Jüdischer Gemeindetag
Kanzler Scholz: Chanukka, Weihnachten und Zuckerfest gehörenzu Deutschland
Vier Tage trafen sich etwa 1.400 Mitglieder jüdischer Gemeinden in Berlin, sie diskutierten, beteten und feierten. Aus der Politik kam viel Zuspruch. Doch gegen Hass und Hetze wird das nicht reichen, das wissen alle Beteiligten.
Von Verena Schmitt-Roschmann Sonntag, 17.12.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.12.2023, 13:43 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Es war ein quirliges Durcheinander im Berliner Hotel „Intercontinental“. Kinder mit Kippa liefen durch die Gänge, auf den Tischen lagen Halmaspiele in Form eines Davidsterns, um den Flügel in der Halle stand ein Grüppchen und sang. „Wir haben ein großes Fest der Jüdischkeit gefeiert“, sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, am Sonntag. Der Jüdische Gemeindetag 2023 sende ein lautes Signal: „Wir lassen uns nicht unterkriegen, niemals!“ Dieses Gefühl nehme man mit für Zeiten, „in denen wir zu verzweifeln drohen werden“.
Die Zeiten sind bitter für deutsche Juden seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober – das wissen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Justizminister Marco Buschmann, die alle zu dem viertägigen Treffen mit 1.400 Mitgliedern jüdischer Gemeinde kamen. Buschmann nannte am Sonntag noch einmal die Zahlen: Seit dem 7. Oktober registrierten Behörden in Deutschland gut 4.300 Straftaten mit Bezug zum Nahost-Konflikt, darunter fast 500 Gewalttaten.
Davidsterne würden auf Häuser gesprüht, israelische Flaggen angezündet, auf Demonstrationen gebe es hundertfach Vernichtungs- und Morddrohungen. Jüdinnen und Juden hätten Angst. „Das ist die Saat des Hasses, die leider aufgeht“, sagte Buschmann.
Scholz wirbt für „ein offenes Ohr und ein offenes Herz“
Dieser Hass erschreckt viele jüdische Deutsche, aber schmerzhaft ist für sie auch das Schulterzucken ihrer Mitbürger – darauf weist Zentralratspräsident Schuster immer wieder hin. „Was wir von den politisch Verantwortlichen hören, quer durch alle Parteien, ist eindeutig empathisch, solidarisch mit Israel, ohne Wenn und ohne Aber“, sagte Schuster der Deutschen Presse-Agentur am Rande des Gemeindetags. „Was ich vermisse, ist eine entsprechende breite Meinungsäußerung aus der Gesellschaft.“
Darauf ging Bundeskanzler Scholz in seiner Rede beim Gala-Abend am Samstag ein. „Wir alle haben die Aufgabe, uns jeden einzelnen Tag richtig zu entscheiden: für Empathie, für Solidarität, für ein offenes Ohr und ein offenes Herz“, sagte der SPD-Politiker. Jüdisches Leben in Deutschland sei eine Selbstverständlichkeit, es gehöre genauso alltäglich und unspektakulär dazu wie andere Religionen. Ein Zeichen dafür sei, dass „Chanukka zu Deutschland gehört genau wie Weihnachten und das Zuckerfest, dass Synagogen zu Deutschland gehören wie Kirchen und Moscheen, dass wir in diesem Land untrennbar zusammengehören“.
Es bekümmere ihn, wenn Jüdinnen und Juden ihre eigenen Solidaritätskundgebungen organisieren müssten und fragten, wo die Anteilnahme bleibe. Es gelte, Empathie zu wecken. „Ein Schlüssel ist und bleibt Bildung“, sagte Scholz. Dabei gehe es nicht nur um Fakten zur Shoah, zu Antisemitismus, Israel und zum Nahostkonflikt, sondern um die Vermittlung von Verantwortung, die sich aus der deutschen Geschichte ergebe. „Und es gehört doch zur Herzensbildung, Anteil zu nehmen, wenn unsere Nachbarinnen und Nachbarn, Arbeitskolleginnen und Kollegen trauern und Angst haben“, sagte Scholz.
„Unser Rechtsstaat ist wehrhaft“
Der Kanzler bekräftigte, dass der Rechtsstaat entschlossen gegen antisemitische Hetze vorgehe und im neuen Staatsbürgerschaftsrecht Antisemitismus einer Einbürgerung entgegenstehe. Und auch Justizminister Buschmann betonte: „Unser Rechtsstaat ist wehrhaft.“ Von Gesetzesverschärfungen sprach der FDP-Politiker nicht, sondern von der konsequenten Umsetzung. Doch weiß auch Buschmann, dass Strafen im Kampf gegen Antisemitismus nicht ausreichen.
Jüdisches Leben müsse sichtbarer werden und damit alltäglicher, selbstverständlicher, sagte der Minister. „Ich freue mich auf den Tag, an dem wir jüdische Einrichtungen nicht mehr von Polizei schützen lassen müssen, an dem wir jüdische Schulen nicht mehr mit Betonwänden umgeben müssen. Ich freue mich auf den Tag, wo man angstfrei auf der Straße hebräisch sprechen kann, seine Kippa tragen kann.“
Zentralratspräsident Schuster ist da skeptischer. Schon Anfang November sagte er: „Der Wunschtraum ist, dass keinerlei Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen nötig sein sollten. Aber das wird noch lange ein Wunschtraum bleiben, fürchte ich.“ Nun bekannte er im dpa-Interview, auch in fünf Jahren würden jüdische Deutsche wohl mit Anfeindungen, Hass und Hetze leben müssen. „Die Utopie eines Lebens ohne Antisemitismus in Deutschland habe ich nicht“, sagte der 69-Jährige.
Schuster erinnerte an antisemitische Vorfälle in Deutschland nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel vom 7. Oktober. „Sie haben Konsequenzen angekündigt und sind dabei sie umzusetzen – wir unterstützen Sie dabei bis zum Ende dieses Weges“, sagte Schuster an den Kanzler gerichtet. Er forderte die Bundesregierung auf, in Zukunft auch bei den Vereinten Nationen an der Seite Israels zu stehen. Bisher wabere sie zwischen den Stühlen, meinte der Zentralratspräsident. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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