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Extremismusforscher Prof. Dr. Andreas Zick

Andreas Zick im Gespräch

Anti-AfD-Demos sind kein Strohfeuer

Die Enthüllung von Remigrationsplänen von Unions- und AfD-Mitgliedern hat bundesweit rund eine Million Menschen auf die Straße gezogen. Extremismusforscher Andreas Zick sieht darin eine Erinnerung an „Nie wieder“. Jetzt ist die Politik am Zug, sagt er im Gespräch.

Von Montag, 22.01.2024, 11:48 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 22.01.2024, 11:50 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Enthüllung eines Treffens hochrangiger AfD-Politiker mit Rechtsextremen hat nach Einschätzung des Extremismusforschers Andreas Zick zu einer Rückkehr zu demokratischen Grundnormen geführt. Bei den Demonstrationen gegen rechts werde in einem breiten Bündnis bis in bürgerlich-konservative Milieus hinein an ein „Nie wieder“ erinnert, sagte Zick im Gespräch. Aufgabe der Politik müsse es nun nach Monaten des Streits sein, Demokratieförderung und die nationale Strategie gegen Extremismus wieder ganz nach oben zu stellen.

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Können die Demonstrationen den Höhenflug der AfD beeinflussen?

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Andreas Zick: Die Demonstrationen sollten nicht danach bemessen werden, ob sie in die AfD wirken. Das Ziel des breiten Bürgerbündnisses ist es, das Programm und die Ziele der Partei infrage zu stellen und die Gefahr für die Demokratie kenntlich zu machen. Die Demonstrationen sind zunächst Signale an die Gesellschaft, dass die Demokratie gefährdet ist und sie zugleich auch wehrhaft ist. Insofern appellieren sie weniger an AfD-Wählerinnen und Wähler.

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Hat es trotzdem Effekte auf AfD-Sympathisanten?

Die Signale der Demonstrationen können im besten Falle zweifelnde AfD-Sympathisanten erreichen – insbesondere jene, die glauben, die AfD wäre eine bürgerlich-konservative Partei rechts von CDU und CSU. Diejenigen, die sich selbst in der AfD als bürgerlich verstehen, können angesichts des breiten Bündnisses auf den Demonstrationen in Bedrängnis kommen, ihre harten Einstellungen aufrechtzuerhalten.

Wie bewerten Sie die Reaktionen der AfD?

Die AfD ist viel stärker gespalten als sie erscheint. Was wir sehen, sind Abwehrreaktionen des rechtsextremen Flügels der AfD. Wir sehen im Parlament auch eine stärker inszenierte Einheitlichkeit der AfD als Reaktion auf den Druck des breiten Bürgerbündnisses. Allerdings erhöhen die Demonstrationen den Druck auf stille und schweigende AfD-Sympathisanten, ihre Einstellungen zu rechtfertigen. Ich nehme an, die Demonstrationen üben mehr Druck auf AfD-Anhänger aus, als der Spitze der Partei lieb ist und sie zugeben mag.

Der rechtsextreme Flügel wird sich vielleicht noch weiter radikalisieren. Er wird die völkischen Heilsbilder hochfahren und noch mehr als Ausweg aus den Krisen verbreiten. Die trumpähnlichen Äußerungen des AfD-Politikers Björn Höcke, dass es Demonstrationen von Nazis seien, zeigen, wie ideologisiert sich die Extremisten von der Realität wegbewegen.

Können diese Proteste nachhaltige Wirkung haben?

Die Lichterketten in den 1990er Jahren hatten Wirkungen. Sie haben demokratische und zivilgesellschaftliche Normen gestärkt und Druck auf Politik, Behörden und viele Institutionen ausgeübt, rassistische, menschenfeindliche und rechtsextreme Gruppen ernst zu nehmen.

Demokratie bedarf der zivilen Gesellschaft, die die Werte und Normen teilen muss. In föderalen Demokratien wie der BRD, die ständig im Konflikt um Interessen und Werte sind, ist der Konflikt um Grenzen des Extremismus wichtig. Zudem hat die deutsche Demokratie in ihrer Identität eine Verpflichtung, faschistische und nationalsozialistische Einflüsse zu bremsen oder erst gar nicht entstehen zu lassen. Daher haben wir eine Erinnerungskultur, zu der auch die Demonstrationen gehören.

Wie groß ist der Rückhalt der Proteste in der Gesellschaft?

Die Demonstrationen gelingen jetzt, weil sie in der Breite von links bis in bürgerlich-konservative Milieus an ein „Nie wieder“ erinnern können. Das ist kein Strohfeuer, sondern wir erleben eine Vergewisserung der Demokratie. Das ist auch deshalb bedeutsam, weil sie trotz aller Differenzen um Vielfalt und Migration zustande kommt. Dass die Kirchen, Richter und die Unternehmen, die länger still waren, die Proteste begleiten und unterstützen, zeigt, dass es kein Strohfeuer ist. Dies ist der Versuch, die Brandmauer, die in Teilen und vor allem im Osten, wo der Rechtspopulismus und Rechtsextremismus weit in gesellschaftlich relevante Institutionen eingedrungen ist, zu kitten.

Sind die extremistischen Äußerungen der AfD vorher nicht ernst genug genommen worden?

Lange Zeit haben Politik und Zivilgesellschaft die Gefahr gesehen. In unserer repräsentativen Mitte-Studie vor drei Jahren haben die allermeisten Befragten auf die Frage, was die größte Bedrohung für Deutschland sei, den Rechtsextremismus und Klimawandel genannt. Allerdings sind dann immer mehr Menschen bei der Frage nach antidemokratischen Meinungen, wie sie der Rechtspopulismus und -extremismus anbieten, sowie bei Fragen nach dem Rassismus und der Menschenfeindlichkeit in eine Grauzone gewandert.

Was bedeutet das?

Sie haben angesichts der Krisen nationalistische Ideen akzeptiert und sich den einfachen Absicherungs- und Sicherheitsversprechen von ultrakonservativen Gruppen geöffnet. Zugleich sind aber faktisch die Hasstaten, die Wut, das verachtende und intolerante Klima immer sichtbarer angewachsen und waren kaum noch auszublenden.

Was hat die Enthüllung über das Potsdamer Geheimtreffen zum Thema „Remigration“ bewirkt?

Die Enthüllung eines großen faschistischen Planes durch das Recherchenetzwerk ‚Correctiv‘ hat zur Rückkehr zu demokratischen Grundnormen geführt. Das ist schon ein starker Schritt. Was Politik nun tun kann, ist nach Monaten des Streits, etwa um den Haushalt, wieder die Frage der Demokratieförderung und der nationalen Strategie gegen Extremismus und Radikalisierungen ganz nach oben auf die Agenda zu setzen.

Was können Politik und Zivilgesellschaft tun, um die Ideologie der AfD zurückzudrängen?

Die DAX-Unternehmen, die das Bürgerbündnis der Demonstrationen jetzt so klar unterstützen wie nie zuvor, setzen den richtigen Akzent. Sie betonen, dass die Gesellschaft inklusiver sein kann, um sich weiterzuentwickeln. Völkisch nostalgische Pläne nationaler Ökonomien und Kulturen sind eine Bremse der Entwicklung und eine Gefahr für liberale Demokratien.

Die Demonstrationen machen klar, dass es neue Bilder dazu braucht, welche Demokratie für die nächsten Generationen zu entwickeln ist. Krisen bedingen, dass Gesellschaften in Krisenbewältigung verharren. Das reicht aber nicht aus. Am besten kommen Gesellschaften aus Krisen, wenn sie wissen, wo sie hinwollen. Das macht den kurzfristigen Zauber des Nationalismus aus und erklärt den Aufstieg des Populismus. Der Blick in populistisch geführte Länder zeigt aber, wie wackelig diese Gesellschaften sind und wie abhängig von starken anderen.

Wie schätzen Sie ein Verbot der AfD ein?

Die Demonstrationen sind ein deutliches Signal, sich mit einem möglichen Verbotsverfahren zu beschäftigen, sei es auf Bundes- oder Länderebene. Aus der Diskussion um einen rechtlichen und behördlichen Umgang mit dem Extremismus und den Demokratiegefährdungen, die von der Partei ausgehen, kommt die Politik nicht raus. Ich denke, es wird ein Prüffall. Aber angesichts der anstehenden Wahlen und der allseits angekündigten Länge solcher Verfahren, ist die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus zielführender. Es ist gut, dass sich nun auch bürgerliche und konservative Milieus für die Demonstrationen öffnen und dort zeigen. Das wirkt schneller. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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