Bezahlkarte für Geflüchtete
Eintrittskarte in die Schikane
Mit der Bezahlkarte für Asylsuchende geben Länder und Bund vor, Bürokratie abbauen und Überweisungen ins Ausland verhindern zu wollen. Vernünftig oder doch wieder ein Tritt nach unten?
Von David Galanopoulos Dienstag, 20.02.2024, 10:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 20.02.2024, 10:31 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Nun soll also eine Bezahlkarte für Asylsuchende das neueste Werkzeug zur Lösung aller migrationspolitischen Probleme sein. Mit festgelegtem Betrag auf der Karte wird es den Asylsuchenden gestattet sein, in der jeweiligen Ortschaft, in bestimmten Läden einkaufen zu können. Auch ein kleiner Bargeldbetrag soll zur Verfügung stehen. So wollen es Bund und Länder. Hamburg wird wohl die erste flächendeckende Einführung der Bezahlkarte im Sommer antreten. Spätestens im Herbst sollen dann die restlichen Bundesländer folgen. All das fasste Bundesfinanzminister Lindner (FDP) in einem Post auf X als „Meilenstein“ zusammen.
Es haben sich jedoch nicht alle auf einer einheitlichen Einführung der Bezahlkarte festgelegt. Darunter das Bundesland Bayern. Zwar will der Freistaat ebenfalls im Sommer mit einem Modellprojekt für eine Bezahlkarte in ersten Landkreisen starten, jedoch soll diese an härteren Bedingungen geknüpft sein. Dazu gehört, dass das weiterhin ausgehändigte Bargeld auf 50 Euro gekürzt werden soll, der Rest auf die Bezahlkarte übertragen wird. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) möchte mal wieder zeigen, wie sehr er die Dinge anders regelt als die Bundesregierung. Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise möchte sich zwar inhaltlich nach den Plänen von Bund und Ländern richten, jedoch deutlich schneller die Bezahlkarte einführen.
Einen Vorteil, den sich die Befürwortenden erhoffen, ist der logistische Anspruch des Geldtransports. Bisher musste das Bargeld zur jeweiligen Flüchtlingsunterkunft gebracht und es dort den Asylsuchenden schließlich ausgehändigt werden. Durch die Bezahlkarte müsste nur noch ein Teil des Bargeldes transportiert werden, was kleineren Lieferdiensten die Arbeit erleichtern soll. Da aber weiterhin ein Teil des Bargeldes geliefert wird, bleiben die formulierten Sicherheitsbedenken weiterhin bestehen. Doch selbst diese Sorgen münzen auf keinen konkreten Fällen, schon gar nicht flächendeckenden Fällen von Diebstahl.
„Ohne derartige Erkenntnisse erscheint die Einführung einer solchen Bezahlkarte als ein reflexartiger Versuch Wähler:innen der AfD auszuspannen.“
Der Wunsch nach Bürokratieabbau durch Bezahlkarten ist auch eine fragliche Angelegenheit. Allein durch die Tatsache, dass nicht alle Bundesländer bei den Plänen der Bundesregierung mitmachen bzw. eigene Bezahlkarten einführen wollen oder den Kommunen die Handhabung selbst überlassen, droht die Entstehung eines neuen Flickenteppichs in Deutschland. Und dabei hat man an anderer Stelle erst das Heilige Römische Reich deutscher Verkehrsbünde weitestgehend durch das Deutschlandticket obsolet gemacht.
Es müssen selbstverständlich die geäußerten Sorgen von Landrät:innen ernst genommen werden. Wenn einige Asylsuchende einzig und allein nach Deutschland gekommen sein sollten, um das Sozialsystem auszunutzen und Geld in die Heimat zu überweisen, muss das entsprechend adressiert werden. Es kann jedoch nicht sein, dass politische Entscheidungen, die letztendlich das ganze Land betreffen können, durch die Erfahrungsberichte einzelner Landrät:innen getroffen werden. Dafür bräuchte es zunächst eine dichtere Beweislage der Vorwürfe, die man zum Beispiel durch wissenschaftliche Studien hervorbringen könnte. Ohne derartige Erkenntnisse erscheint die Einführung einer solchen Bezahlkarte als ein reflexartiger Versuch, Wähler:innen der AfD auszuspannen.
„Man guckt einfach, was an der politischen Wand kleben bleibt, um sich hinterher damit zu rühmen, wie tough man in der Migrationspolitik doch ist.“
Man guckt einfach, was an der politischen Wand kleben bleibt, um sich hinterher damit zu rühmen, wie tough man in der Migrationspolitik doch ist. Politische Sinnhaftigkeit? Fehlanzeige. Auch weiterhin sind sog. Pull-Faktoren nicht belegt worden, sondern werden als gefühlte Wahrheiten hingenommen. Dies zeigt sich durch die Antworten der Bundesregierung, die keine konkreten Zahlen darüber liefern kann, ob eine beträchtliche Anzahl an Asylsuchenden überhaupt Rücküberweisungen in die eigene Heimat betätigt. Es ist zudem illusorisch zu glauben, dass durch die Einführung einer solchen Bezahlkarte die Fluchtzahlen stark abfallen würden. Von Krieg geflohene Menschen, die über das Mittelmeer gekommen sind, werden nicht einfach umkehren, weil ihnen die Bezahlkarte zu blöd ist.
Alternativen wurden dargelegt. So hat die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl schon im vorherigen Jahr fünf Punkte ausformuliert, wie die Bezahlkarte wirklich „diskriminierungsfrei“ werden kann. Auch der Freistaat Thüringen mit seiner rot-rot-grünen Regierung schlug Bund und Länder vor, die Bezahlkarte „diskriminierungsfrei“ zu machen. Es sollte möglich sein, sich Bargeld von dieser Karte abheben lassen zu können und auch wieder einzuzahlen. Sie soll also wie eine herkömmliche Debitkarte funktionieren.
Es hätte den Flüchtlingen einen viel größeren Vertrauensvorschuss als es die Pläne vom Bund zugesprochen. Es stelle auch keine kollektive Bestrafung dar, indem man alle Flüchtlinge in den Generalverdacht stellt, das ausgehändigte Geld weiter zu den Familien ins Ausland zu schicken. Die Bundestagsabgeordnete und Migrationsexpertin Clara Anne Bünger (Die Linke) schlug zudem vor, den Asylsuchenden ein Basiskonto einzurichten, um die veraltete Verteilung von Bargeld zu überwinden und das Geld problemlos überweisen zu können, um es flexibel zu benutzen. Offensichtlich blieben diese Ideen aber nur Ideen.
„Solche Forderungen zeugen jedoch nicht von besonnenem Agieren beim Umgang mit Asylsuchenden, sondern von einer automatischen Bestrafung und Sanktionierung.“
Nun wird die Bezahlkarte früher oder später in ganz Deutschland eingeführt werden. In Hamburg ist dies als Pilotprojekt schon geschehen. Welche Auswirkungen sie auf die Fluchtzahlen oder der Bürokratie in Deutschland haben wird, wird die Zeit zeigen. Es ist aber jetzt schon abzusehen, dass diese Karte einen hohen Einschränkungsfaktor besitzt, der sich nicht nur positiv auswirken wird, sondern auch negativ für Asylsuchende. Beschränkt auf die jeweilige Ortschaft und wiederum der beschränkten Auswahl an Läden, die diese Bezahlkarten annehmen werden, nimmt man den Asylsuchenden ein großes Stück Bewegungsfreiheit.
Weitere Einschränkungen können folgen. Die CSU bringt beispielsweise jetzt schon weitere Verschärfungen wie ein Zigaretten- und Alkoholkaufverbot ins Spiel. Solche und ähnliche Forderungen zeugen jedoch nicht von besonnenem Agieren beim Umgang mit Asylsuchenden, sondern von einer automatischen Bestrafung und Sanktionierung. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass die politische Schikane gegen Asylsuchende nicht noch weiter ausufern wird und wirklich diskriminierungsfreie Lösungen zu finden sind. Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- AfD beschließt „Remigration“ Abschiebung von „Personengruppen mit schwach…
- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Spurwechsel ermöglichen Migrationsexperte fordert Bleiberecht für arbeitende…