, welche Wahl würden sie dann wohl treffen? Und natürlich wäre es genau deshalb gerade jetzt auch dringend nötig, in den Bau von bezahlbarem Wohnraum zu investieren, statt dieses Geschäft denjenigen privatwirtschaftlichen Großunternehmen zu überlassen, deren Geschäftsmodell am meisten von Wohnraumknappheit profitiert. Leider fehlt dieser Wirtschaftsverstand in großen Teilen der deutschen Politik allerdings – und die, die ihn haben, werden gnadenlos von der von Immobilienanzeigen abhängigen privaten Presse kaputtgeschrieben.
„Deutschland ist abhängig von Zuwanderung, um seinen Wohlstand zu erhalten. Statt sich aber dieser Wahrheit zu stellen…, werden Gemeinden gezielt auf den Kosten sitzen gelassen und ausgeblutet, um angebliche Notlagen zu inszenieren.“
Und selbiges gilt ja auch für Migration: Deutschland ist abhängig von Zuwanderung, um seinen Wohlstand zu erhalten. Statt sich aber dieser Wahrheit zu stellen und massiv in diejenige Infrastruktur zu investieren, die es braucht, neu Zugezogene zu integrieren, werden Gemeinden gezielt auf den Kosten sitzen gelassen und ausgeblutet, um angebliche Notlagen zu inszenieren, während man gleichzeitig so tut, als könnte sich Deutschland aussuchen, wer kommt; als würde die indonesische Neurochirurgin, der nairobische Solaringeneur und der kasachische Pen-Tester Schlange stehen, wenn wir erst einmal all die Syrer losgeworden sind, weil Deutschland sich darin gegenüber Ausländern so offen und freundlich vermarktet hat; und natürlich auch, weil die Sprache so herrlich einfach ist. Wer geht denn da schon freiwillig in die USA, nach Russland oder ins UK, deren Sprache man womöglich bereits in der Schule gelernt hat?
Zur Wahrheit gehört doch – und das wird zumeist genutzt, um uns Angst zu machen: Die Mehrheit der Menschen, die hierher kommt ist „blutjung“, wie es so schön heißt, könnte also hier ausgebildet werden auf die Stellen, für die es gerade niemanden gibt. Dass mag dann gelegentlich auch mal teurer sein, als mit viel Geld ausländische Fachkräfte anzuwerben, aber so ist das halt mit Investments – manchmal gewinnt man, mal verliert man. Hauptsache ist doch, dass unterm Strich keine schwarze Null Bundeskanzler wird.
„SPD und Grüne … müssten jetzt eigentlich noch härter auf all diese Mechanismen und Regelungen pochen, die der gesunde Menschenverstand diktiert und bis dato vor allem an der FDP scheitern.“
Und nicht, dass ich besonderes Vertrauen in diese beiden Parteien hätte, aber: Wären SPD und Grüne klüger, als sie sind, würden sie dies als Chance für sich nutzen. Beide Parteien müssten jetzt eigentlich noch härter auf all diese Mechanismen und Regelungen pochen, die der gesunde Menschenverstand diktiert und bis dato vor allem an der FDP scheitern – und noch mehr, wie beispielsweise das immer wieder herausgekramte und irrwitzige Firmenwagenprivileg oder der Steuernachlass auf Diesel. Dann bleibt der FDP nichts übrig als entweder einzuknicken – und wenn sie aufpasst, fällt vielleicht sogar etwas Wirtschaftsverstand für die Partei dabei ab – oder, noch besser: Sie sprengt ernsthaft diese Koalition, die sie ohnehin nach Kräften sabotiert und darf in Zukunft die 5%-Hürde von unten betrachten.
Noch besser wäre es auch deshalb, weil einerseits ein bloßes Durchhalten in dieser Koalition den Roten und den Grünen massiv schadet, andererseits weil eine Bundestagswahl noch vor den Landtagswahlen die aktuellen Probleme der CDU/CSU skrupellos offenlegte. Lässt man die Union im nächsten Jahr erst einmal auf Landesebene die Stimmung für ein schwarz-blaues Bündnis vorsichtig ausloten, festigt das die Partei intern und erlaubt zudem die weitere Suche nach einem geeigneten Kanzlerkandidaten. Findet die Wahl allerdings schon zu früh im Jahr statt, ist das zu wenig Zeit für die massentauglicheren Kandidaten der Union, sich zu positionieren und ihre Truppen zu sammeln, so dass sie den Kanzlerkandidaten Merz nicht mehr würden verhindern können.
„Merz, glaubt noch immer daran, er sei die Stimme all der mittelklassigen Privatflugzeugbesitzer, des Klempners von Nebenan, der Bäckereifachverkäuferin oder des Altenpflegers, welche nach Feierabend ebenso gern mal kurz für ein paar Austern rüber nach Sylt jetten.“
Merz, der noch immer glaubt, er sei die Stimme all der mittelklassigen Privatflugzeugbesitzer, des Klempners von Nebenan, der Bäckereifachverkäuferin oder des Altenpflegers, welche nach Feierabend ebenso gern mal kurz für ein paar Austern rüber nach Sylt jetten – sofern sie denn auch so hart arbeiten wie er – würde es zum Verhängnis werden, dass seine „gehobene Mittelstand“-Bubble ihn genau darin sogar noch bestärkt. Das in der Folge und gemessen an der Erwartungshaltung eher schwache Ergebnis der Union in der Bundestagswahl führte diese gleich in eine nächste Krise, aus der dann womöglich gesellschaftsliberalere und weniger AfD-offene Kreise als Gewinner hervorgingen – auch dies ein Gewinn für die demokratische Mehrheitsgesellschaft.
Hinzu käme, dass auch die nationalistische und semi-soziale deutsche Arbeiterpartei um Sarah Wagenknecht bis dahin wohl noch nicht kampagnenfähig wäre und dem linken Spektrum so noch keine größeren sich selbst als links identifizierenden rechten Kreise abspenstig machen könnte, jene klassische „Ich bin kein Rassist, ich sag nur: Ausländer raus! Außer alle die ich kenne, die sind nämlich die Guten. Aber die anderen, die, von denen ich nur in derjenigen Presse lese, die nicht rassistisch ist, die aber immer sagt: Ausländer raus!“-Klientel, die vor allem aus Sentimentalität noch links wählt, schließlich war man ja nicht umsonst all die Jahre in der Gewerkschaft.
Natürlich wäre damit zu kalkulieren, dass am Ende doch die Union den Kanzler stellen würde – aber auch das lässt sich noch zum Gewinn drehen: Es wäre dann an ihr, mit dem von ihr torpedierten Haushalt inmitten internationaler Krisen klarzukommen, während sie sich in den vergangenen Jahren stets darauf verlassen konnte, in einer glänzenden wirtschaftlichen Gesamtlage und von der Bausubstanz lebend die Schuldenbremse gar nicht zu spüren. Nicht, dass es in der medialen Gesamtsituation in Deutschland mit den antidemokratischen Sturmgeschützen der Springer-Presse den Wählern nicht dennoch klarzumachen wäre, dass an den derzeitigen Kriegen vor allem Annalena Baerbock Schuld sei – es wäre aber immerhin härter und würde in der Folge vielleicht nicht bei ganz so vielen Menschen verfangen.
Am Ende wird es nur an Einem scheitern, das dereinst Fußballphilosoph Oliver Kahn so treffen auf dem Punkt brachte: Es bräuchte Eier. Meinung
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