Großbritannien
Sunak droht Revolte wegen Ruanda-Abschiebegesetz
Ruanda und kein Ende: Der Streit innerhalb der Tory-Partei über das Abschiebegesetz von Premier Sunak legt die britische Politik lahm. Nun kommt es zum Showdown. Aber auch wenn Sunak seinen Entwurf durchs Parlament bringt - die Debatte wird ihn weiter belasten.
Von Benedikt von Imhoff Mittwoch, 17.01.2024, 17:31 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.01.2024, 17:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Zum Start des Wahljahrs ist das „Psychodrama“ in der Konservativen Partei zurück. Im Streit um eine möglichst harte Flüchtlingspolitik bläst dem britischen Premierminister Rishi Sunak scharfer Wind aus den eigenen Reihen ins Gesicht. Bei der Abstimmung über das neue Asylgesetz, die für Mittwochabend geplant war, drohten mehrere prominente Abgeordnete des rechten Tory-Flügels damit, gegen die eigene Regierung zu stimmen. Ungefähr 30 Gegenstimmen aus dem eigenen Lager reichen aus, um das Gesetz zu kippen – es wäre das erste Mal seit 1977, dass ein Regierungsentwurf in dritter Lesung scheitert, wie die Denkfabrik Institute for Government betonte.
Sunak geht bereits beschädigt in die kritische Abstimmung. Am Dienstagabend votierten Dutzende Tories im Unterhaus für zwei Änderungsanträge, die das Asylgesetz gegen den Willen der Regierung verschärfen sollten. „Das ist ein schwerer Angriff auf die Autorität eines jeden Premierministers“, kommentierte BBC-Reporter Chris Mason. „Die Zahlen sprechen für sich“, zitierte er einen der Rebellen.
Streit um Abschiebung nach Ruanda
Im Kern geht es um das Vorhaben der konservativen Regierung, sogenannte „irregulär eingereiste Migranten“ – gemeint sind Menschen, die mangels legaler Fluchtwege ohne Grenzen ohne Einreisepapiere passieren – ohne Prüfung ihres Asylantrags und ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda zu schicken. Sie sollen in dem ostafrikanischen Staat, dem Kritiker Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, um Asyl bitten. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist ihnen verboten. Dazu soll Ruanda qua Gesetz zum sicheren Drittland erklärt werden. Eine weitere richterliche Überprüfung unter Berufung auf Menschenrechte in Großbritannien soll ausgeschlossen werden.
Doch den rechten Tories geht das nicht weit genug. Sie fordern, auch Einsprüche vor internationalen Gerichten müssten verhindert werden – es dürfe keine Schlupflöcher geben. Robert Jenrick, früherer Migrations-Staatssekrtär und einst Vertrauter von Sunak, forderte sogar den Ausstieg aus der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Migration wichtigstes Thema im Wahlkampf
Längst ist Migration zu einem der wichtigsten Themen im aufkommenden Wahlkampf geworden. Die Tories wollen mit betont hartem Vorgehen den gewaltigen Rückstand auf die sozialdemokratische Labour-Partei aufholen. In Großbritannien kommen deutlich weniger irreguläre Migranten als in der EU an.
Gegner des Vorhabens wie das UN-Flüchtlingshilfswerk sind empört. Sie machen geltend, dass es gar keine legalen Wege ins Königreich gebe für Asylsuchende. Die Pläne verstießen zudem gegen Verpflichtungen zum Schutz von Flüchtlingen. Dass die Regierung sich qua Gesetz über Gerichtsentscheidungen stellen will, verstoße auch gegen die Gewaltenteilung. Die Regierung hat bereits Hunderte Millionen Pfund an Ruanda gezahlt, ohne dass dort ein Mensch angekommen ist. Von einem politischen Trick spricht die Labour-Partei. Der Ruanda-Pakt wurde einst vom damaligen Premier Boris Johnson erdacht – nach Ansicht von Kritikern, um vom „Partygate“-Skandal abzulenken.
Sunaks Versprechen: Senkung der Flüchtlingszahlen
Sunak weist alle Vorwürfe zurück. Es sei Wunsch der Wähler, das Problem ein für alle Mal zu lösen. Für den Premier ist das Abkommen mit dem autoritären Präsidenten Paul Kagame ein zentraler Baustein seines Versprechens, die Zahl der Geflüchteten zu senken. Sunaks Sprecher bestätigte, dass bis Frühling die ersten Abschiebeflüge abheben sollen. Um Verfahren zu beschleunigen, sollen eigens Richter abgestellt werden – ob das möglich ist, zweifeln Richterverbände an.
Ohnehin muss Sunak zunächst den Widerstand in den eigenen Reihen überwinden. Der Premier hat einen Erfolg bitter nötig. Ein Termin für die Parlamentswahl steht noch nicht fest, gerechnet wird mit Herbst. Doch sollte Sunak die Asyl-Abstimmung tatsächlich verlieren, könnte es schon deutlich früher so weit sein, schrieb Paul Goodman vom konservativen Blog „Conservative Home“. Sunak hat ohnehin nur geringe Hausmacht. Zuletzt wurde der Druck noch stärker, nachdem eine Umfrage den Tories schwere Verluste vorhergesagt hatte.
„Bürgerkrieg“ in der Tory-Partei
Der Rücktritt der Vize-Parteigeschäftsführer Lee Anderson und Brendan Clarke-Smith am Dienstagabend bedeutete einen weiteren Rückschlag. Die beiden Politiker machten deutlich, dass sie nicht an einen Erfolg des Ruanda-Entwurfs in der aktuellen Form glauben. Dieses Urteil aus den eigenen Reihen dürfte konservative Wähler aufschrecken. Vor allem Anderson, der eine Talkshow im rechten Sender GB News hat, galt wegen seiner unverblümten Art als wichtiger Wahlkämpfer.
Nun sprechen Analysten von einem „Bürgerkrieg“ in der Tory-Partei. Dabei hatte erst kürzlich der eigens engagierte Wahlkampfstratege Isaac Levido die Fraktion zur Einigkeit aufgefordert. „Gespaltene Parteien scheitern“, sagte Levido. Zwar gab sich die Regierung zuversichtlich, die Abstimmung zu gewinnen. Aber der Streit dürfte die Spaltung verstärken – und den Wahlkampf überschatten. Die Zeitung „Guardian“ sieht die Tories bereits jetzt „am Abgrund“. (dpa/mig) Aktuell Ausland
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