Berliner Antisemitismus-Klausel
Uffa Jensen: Israelkritik wird als antisemitisch klassifiziert
Berlin fordert von Kultureinrichtungen die Unterzeichnung einer Antisemitismus-Klausel. Uffa Jensen sieht das kritisch. Sie fördere Selbstzensur und schränke den gesellschaftlichen Diskurs ein, sagt der Antisemitismusforscher im Gespräch. Er bemängelt eine Schieflage in der Debattenkultur.
Von Lukas Philippi Dienstag, 16.01.2024, 10:44 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.01.2024, 11:16 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Sind Sie überrascht, dass der Berliner Senat als erstes Bundesland die Unterzeichnung einer Antisemitismusklausel zur Vorbedingung für öffentliche Fördergelder in der Kultur macht?
Uffa Jensen: Ich wusste, dass es seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres, dem Tag des Überfalls der Hamas auf Israel, Diskussionen über solche Festlegungen oder Klauseln gab. Dass Berlin in dieser Frage vorprescht, hat mich allerdings überrascht.
Wie beurteilen Sie die Klausel?
Person: Uffa Jensen ist amtierender Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin.
Grundsätzlich finde ich derartige Klauseln schwierig, weil sie unterstellen, dass diejenigen, die bei den Förderanträgen das Häkchen machen müssen, diskriminieren würden. Dieses Problem hatten wir schon zuvor bei Demokratie-Projekten in manchen Bundesländern. Dort sollten sich die Projektträger in entsprechenden Klauseln gegen Linksradikalismus aussprechen. Den Protest dagegen kann ich nachvollziehen. Ich persönlich finde allerdings, wenn ich mich von Antisemitismus oder Rassismus distanzieren soll, dann kann ich das guten Gewissens tun. Ich persönlich hätte damit kein Problem.
Was genau sehen Sie dann kritisch an der Klausel?
„Ich habe nur ein Problem damit, dass sich die Berliner Klausel auf die IHRA-Definition bezieht.“
Ich habe nur ein Problem damit, dass sich die Berliner Klausel auf die IHRA-Definition1 bezieht. Wenn eine Einrichtung bei ihrem Fördermittelantrag lediglich angeben müsste, dass sie gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit ist, würde ich nicht dagegen protestieren.
Sie lehnen die IHRA-Definition von Antisemitismus ab?
Ich gehöre zu den Erstunterzeichnern der sogenannten „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ (JDA) von 2019, weil ich die IHRA-Definition zum Antisemitismus nicht richtig finde und den Umgang damit kritisiere. Aus der Perspektive eines Antisemitismusforschers ist die Vagheit und Schwammigkeit der IHRA-Definition nicht hilfreich. Antisemitismus ist keine „Wahrnehmung“ von Juden, wie das die IHRA definiert. Das ist aus meiner Sicht das völlig falsche Wort. Diese Definition ist einfach nicht besonders gut durchdacht. Aus antisemitismustheoretischer Perspektive ist sie schwierig. Der Umgang damit hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie eingesetzt wird, um bestimmte israelkritische oder gar israelfeindliche Äußerungen als antisemitisch zu klassifizieren.
Internationale Arbeitsdefinition von Antisemitismus: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“
Die Bundesregierung hat außerdem folgende Erweiterung verabschiedet: „Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
Wie beurteilen Sie den Protestbrief von Berliner „Kulturproduzenten“ gegen die Antidiskriminierungsklausel?
Ich verstehe, dass sich viele Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, unter einen Verdacht gestellt sehen und Schwierigkeiten mit dieser Klausel haben. Ich finde auch das unabgestimmte Vorgehen der Senatskulturverwaltung schwierig. Ein Dialog hätte da vorgeschaltet werden können. Andererseits habe ich bei manchen Protagonisten des postkolonialen Diskurses in den vergangenen Monaten schwierige Tendenzen wahrgenommen. Das klingt auch in dem offenen Brief an den Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) an.
Gibt es ein Umsetzungsproblem bei dieser Klausel?
„Mit dieser Klausel wird von der Berliner Verwaltung Rechtsunsicherheit produziert und Meinungsfreiheit eingeschränkt.“
Ja, durchaus. Man kann einen Förderantrag nur mit dem Häkchen unter der geforderten Klausel machen. Da gibt es einen enormen Druck auf die Kultur. Auf der anderen Seite hat Kultursenator Chialo gesagt, es werde keine Sanktionen geben. Wie realistisch ist das denn? Stellen wir uns vor, jemand bekommt eine finanzielle Förderung vom Senat und jetzt kommt heraus, dass diese Person irgendwann einmal eine israelkritische Äußerung gemacht hat. Dann würde ich gerne wissen, wie die Senatskulturverwaltung darauf reagiert. Natürlich wird es Sanktionen geben müssen. Und dann landet das Ganze vor Gericht. Da wird also mit dieser Klausel von der Berliner Verwaltung Rechtsunsicherheit produziert und Meinungsfreiheit eingeschränkt.
Vor allem aus dem Ausland wird ja der deutschen Antisemitismus-Debatte vorgeworfen, den Diskurs einzuschränken. Ist dieser Vorwurf berechtigt?
„Da ist eine Schieflage in unserer Debattenkultur.“
Nehmen wir einmal an, eine Berliner Einrichtung möchte eine Iranerin oder einen Iraner einladen. Für diese Person könnte die Unterschrift unter das Bekenntnis, Antisemitismus und Israelfeindlichkeit zu bekämpfen, schwere Folgen zu Hause haben. Insgesamt kann die Bezugnahme auf die IHRA-Definition große Probleme in der internationalen Kulturpolitik bewirken. In den vergangenen Monaten sind so vor allem zwei Gruppen in Schwierigkeiten geraten: Palästinenser und linke Jüdinnen und Juden. Da ist eine Schieflage in unserer Debattenkultur entstanden.
Im Streitfall wird es doch vor Gericht richtig kompliziert, den Vorwurf zu belegen, dass ich als Einrichtung gegen die Antisemitismusklausel des Senates verstoßen und öffentliche Gelder Zweck entfremdet habe?
Solche Klauseln stellen Institutionen vor enorme personelle und zeitliche Herausforderungen. Die IHRA-Definition und jetzt auch die Berliner Antidiskriminierungsklausel führen praktisch dazu, dass Personen, die einmal etwas Problematisches gemacht haben, einfach nicht mehr eingeladen werden. Es ist für die Organisatoren einfach zu anstrengend.
Also stimmt der Vorwurf, dass vorauseilende Selbstzensur greift?
„Es findet Vorzensur statt.“
Ich könnte eine lange Liste von Einrichtungen und Personen aufzählen, die von Einladungen abgesehen haben oder ganze Veranstaltungen abgesagt haben. Es findet Vorzensur statt. Das gilt seit dem Bundestagsbeschluss gegen die BDS-Bewegung von 2019. Wenn ich Ihnen Namen nennen würde, beschädige ich diese Personen.
Wie ist das Meinungsbild bei Ihnen am Zentrum für Antisemitismusforschung?
Wir haben große Debatten. Wir sind eine plurale Einrichtung. Wir streiten uns hier am Zentrum für Antisemitismusforschung über die IHRA. Das ist auch völlig in Ordnung und gehört zu einer Forschungseinrichtung dazu. Ich würde also in große Schwierigkeiten kommen, wenn ich von vorneherein die IHRA akzeptieren müsste, um Fördergelder zu bekommen. Als Antisemitismusforscher muss ich doch darüber forschen, wie man Antisemitismus definiert. Da kann ich keine vorgegebene Definition akzeptieren. (epd/mig)
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