AfD im Amt
Angekommen in der Realität nach unerfüllbaren Wahlversprechen
Der Rechtsextremismus ist für die AfD ein Erfolgsrezept. So hat die AfD in Ostdeutschland drei kommunale Wahlerfolge gefeiert. Aber wie schlagen sich die neuen Amtsinhaber im politischen Alltag? Kaum überraschend: Viele Versprechen der Kommunalpolitiker sind bis heute nicht eingelöst. Die Wähler zahlen weiter Rundfunkgebühren – mit dem Euro.
Von Inga Jahn, Stefan Hantzschmann und Jörg Schurig Sonntag, 07.01.2024, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 05.03.2024, 9:11 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Fast scheint es, als wäre Tim Lochner der ganze Rummel zu viel. Dicht umdrängt von Fotografen und Kameraleuten steht der 53 Jahre alte Tischlermeister in den Räumen des AfD-Kreisverbandes Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und gibt sein erstes Interview als designierter Oberbürgermeister der Stadt Pirna. Lochner verspricht im Beisein seiner jubelnden Anhänger: Er will durchhalten und sieben Jahre an der Spitze des Rathauses stehen.
Lochner soll erster Oberbürgermeister für die AfD in Deutschland werden, obwohl er kein Parteimitglied ist. Das klare Votum für ihn bei der Wahl am 17. Dezember ist auch deshalb bemerkenswert, weil der sächsische Landesverband der AfD kurz zuvor vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wurde. Zum gleichen Schluss kamen die Verfassungsschützer in Thüringen und Sachsen-Anhalt mit Blick auf die dortigen Landesparteien schon früher. Doch auch dort errang die Partei kommunalpolitische Spitzenämter.
Seither steht die Frage im Raum, ob die AfD zur Normalität in der politischen Landschaft Deutschlands wird. In Umfragen zu den Landtagswahlen kommt sie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen inzwischen auf mehr als 30 Prozent. Mittlerweile träumt sie in Sachsen und Thüringen schon von höheren Weihen. „Wir wollen in Sachsen regieren“, sagt der sächsische AfD-Chef Jörg Urban am Wahlabend in Pirna. Lochner habe gezeigt, dass das gehe.
Expertin: AfD-Radikalisierung schreckt Wähler nicht ab
Im südthüringischen Landkreis Sonneberg ist der AfD-Politiker Robert Sesselmann seit knapp einem halben Jahr Landrat. Mit der Presse spricht er nur sehr selten, eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur für ein Gespräch lehnt er erneut ab – „aus Zeitgründen“, wie ein Sprecher des Kreises schreibt. Sesselmanns Sieg bei der Landratswahl war der erste große Erfolg der AfD im Rennen um ein kommunales Spitzenamt. Ausgerechnet in Thüringen, wo der AfD-Landesverband mit seinem Vorsitzenden Björn Höcke als besonders rechts gilt.
Die Radikalisierung der AfD schrecke die Wähler nicht ab, sagt die Psychologin Fiona Kalkstein, die als stellvertretende Direktorin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig vor allem zu demokratiefeindlichen Einstellungen forscht. „Je rechtsextremer die AfD geworden ist, umso erfolgreicher wurde sie. Wir haben überhaupt keinen Abschreckungseffekt, eher das Gegenteil. Man könnte fast sagen: Der Rechtsextremismus ist für die AfD ein Erfolgsrezept.“
Wahlkampf hatte die AfD in Sonneberg mit Forderungen gemacht, die ein Landrat niemals umsetzen kann – etwa nach der Abschaffung des Euro oder der Rundfunkbeiträge. Auch ein halbes Jahr nach Sesselmanns Wahl zahlen die Menschen in dem kleinen Landkreis mit dem Euro, überweisen weiterhin Rundfunkbeiträge. Die Flüchtlinge sind auch noch nicht dort untergebracht, „wo Fuchs und Hase grußlos aneinander vorbeiziehen“, wie sein AfD-Parteikollege Stefan Möller Sesselmanns Gestaltungsmöglichkeiten als Landrat skizziert hatte.
Experte: Erwarte keine großen Veränderungen
Nach seiner Wahl hatte Sesselmann angekündigt, den Haushalt des chronisch klammen Landkreises konsolidieren zu wollen. Sparen wollte er etwa bei einem Programm, das Demokratie fördern und Extremismus vorbeugen soll. Den 35.000 Euro hohen Eigenanteil des Kreises wollte Sesselmann einsparen, wie mehrere Kreistagsmitglieder übereinstimmend erläutern. Der zuständige Ausschuss verhinderte das. Zur Programmatik der AfD hätte es wohl gut gepasst. Erst kürzlich kündigte Höcke bei einem Landesparteitag an, den „Kampf gegen rechts“ beenden zu wollen, wenn er in Thüringen Ministerpräsident würde.
Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz erklärt, Landräte oder Oberbürgermeister seien eingebettet in kommunale, parlamentarische Strukturen, wo auch andere Parteien vertreten sind. „Deswegen erwarte ich da gar nicht die ganz großen Veränderungen.“
Wie Sesselmann wechselte auch der AfD-Politiker Hannes Loth von der Landespolitik in die Kommunalpolitik. In der Kleinstadt Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt wurde der frühere Landtagsabgeordnete im Juli 2023 zum ersten hauptamtlichen AfD-Bürgermeister Deutschlands gewählt. Angetreten war er mit fünf Wahlversprechen: Er wolle Feuerwehr und Rettungskräfte besser ausstatten, Abgaben und Gebühren für die Bürger senken oder stabil halten, die Lebensqualität der Einwohner steigern und Arbeitsplätze sowie mehr Möglichkeit zur Bürgerbeteiligung schaffen.
Mit unerfüllbaren Versprechen Wahlen gewinnen
Er habe den Haushalt neu aufgestellt, für ein neues Feuerwehrauto und bessere kommunale Zusammenarbeit gesorgt, sagt Loth im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur etwa 100 Tage nach Amtsantritt. Wie der „Spiegel“ jüngst berichtete, scheint Loth in seinem Umfeld gut integriert zu sein.
Doch auch Loth ist in der kommunalpolitischen Realität angekommen. Entgegen seiner Wahlversprechen sei es nicht möglich, die Verwaltungskosten in Raguhn-Jeßnitz zu senken, sagt der Bürgermeister. Das sei aber kein Beinbruch. „Wir haben einen Vergleich der Kosten anstellen lassen und festgestellt, dass wir da sehr gut dastehen.“ – ein Verdienst der Kommunalregierung vor Loths Amtszeit.
Politologe Brodocz sagt: „Man wird auf kommunaler Ebene die Erfahrungen machen, dass man Wahlen gewonnen hat mit Versprechungen, die man gegenüber dem Land gar nicht realisieren kann.“ Es sei aber längst nicht ausgemacht, dass das dann auch zu den Wählerinnen und Wählern durchdringe. „Das ist nie ganz sicher, dass das negativ nach außen wirkt. Es kann auch komplett auf die Landesregierung attribuiert werden.“
42 Prozent glauben nicht, dass „Brandmauer“ hält
Sonneberg, Raguhn-Jeßnitz und Pirna – möglicherweise kommen 2024 noch mehr AfD-Politiker in kommunale Spitzenämter, denn auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stehen Kommunalwahlen an. Hält dann bei der CDU die viel beschworene Brandmauer hin zur AfD? Einer Umfrage zufolge glauben 42 Prozent der Deutschen nicht, dass die CDU/CSU ihr Versprechen halten wird, auf Landes- und Bundesebene nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten. Nur 36 Prozent sind der Meinung, dass diese sogenannte „Brandmauer“ halten wird.
Die Mehrheit der Deutschen rechnet zudem damit, dass die AfD bei mindestens einer der drei Landtagswahlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die absolute Mehrheit erreicht und damit auch den Ministerpräsidenten stellen kann. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur halten 53 Prozent ein solches Szenario für wahrscheinlich und nur 32 Prozent für unwahrscheinlich. In Ostdeutschland rechnen sogar 58 Prozent damit, dass die AfD in einem der drei Länder an die Macht kommt und den Regierungschef stellen wird.
„Migration. Die haben wir hier gar nicht.“
In Kommunen laufen die Dinge jedoch oft anders als in Land oder Bund. Wenn es um den Bau der Bushaltestelle oder die Sanierung einer Kita geht, setzt das mitunter eine Kooperation verschiedener Fraktionen geradezu voraus.
Bürgermeister von Raguhn-Jeßnitz zu sein, sei „vor allem eine Tätigkeit in einer Verwaltung, da gibt es Regeln und Abläufe“, beschreibt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) die Aufgabe von Loth. „Fakt ist aber auch: Die Möglichkeiten eines AfD-Amtsinhabers unterscheiden sich nicht von den Möglichkeiten anderer. Alle haben mit den gleichen Realitäten zu kämpfen, und in dem Moment, wo sie in so eine Verantwortung kommen, merken sie, dass sie viele ihrer Versprechen, die sie den Leuten untergejubelt haben, schlicht und einfach nicht umsetzen können“, so Haseloff.
Versprechen, die er nicht einhalten kann, trüben Loths Stimmung nicht. Er sei zufrieden mit seinen ersten Wochen als Bürgermeister, er sei auf offene Ohren gestoßen, beteuert er. „Die harten Kernforderungen der AfD brauchen wir hier auch gar nicht. Zum Beispiel in Sachen Migration. Die haben wir hier nämlich gar nicht.“ (dpa/mig) Leitartikel Politik
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