Arbeitspflicht-Debatte
Flüchtlinge wollen arbeiten – man lässt sie nur nicht
Die Forderung der Politik, Asylbewerber zu Arbeit zu verpflichten, suggeriert, sie wollten nicht arbeiten. Die Wahrheit ist: Asylbewerbern ist das Arbeiten gesetzlich untersagt. Menschenrechtler und Migrationsforscher warnen vor Stimmungsmache gegen Asylbewerber.
Mittwoch, 06.03.2024, 14:39 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 06.03.2024, 14:39 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Hilfsorganisation Pro Asyl hat die Diskussion um eine Arbeitspflicht für Asylbewerber scharf kritisiert. Diese sei von Vorurteilen getrieben, sagte Pro-Asyl-Referentin Andrea Kothen der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Sie verwies auf die gültige Rechtslage, wonach Flüchtlinge schon jetzt für entsprechende Arbeitseinsätze herangezogen werden können: „An den Betroffenen scheitert eine Arbeitsaufnahme nicht. Asylbewerber wollen arbeiten.“
Sie seien in ihren Unterkünften häufig zum Nichtstun verdammt, weil gesetzliche Arbeitsverbote und langwierige Erlaubnisverfahren die Aufnahme von regulärer Arbeit behinderten. Die Debatte um eine Arbeitspflicht für 80 Cent pro Stunde „setzt dem Ganzen die Krone auf“, sagte Kothen. Sie rief die Regierungen in Bund und Ländern dazu auf, Flüchtlingen den Einstieg in den regulären Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Migrationsforscher: Asylbewerber sollten sofort arbeiten dürfen
Auch der Osnabrücker Migrationsforscher Jochen Oltmer hält die Debatte um eine Arbeitspflicht für Asylbewerber für irreführend und fordert ein Recht auf Arbeit von Beginn an: „Wenn wir diese Menschen in Arbeit bringen wollen, weil wir einen Mangel an Arbeitskräften haben und gleichzeitig Sozialleistungen einsparen wollen, dann wäre es sinnvoll, ihnen vom ersten Tag an Arbeitsmöglichkeiten zu bieten“, sagte Oltmer in einem Gespräch mit dem „Evangelischen Pressedienst“.
Der Historiker an der Universität Osnabrück sieht damit zugleich die Chance, die Ziele des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes zu erfüllen. „Anstatt Fachkräfte aus dem Ausland mühsam anzuwerben, könnte man diejenigen nehmen, die schon da sind.“ Menschen, die sich im Asylverfahren befinden, könnten entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt werden und ihren Lebensunterhalt verdienen. Stattdessen werde am Arbeitsverbot für noch im Verfahren befindliche Asylbewerber festgehalten und zugleich über eine Arbeitspflicht diskutiert. „Das ist widersinnig.“
Oltmer warnt Politik vor Stimmungsmache gegen Asylbewerber
Das Recht auf Arbeit nur Menschen mit einer Bleibeperspektive zuzugestehen, hält Oltmer für unrealistisch. „Die Praxis zeigt, dass es meistens langwierig ist, festzustellen, wer bleiben darf und wer nicht.“ Die Asylverfahren dauerten lange. Es sei nicht ersichtlich, warum sich das ändern sollte. Zudem klagten viele Asylbewerber mit Erfolg gegen eine Ablehnung.
Oltmer, Professor am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), warnte die Politik zudem vor einer Stimmungsmache in der deutschen Gesellschaft gegen Asylbewerber. Die Diskussion um die Arbeitspflicht, die Einführung der Bezahlkarte und die Kürzung von Sozialleistungen veränderten den Blick auf die Asylbewerber. „Man begegnet ihnen aus der Perspektive des hemmungslosen Misstrauens. Sie gelten nicht mehr als Schutzsuchende und zukünftige Mitglieder der Gesellschaft, die auch etwas beitragen können und wollen, sondern plötzlich als potenzielle Schmarotzer.“
Der Staat tue so, als müsse er die Asylbewerber erziehen und permanent kontrollieren, „weil sie sonst angeblich kriminell werden und Sozialleistungen beziehen, die sie nicht verdienen und mit denen sie Schleuser bezahlen“. Wichtig sei aber zunächst einmal anzuerkennen, dass ein großer Teil von ihnen ohnehin in Deutschland bleiben werde. „Aus dieser Perspektive ist es besser, sie so schnell wie möglich Teil des Arbeitsmarktes und der Gesellschaft werden zu lassen.“
Sachverständigenrat rät von Arbeitspflicht für Flüchtlinge ab
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration rät auch aus rechtlichen Gründen von einer Arbeitspflicht für Flüchtlinge ab. „In Anlehnung an frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts könnte die Arbeitspflicht für Asylsuchende mit Sanktionsmöglichkeit als Eingriff in die persönliche Freiheit Einzelner verstanden werden“, erklärte der Rechtswissenschaftler Winfried Kluth, Mitglied in dem Gremium, am Dienstag in Berlin. Es sei dann fraglich, ob die Arbeitspflicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Kluth führte aus, dass das Grundgesetz vorschreibe, dass niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden dürfe. „Es gibt nur zwei Ausnahmen: eine herkömmliche allgemeine, für alle gleiche öffentliche Dienstleistungspflicht sowie Zwangsarbeit bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung“, sagte er. Beides liege nicht vor.
Experte meldet integrationspolitische Bedenken
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Hans Vorländer, macht außerdem integrationspolitische Bedenken geltend. Zwar sei es richtig, dass Beschäftigung einen wichtigen Beitrag zur Integration leiste. „Doch ob dies im Zuge einer Arbeitspflicht für Asylsuchende geschehen kann, ist sehr zweifelhaft“, sagte er. Die Arbeitsgelegenheiten würden kaum den etwaigen Qualifikationen und auch Interessen der Betroffenen entsprechen und trügen damit voraussichtlich nicht entscheidend zu einer nachhaltigen Arbeitsmarktintegration bei.
Der Saale-Orla-Kreis in Thüringen hatte die Durchsetzung einer Arbeitspflicht für Asylbewerber beschlossen. Seitdem wird diskutiert, diese Pflicht andernorts einzuführen. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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