Medienforscher Brüggen
„Wo die neue Rechte drin ist, steht nicht immer Neonazi drauf“
Texte, Bilder und Videos in sozialen Medien transportieren rechtspopulistisches Gedankengut. Wissenschaftler untersuchen nun die Folgen und Wirkungen solcher Inhalte. Im Gespräch erklärt Forschungsleiter Niels Brüggen, warum scheinbar harmlose Memes im Netz gefährlich sind.
Von Daniel Staffen-Quandt Montag, 08.01.2024, 13:45 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.01.2024, 13:45 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Auf den ersten Blick wirken sie harmlos: Doch die vermeintlich harmlosen Texte, Bilder und Videos in sozialen Medien transportieren rechtspopulistisches und demokratiefeindliches Gedankengut. Das in München ansässige „JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis“ wird in den nächsten vier Jahren Rechtsextremismus auf Social-Media-Plattformen untersuchen – als Teil des „Forschungsverbunds für Gegenwartsanalysen, Erinnerungspraxis und Gegenstrategien zum Rechtsextremismus in Bayern“ (ForGeRex), wie Forschungsleiter Niels Brüggen im Gespräch erläutert.
Früher haben Neonazis Springerstiefel getragen, auf Schulhöfen wurden Rechtsrock-CDs verteilt. Heute ist das Netz für rechtsextreme Agitatoren besonders wichtig. Warum?
Niels Brüggen: Das hat zwei Gründe. Zum einen bietet das Internet Räume, in denen bereits für rechte Ideologien aufgeschlossene Menschen gut erreicht werden können – abseits von der öffentlichen Wahrnehmung. Denn Springerstiefel und das Verteilen von CDs auf Schulhöfen sind auffällig und haben in der Regel auch schnell Proteste hervorgerufen. Zum anderen kann man in einem niederschwelligen Gewand rechtsextreme Inhalte unter die Menschen bringen, ohne dass jeder sofort erkennt, dass da eine rechtsextreme Gesinnung dahintersteckt.
Was genau bedeutet in diesem Zusammenhang „niederschwelliges Gewand“? Können Sie da mal ein Beispiel nennen, wie Rechtsextreme im Netz auf „Beutefang“ gehen?
„…man hetzt im ersten Schritt nicht gleich gegen Minderheiten oder eine bestimmte Partei. Man versucht vielmehr, einen bestimmten „Lifestyle“ zu bewerben. „
Die Kommunikation hat sich insgesamt professionalisiert. Vordergründig steht zum Beispiel nicht mehr das Abwertende im Vordergrund, also man hetzt im ersten Schritt nicht gleich gegen Minderheiten oder eine bestimmte Partei. Man versucht vielmehr, einen bestimmten „Lifestyle“ zu bewerben wie das klassische Rollenbild von Mann und Frau oder für einen „gesunden Volkskörper“ zu werben. Die Fragen der individuellen Lebensführung sind da aber nur der Ansatzpunkt, um eigentlich eine völkische, rechtsextreme Ideologie zu verbreiten.
In ihrem Forschungsprojekt wollen Sie untersuchen, welche Themen und Bildtypen in den sozialen Netzwerken häufig auftauchen. Was wissen Sie dazu schon jetzt?
„Bei genauem Hinsehen ist es zumeist einfach nur menschenfeindlich und rassistisch.“
Vorweg muss ich natürlich sagen, dass wir offiziell erst am 1. Januar gestartet haben und deshalb jetzt noch keine gesicherten Ergebnisse präsentieren können. Aber was wir schon jetzt wissen, ist, dass es ein großes Spektrum an Inszenierungsformen gibt. Etwa Memes in einer Ästhetik, die sich mit Fackelmärschen beispielsweise ganz klar an die NS-Optik anlehnen. Oft werden Memes auch verbunden mit einem humoristischen oder satirischen Unterton. Bei genauem Hinsehen ist es zumeist einfach nur menschenfeindlich und rassistisch.
Und darauf fallen – junge? – Menschen herein? Also, die bemerken nicht, dass sie rechtes Gedankengut weiterverbreiten, wenn sie solche Meme-Bildchen weiterverbreiten?
„Es ist nicht witzig, sondern gefährlich.“
Man darf sich das jetzt nicht so plump und holzschnittartig vorstellen – die Texte, Bilder und Videos sind durchaus raffiniert gemacht. Und zwar so, dass man sie im ersten Moment durchaus mit dem Gedanken weiterverbreiten könnte, dass man sich ja auch augenzwinkernd ein wenig vom Inhalt distanziert. Die Memes haben eine große „Interpretationsoffenheit“, man weiß also nicht genau: Ist das jetzt ernst gemeint oder doch ein Witz, wenn auch ein derber? Aber, um es nochmals zu betonen, es ist nicht witzig, sondern gefährlich.
Sie wollen also in ihrem Forschungsprojekt herausfinden, welche Verbreitung solche rechtsextremen Memes haben. Aber wie kann man junge Menschen davor schützen?
„Häufig war ein Problem, dass die Jugendlichen den Kontext nicht erfasst haben.“
Wir wollen im Rahmen des Projekts zusammen mit Jugendlichen auf solche Memes schauen – und dabei herausfinden, ob, wie und wann sie die rechtsextremen Hintergründe erkennen, oder eben auch nicht. In unseren wissenschaftlichen Vorarbeiten haben wir uns damit beschäftigt, wie islamistische Ansprachen von jungen Menschen erkannt und gegebenenfalls weiterverbreitet werden. In den Befragungen hat sich dann herausgestellt, dass häufig ein Problem war, dass die Jugendlichen den Kontext nicht erfasst haben, sondern auf der „gestalterischen Ebene“ von den Memes abgeholt wurden.
Aber das wäre doch fast schon beruhigend, wenn so etwas nur aus Unwissenheit verbreitet wird. Die größere Gefahr bestünde doch, wenn man tiefer reingezogen wird…
… und das ist natürlich die Intention hinter dieser Kommunikationsstrategie. Uns interessiert dabei der erste Schritt: Welche Themen werden wie in den Memes aufgegriffen? Und was machen die jungen Menschen daraus? Das ist das Entscheidende: Wenn sie zu so einer Erzählung eine Verbindung herstellen können, kann das der Impuls sein, um einem entsprechenden Kanal zu folgen oder auch die Memes weiterzuleiten. Solche Phänomene haben wir beim Vorgängerprojekt zu islamistischen Ansprachen gefunden: Dort wird in Memes ein Opfernarrativ genutzt, wonach die Mehrheitsgesellschaft als islamfeindlich dargestellt wird. Und in diesem Kontext fanden sich auch Memes, die den Holocaust relativierten. Dies wurde aber nur von wenigen Jugendlichen erkannt und reflektiert. Viele sahen nur die Analogie, dass Juden und Jüdinnen wie auch islamische Personen von Diskriminierung betroffen waren, beziehungsweise sind.
Und was wäre das Rezept dagegen? Der Ruf nach mehr Medienkompetenz erklingt schon seit vielen Jahren – aber am Ende haben alle Kampagnen wenig gebracht, oder?
„Wo die neue Rechte drin ist, steht nicht immer Neonazi drauf.“
Nun, Medienkompetenz ist für mich jedenfalls deutlich mehr, als Format- oder Bedienungs-Wissen. Medienkompetenz schließt für mich auch ein, dass man Medieninhalte, die einem begegnen, von der eigenen Lebenssituation über den gesellschaftlichen Kontext bis hin zur weltpolitischen Lage einordnen und bewerten kann. Gerade in Social-Media-Plattformen sind so viele neue Inhaltsformen zu finden, bei denen klassische Labels wie Meldung, Recherche oder Meinungsbeitrag nicht funktionieren. Wo die neue Rechte drin ist, steht nicht immer Neonazi drauf.
Das Forschungsprojekt ist auf vier Jahre angelegt. Welche Disziplinen und Einrichtungen beteiligen sich denn alles daran?
Insgesamt sind wir 18 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von bayerischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die in neun Teilprojekten zu unterschiedlichen Aspekten des Rechtsextremismus forschen. Dabei geht es um antisemitische Verschwörungsmythen, die Reichsbürgerszene oder auch rechte Einflussnahmen im Bereich der Sozialen Arbeit. Wir möchten das möglichst umfassend beleuchten und auch übergreifend den Austausch voranbringen. Dafür erhalten wir alle zusammen 4,5 Millionen Euro vom bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst.
Am Ende sollen nicht nur Problem-Analysen stehen, sondern auch mögliche Lösungsansätze. Wie wollen sie die in die breite Masse streuen?
Hierfür braucht es die Zusammenarbeit von vielen. Und wir werden im Projekt auch die Vernetzung mit Akteuren der politischen Bildung weiter ausbauen und die Erkenntnisse und Lösungsansätze gemeinsam diskutieren. Im Bereich der Praxis nutzen wir für die Verbreitung von Erkenntnissen auch Social-Media-Plattformen. So zeigt das Projekt „Der Elefant im Raum“ im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung auf Instagram und in Podcasts auf, wie rechtsextreme Aktivisten im Netz versuchen, Menschen für ihre Ideologie zu gewinnen – auch hier verdeckt über Themen wie dem Klimawandel. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama
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