Kein Zufall
Volksverhetzung bei Schülern – Rechtsruck und Tiktok
Schüler beklatschen Holocaust-Film, volksverhetzende Tiktok-Challenge, rassistische Gesänge in einer Ausbildungsstätte für Beamte. In Hessen laufen mehrere Ermittlungsverfahren gegen Heranwachsende, auch gegen angehende Beamte wird ermittelt. Demokratieforscher halten das nicht für Zufall.
Von Sandra Trauner Montag, 26.02.2024, 12:05 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.02.2024, 12:05 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Schüler, die bei einem Holocaust-Film klatschen, eine volksverhetzende Tiktok-Challenge, rassistische Gesänge in einer Ausbildungsstätte für Beamte – in ganz Hessen laufen Ermittlungen wegen Vorfällen dieser Art. Was sind die Gründe und was muss geschehen? Eine junge Wissenschaftlerin rät, dort anzusetzen, wo ein Teil des Problems liegt: in den sozialen Medien. Allerdings kann das auch nach hinten losgehen.
Aus verschiedenen Quellen wurde in den vergangenen Wochen über Vorfälle berichtet, die in eine ähnliche Richtung gehen. Fall eins: Sechs hessische Berufsschüler sollen bei dem Film „Die Wannseekonferenz“ die Ermordung der Juden im Nationalsozialismus beklatscht haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen mutmaßlicher Volksverhetzung.
Einzelfälle, die aber in die gleiche Richtung weisen
Fall zwei: Der Staatsschutz ermittelt gegen zwei Jugendliche wegen des Verdachts auf Volksverhetzung. Die 16-Jährigen sollen an einer Schule im Lahn-Dill-Kreis rassistische Parolen durchs Schulhaus und im Musikunterricht gerufen haben. Das Landeskriminalamt (LKA) sieht einen Zusammenhang mit einem Trend in sozialen Medien, einer sogenannten Tiktok-Challenge.
Fall drei spielt im Studienzentrum der Finanzverwaltung in Rotenburg. Bei einer Feier Ende Januar sollen auf dem Gelände der Bildungseinrichtung rassistische Gesänge angestimmt worden sein. Ermittelt wurde zunächst gegen Unbekannt. Später weitete sich der Fall aus. Gegen einen 33 Jahre alten Justizsekretär-Anwärter wird konkret wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt.
Die Gesellschaft ist sensibler geworden – aber auch „rechter“
„Es ist davon auszugehen, dass die Gesellschaft sensibler geworden ist hinsichtlich rassistischer, antisemitischer oder rechtsextremer Äußerungen und Handlungen“, sagt Tina Dürr vom Demokratiezentrum Hessen in Marburg. In Bildungseinrichtungen werde bei Vorfällen öfter interveniert, sie würden nicht mehr so einfach übersehen oder „unter den Tisch gekehrt“.
„Allerdings zeigen Einstellungsstudien, dass rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerungen zugenommen haben“, so Dürr. Forschende sprächen sogar von einer Trendumkehr: Lange Zeit sei die Zustimmung in der jungen Bevölkerung niedrig gewesen und am höchsten in älteren Generationen. „Das verschiebt sich aktuell und mag ein Grund sein, warum sich solche Fälle in Schulen und Ausbildungseinrichtungen häufen.“
„Das wichtigste Instrument sind die Lehrkräfte“
Auch Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank sieht die Vorfälle im Kontext eines gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks in Hessen: „Diese Jugendlichen halten der Gesellschaft den Spiegel vor“, sagt Mendel.
„Das wichtigste Instrument im Kampf gegen Rechtsextremismus sind die Lehrkräfte“, glaubt Mendel. Sie hätten die Aufgabe, nicht nur ihre Fächer, sondern auch „Werte und Haltung“ zu vermitteln. Dafür bräuchten sie den Rückhalt aus der Gesellschaft und so viel fachliche und pädagogische Unterstützung wie möglich.
Denn sie führten einen ungleichen Kampf: Auf Plattformen wie Tiktok würden Jugendliche mit Halbwahrheiten, Falschinformationen und Propaganda konfrontiert. „Bei den vielen Stunden, die Jugendliche mit dem Smartphone verbringen, kann man sich nur vorstellen, was das für ihre politische Sozialisation bedeutet.“
Landeskriminalamt warnt vor gezielter Einflussnahme
Auch das hessische Landeskriminalamt (LKA) warnt: „Gerade rechtsextremistische Gruppierungen nutzen die sozialen Medien, um ihre rassistischen oder fremdenfeindlichen Ideologien mit hoher Reichweite unter jungen Menschen zu verbreiten.“ Soziale Medien könnten die Tür zu Gewalt und menschenverachtenden Inhalten bis hin zur Pornografie öffnen, so das LKA.
Mit der Rolle der sozialen Medien hat sich Luise Wolff beschäftigt. Ihre Bachelorarbeit „Bildungsarbeit gegen Antisemitismus auf TikTok“im Fachbereich Soziale Arbeit der University of Applied Sciences Frankfurt wurde Anfang Februar mit dem Johanna-Kirchner-Preis der Arbeiterwohlfahrt ausgezeichnet.
„Die Relevanz von Tiktok wird unterschätzt“
„Tiktok wird als Tanz- und Spaßplattform wahrgenommen. Damit wird die Relevanz der Plattform und ihr Einfluss unterschätzt“, sagt die 26-Jährige. Jugendliche informierten sich dort zunehmend auch über das Tagesgeschehen. Klassische Medien oder Bildungseinrichtungen seien aber kaum vertreten.
Tiktok funktioniert anders als etwa Instagram oder Facebook, wo Inhalte von Konten angezeigt werden, denen man bewusst folgt. Bei Tiktok hingegen wählt ein Algorithmus aus, was man zu sehen bekommt. Das ist zum einen abhängig vom persönlichen Nutzungsverhalten – aber auch davon, was gerade generell erfolgreich ist.
Erfolgreich ist, was emotional wirkt
„Dieser Mechanismus kann begünstigen, dass extremistische oder antisemitische Inhalte sich verbreiten, ohne dass sie von Nutzenden als solche erkannt werden“, sagt Luise Wolff. Rechte Influencer verknüpfen zum Beispiel Videoschnipsel von beliebten Songs mit rechten Parolen, die mit dem Lied weitertransportiert werden. Erfolgreich ist dabei vor allem, was emotional wirkt.
Daher reiche es auch nicht aus, Falschinformationen zu korrigieren, meint Wolff. „Tiktok-Nutzende wollen nicht belehrt werden.“ Der Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus funktioniere „nicht von oben herab, sondern nur auf Augenhöhe“. „Wichtig ist, das in Tiktok selbst viel Potenzial steckt, dem entgegenzuwirken. Die Plattform bietet Möglichkeiten, eigene Bildungsformate zu entwickeln und besonders junge Menschen darüber zu erreichen.“ (dpa/mig) Aktuell Panorama
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