Friedmans „Fremd“ im Theater
Der Schmerz der Ausgegrenzten
Wie ergeht es einer Migrantenfamilie, die in Deutschland ankommt? Und wie ergeht es einem Kind von Überlebenden der Shoa? In Hannover wurde „Fremd“ von Michel Friedman als Theaterstück uraufgeführt.
Von Christina Sticht Montag, 04.12.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.12.2023, 14:28 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Es ist wohl Michel Friedmans persönlichstes Buch: In „Fremd“ beschreibt der Publizist, Jurist, Philosoph und Moderator das Aufwachsen eines jüdischen Kindes, dessen polnische Eltern Holocaust-Überlebende sind und die 1965 von Frankreich ausgerechnet nach Deutschland, ins Land der Mörder, übersiedelten. Das Schauspiel Hannover hat den poetischen Text jetzt als Vier-Personen-Stück auf die Bühne gebracht. Die Uraufführung am Freitag wurde mit lang anhaltendem Applaus gefeiert.
Eine Szene beschreibt das Zittern um den Stempel („Legal oder illegal“) in der Angstbehörde, dem Ausländeramt. In einer anderen Szene empfindet der Junge Tritte und Schläge nach, die seine Eltern in der Nazi-Zeit erlitten. Auch ein Aktentaschenträger mit manikürten Fingernägeln rammt Mama eine Faust ins Gesicht.
Der Text dazu: „‘Typisch Jud!‘, schreien sie. ‚Nichts kann er, der Jud!‘ ‚Alles kann er, der Jud!‘, schreien sie. ‚Er nimmt uns alles.‘ ‚Er ist nichts.‘ ‚Nicht mal nichts.‘“ Schmerzen und Angst prägen das Leben des Kindes, das mit zwei Jahren an einem Topf auf dem Herd zieht und von kochendem Wasser verbrüht wird.
Weil sie anders aussehen
Das Stück zeigt, wie Menschen in Deutschland ausgegrenzt werden, weil sie die Sprache nicht sprechen, anders aussehen oder ohne Geld aus ihrer Heimat flüchten mussten. Neben der „künstlerischen Virtuosität“ des Textes berühre ihn das „großen Herz“ des Autors, sagte Regisseur Stephan Kimmig: „Es ist sehr besonders, dass Michel Friedman sich öffnet und alle Minderheiten einbezieht.“ In Kimmigs Inszenierung gibt es auch komische Szenen. Liebe und Nähe scheinen als Hoffnung auf, wenn die Mitglieder der Familie mehrstimmig singen.
Stella Hilb spielt die geliebte Mutter des Kindes (Alban Mondschein). Am neuen Wohnort Frankfurt am Main verteilt sie ständig Geschenke, etwa an die Gemüsehändlerin oder Kosmetikerin. „Sie werden dich nicht beschützen. Es wird nichts helfen“, heißt es dazu. Der Vater (Max Landgrebe) rät dem Kind, immer mehr zu tun als alle anderen: „Sie können dir alles nehmen, nur nicht, was du im Kopf hast.“ Friedman ist Einzelkind, doch für die Bühnenfassung des stark autobiografisch geprägten Textes wurde eine Tochter (Christine Grant) hinzugefügt.
Wenn man nicht verdrängen kann
In seinem Text beschreibt der Autor, wie sich die Zeit am Krankenbett seiner Mutter anfühlte und wie sein verzweifelter Vater kurz nach der Mutter starb und das mittlerweile 40-jährige „Kind“ nicht wusste, wie es mit seiner Trauer weiterleben sollte.
Es gehe in „Fremd“ um einen verzweifelten Menschen, der so gerne die Liebe und Schönheit des Lebens genießen würde, sagte Friedman bei einem Probenbesuch in einem Interview des Schauspiels Hannover. „Fremd“ handelt dem Autor zufolge auch davon, „wie es ist, dass man nicht verdrängen kann, dass man Risse in seinem Fundament hat, dass das Urvertrauen eine furchtbare Illusion ist“. (dpa/mig)
Aktuell FeuilletonMichel Friedman: Fremd. Berlin Verlag, Berlin 2022, 176 Seiten, 20 Euro.
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