Behörden „langsam, langsam“
Das lange Warten ukrainischer Flüchtlinge auf Anerkennung
Zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges wollen viele Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland einen Neuanfang wagen. Doch die Hürden für einen Job oder eine Wohnung sind hoch, die Mühlen der Behörden „langsam, langsam“. Vier Geflüchtete berichten aus ihrem Leben in Germersheim.
Von Alexander Lang Dienstag, 20.02.2024, 12:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 20.02.2024, 12:23 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Iana Kalynovska will Busfahrerin werden – und endlich ankommen. „Ich mache einen Quereinstieg über das Jobcenter und bewerbe mich bei der Deutschen Bahn“, sagt die 53-jährige Ukrainerin in gutem Deutsch. Vor zwei Jahren flüchtete die studierte Tierärztin nach Deutschland, als die russischen Angreifer ihre Heimatstadt Kiew beschossen. „Ich hatte Angst“, sagt sie. Ihr Mann kämpft an der Front, ihr Sohn ist Militärarzt. Kalynovska lebt in Germersheim, besucht Sprachkurse und will nicht länger Bürgergeld beziehen. „Ich möchte Geld verdienen für mein Leben.“
Doch viele bürokratische Hürden machen es ukrainischen Kriegsflüchtlingen noch immer nicht leicht, in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen, kritisiert Olga Prigorko. Die russische Sozialarbeiterin kümmert sich im „Haus der Diakonie“ in der pfälzischen Kleinstadt am Rhein um Iana Kalynovska und andere Geflüchtete aus der Ukraine. Unter ihnen sind viele Frauen mit Kindern. Rund 1,1 Millionen Ukraine-Flüchtlinge leben derzeit in Deutschland, nach letzten offiziellen Zahlen waren es in Rheinland-Pfalz rund 48.000.
Mühlen der Behörden „langsam, langsam“
Diakonie-Mitarbeiterin Prigorko hilft bei der Suche nach einer Wohnung, Kita oder einem Sprachkurs. Sie dolmetscht und berät bei der Jobsuche. „Es kommen mindestens fünf Anfragen pro Tag.“ Am meisten fehle den Neuangekommenen die Anerkennung, wie die Sozialarbeiterin sagt – dass ihre Zeugnisse und Ausbildungsabschlüsse auch in Deutschland gelten. Viele Ukrainer seien seit dem Kriegsbeginn in ihre Heimat zurückgekehrt, sagt Prigorko. Aber viele wollten auch im Land bleiben.
Die Lehrerin und Sozialarbeiterin Olena Helman hat bereits einen Minijob bei der Lebenshilfe. Gerne würde sie als Erzieherin arbeiten. Doch „langsam, langsam“ drehten sich die Mühlen der Behörden, erzählt die Frau aus Cherson. Die erforderlichen Genehmigungen stünden noch aus. Ihr Partner Andrei Nebywailov ist Busfahrer – aber noch sind seine Deutschkenntnisse zu schlecht, als dass er hierzulande einen Bus lenken dürfte.
Stimmungsmache gegen ‚faule‘ Ukrainer
Der Krieg hat auch das Leben von Juliia Suhak auf den Kopf gestellt. Die alleinerziehende Mutter will Sozialarbeit studieren, doch die Anerkennung ihrer Dokumente hängt seit zwei Jahren in der Warteschleife. Suhak hilft anderen ukrainischen Flüchtlingen in einem Netzwerk. Sie begleitet sie zu Behörden, hat eine Telegram-Gruppe zum Informationsaustausch eingerichtet, dolmetscht für die kirchliche Flüchtlingshilfe. „Man ist nicht allein, wenn man Hilfe braucht, kann man sie bekommen“, sagt Suhak.
Sozialarbeiterin Prigorko ärgert sich über „eine Stimmungsmache in Politik und Bevölkerung gegen ‚faule‘ ukrainische Flüchtlinge“, die den Staat ausnutzten. Vieles müsse schneller gehen, damit die häufig gut ausgebildeten Fachkräfte eine Arbeit aufnehmen könnten, appelliert sie. Dabei sollten deren Kenntnisse genutzt werden – nicht alle Ukrainer könnten oder wollten etwa in der Pflege arbeiten.
Krieg wird noch lange dauern
Nur ungern sprechen die vier ukrainischen Flüchtlinge aus Germersheim über den Krieg, es schmerzt zu sehr. Ob die Ukraine dem immer stärkeren militärischen Druck Russlands standhalten könne? Zu dieser Frage wollen sie sich nicht äußern. „Es muss am Ende das Gute gewinnen“, sagt Busfahrer Nebywailov vorsichtig.
Der Krieg wird noch lange dauern, glaubt Juliia Suhak. Friedensverhandlungen mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin, der die Ukraine auslöschen wolle, seien derzeit sinnlos. „Ich möchte hier bleiben, für meine Tochter und mich ein neues Leben aufbauen“, sagt Suhak. Iana Kalynovska nickt traurig. „Ich hätte gerne, dass mein Mann und mein Sohn hierherkommen, aber das ist momentan nicht möglich.“ (epd/mig) Aktuell Panorama
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