Umfrage
„Latenter Antisemitismus“ geringer als vor 20 Jahren
Anfeindungen gegen Juden wecken Ängste und Sorgen. Noch immer hegen viele Menschen Vorurteile. Eine Forsa-Studie zeigt allerdings: Früher war keineswegs alles besser - außer bei der AfD. Zentralrat sieht Verzerrungseffekt.
Dienstag, 12.12.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 12.12.2023, 15:41 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Vorurteile über Juden werden in Deutschland heute viel seltener geäußert als noch vor 20 Jahren. Der Anteil von Menschen mit „latentem Antisemitismus“ sei von 23 Prozent im Jahr 2003 auf aktuell 7 Prozent zurückgegangen, ermittelte das Institut Forsa im Auftrag des „Stern“. Allerdings nennen Anhänger der AfD doppelt so häufig negative Einstellungen gegen Juden wie andere Bürger. Der Zentralrat der Juden erklärte, die Zahlen „können uns in keiner Weise beruhigen“.
Das Magazin „Stern“ ließ Ende November eine Befragung wiederholen, die es vergleichbar schon 1998 und 2003 gegeben hatte. Befragt wurden diesmal 2018 deutschsprachige Bundesbürger ab 14 Jahren, jeweils etwa 1.000 in Ost und West. Ihnen wurden acht spezielle Fragen vorgelegt, mit denen Forscher antijüdische Einstellungen aufspüren. In allen acht Kategorien ging die Zustimmung zu negativen Vorurteilen zurück.
Angeblich „eigentümlich“
Zum Beispiel stimmten der Aussage „Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus heute ihren Vorteil zu ziehen und die Deutschen dafür zahlen zu lassen“ 2023 noch 24 Prozent ganz oder überwiegend zu – im Vergleich zu 38 Prozent 2003. Zu dem Satz „Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss“ äußerten sich jetzt 14 Prozent zustimmend, nach 28 Prozent vor 20 Jahren.
Die Phrase „Durch ihr Verhalten sind die Juden an ihren Verfolgungen nicht ganz unschuldig“ bejahen heute 9 Prozent, damals waren es 19 Prozent. „Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen daher nicht recht zu uns“ finden heute 7 Prozent, damals waren es 17 Prozent. Bei den übrigen Fragen war der Trend ähnlich. Der Wert zum „latenten Antisemitismus“ wurde aus Antworten zu sechs der acht Fragen berechnet. Die 7 Prozent entsprechen in etwa anderen aktuellen Umfragen, zum Beispiel der Leipziger Autoritarismusstudie von 2022.
Antworten von AfD-Anhängern viel negativer
Bei Anhängern der AfD ergibt sich ein anderes Bild als beim Durchschnitt. Der Behauptung, Juden zögen angeblich Vorteile aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus, stimmte jeder zweite AfD-Anhänger zu (49 Prozent im Vergleich zu 24 Prozent insgesamt); dass der Einfluss der Juden auf der Welt zu groß sei, bejahten 26 Prozent der AfD-Anhänger; dass Juden eigentümlich seien, fanden im AfD-Lager 17 Prozent. In allen Kategorien äußerten sie sich negativer als der Schnitt der übrigen Befragten.
Obwohl die Befragten selbst seltener Vorurteile äußern als 2003, halten sie die Stimmung im Land gegenüber Juden für schlechter: 53 Prozent sagen, dass Einstellungen gegenüber Juden negativer geworden seien – im Vergleich zu 30 Prozent im Jahr 2003. Im eigenen Bekanntenkreis vermuten Befragte ebenfalls etwas häufiger eine negative Haltung gegen Juden als die Teilnehmer vor 20 Jahren.
Zentralrat der Juden sieht „Verzerrungseffekt“
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, äußerte Zweifel an der Aussagekraft der Ergebnisse. „Der Trend in den antisemitischen Vorfällen zeigt genau in die andere Richtung, auch bereits vor dem 7. Oktober“, erklärte Schuster in Berlin. „Jüdinnen und Juden erleben in den vergangenen Jahren vielmehr einen enthemmten Antisemitismus, der auch gewaltbereiter und aggressiver wird.“
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober gebe es zudem in Schulen, Universitäten und Kulturinstitutionen Judenhass und Gleichgültigkeit. Dies widerspreche dem Ergebnis eines gesunkenen latenten Antisemitismus. Schuster vermutet einen „Verzerrungseffekt der Ergebnisse aus Gründen der sozialen Erwünschtheit“. Darunter versteht man, dass Menschen in Umfragen so antworten, wie sie es für gesellschaftlich akzeptabel halten und ihre tatsächliche Meinung nicht äußern.
Viele Jüdinnen und Juden äußern in jüngster Zeit mehr Ängste vor Anfeindungen und sorgen sich um ihre Sicherheit in Deutschland. Seit dem 7. Oktober ist die Zahl der gemeldeten antisemitischen Vorfälle stark gestiegen. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Rias erfasste seither im Schnitt 29 antisemitische Vorfälle pro Tag. (dpa/mig) Aktuell Gesellschaft
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