Seenotretter kriminalisiert?
Bundestag billigt Maßnahmenpaket für vereinfachte Abschiebungen
Der Bundestag hat ein Gesetzespaket zur einfacheren Abschiebung verabschiedet. Doch das Gesetz ist umstritten: Zwei Gutachten zufolge kriminalisiert es Seenotrettung, wenn Kinder gerettet werden. Der Union und der AfD gehen die Maßnahmen nicht weit genug.
Donnerstag, 18.01.2024, 20:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.01.2024, 20:21 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Eine Verlängerung des Ausreisegewahrsams soll künftig verhindern, dass Abschiebungen im letzten Moment noch scheitern. Nach längerem Tauziehen in der Koalition verabschiedete der Bundestag am Donnerstagabend ein entsprechendes Gesetz mit der Mehrheit der Ampel – auch wenn einige Grünen-Abgeordnete dagegen stimmten. Im Gesetz ist eine Reihe von Verfahrensvereinfachungen und Regelverschärfungen vorgesehen, um die Abschiebung von ausreisepflichtigen Ausländern zu erleichtern.
„Wer in Deutschland kein Bleiberecht hat, der muss Deutschland auch wieder verlassen“, betonte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). „Das ist eine Voraussetzung dafür, dass Migration in der Gesellschaft insgesamt akzeptiert wird und Integration auch funktioniert.“
In der Vergangenheit scheiterten Abschiebungen immer wieder daran, dass Betroffene untertauchten und nicht mehr auffindbar waren, hieß es zur Begründung. Deshalb werde etwa die gesetzliche Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von bislang 10 Tagen auf 28 Tage verlängert. Außerdem dürfen Behördenvertreter künftig in Gemeinschaftsunterkünften auch andere Räume betreten als nur das Zimmer des Abzuschiebenden. Mehrere Punkte des Gesetzespaktes werden von Menschenrechtlern scharf kritisiert, sie seien populistisch motiviert und stünden verfassungsrechtlich auf dünnem Eis.
Härteres Vorgehen gegen Schleuser
Der Gesetzentwurf war in der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags genommen worden, weil die Grünen noch Nachbesserungen gefordert hatten. Auf ihr Drängen soll den Betroffenen nun ein Anwalt zur Seite gestellt werden. Für Familien mit minderjährigen Kindern wird zudem die Abschiebehaft grundsätzlich ausgeschlossen.
Darüber hinaus sieht das Gesetz ein härteres Vorgehen gegen Schleuser vor. Wegen Protesten von Menschenrechtsorganisationen soll ein nachträglich eingefügter Passus sicherstellen, dass die Seenotrettung von Flüchtlingen dadurch nicht kriminalisiert wird.
Seenotretter fürchten Kriminalisierung
Am Tag vor der Abstimmung hatten einige Grüne erneut Zweifel geäußert, ob der Schutz der Seenotretter vor strafrechtlicher Verfolgung ausreichend gesichert ist. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Helge Limburg, stellte eine erneute „Klarstellung“ für den Fall juristischer Unsicherheiten in Aussicht. Trotzdem gab es aus seiner Partei einige Gegenstimmen.
Am Mittwoch hatte SOS Humanity ein Gutachten der Juristen Vera Magali Keller und David Werdermann veröffentlicht, wonach im geänderten Entwurf ein Passus erhalten sei, in dem es speziell um unbegleitete Minderjährige geht. „Der Änderungsvorschlag führt demnach zu der absurden Konstellation, dass volljährige Personen gerettet werden dürften, die Rettung von Minderjährigen jedoch mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren kriminalisierbar ist“, schlussfolgern Keller und Werdermann.
Seenotretter fordern Rücknahme der Verschärfung
Nach einem Bericht des Berliner „Tagesspiegels“ kommt auch ein zweites Gutachten der Juraprofessoren Aziz Epik und Valentin Schatz zum gleichen Ergebnis. „Es wurde offenbar übersehen, dass durch einen Verweis auf einen anderen Absatz des Gesetzes der spezielle Fall der Einreise unbegleiteter minderjähriger Ausländer auf dem Seeweg weiterhin von der Ausweitung der Strafbarkeit erfasst wäre“, sagte Epik dem Blatt.
Die Organisation SOS Humanity forderte, die Verschärfung des einschlägigen Paragrafen komplett zurückzunehmen. Am Donnerstag protestierten zivilgesellschaftlichen Organisationen vor dem Bundestag gegen das geplante Gesetz. Bei einer symbolischen Aktion hätten sich Seenotretter vor dem Reichstagsgebäude von Personen in Polizeiuniform festnehmen lassen, sagte der Sprecher der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch, Oliver Kulikowski, dem „Evangelischen Pressedienst“. Das geplante Gesetz kriminalisiere Menschen, die Schutzsuchende unterstützen.
Union und AfD kritisieren Gesetz
Kritik am Gesetz kam auch von der Union und AfD, allerdings mit anderen Vorzeichen: ihnen gehen die Verschärfungen nicht weit genug. Der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries beklagte, mit den von den Grünen durchgesetzten Änderungen werde ein ohnehin schon wirkungsschwaches Gesetz völlig wirkungslos. Die Linke sieht hingegen schon in den jetzt vereinbarten Maßnahmen einen massiven Angriff auf Grund- und Freiheitsrechte.
Das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz umfasst rund 40 Einzelmaßnahmen. So muss Ausreisepflichtigen in Haft ihre Abschiebung nicht mehr angekündigt werden. Auch die aktuell geltende einmonatige Ankündigungspflicht für Abschiebungen nach einer einjährigen Duldung fällt weg. Zudem gibt es neue Ausweisungsgründe wie das Begehen von antisemitischen Straftaten oder die Einreise mit gefälschten Papieren. Bei Menschen ohne Ausweispapieren wird zudem das Auslesen von Handydaten erleichtert, um dadurch Identität und Herkunftsland zu klären. Auch diese Praxis steht in der Kritik. Untersuchungen zeigen, dass das Auslesungen von Mobiltelefonen ressourcenintensiv trägt aber kaum zur Aufklärung bei. (dpa/epd/mig) Aktuell Politik
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