Türkische Teestuben
Soziale Treffpunkte für türkischstämmige Männer
Türkische Teestuben sind viel mehr als ein Café, in der man etwas trinkt, sie sind soziale Treffpunkte für türkischstämmige Männer - ein Stück Heimat in deutschen Städten, wo Tee, Spiele und Fußball Erinnerungen wecken.
Mittwoch, 06.03.2024, 0:15 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 29.10.2024, 14:06 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Vor mehr als sechzig Jahren unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei das deutsch-türkische Anwerbeabkommen. Obwohl das Wirtschaftsabkommen einen zeitlich begrenzten Aufenthalt vorsah, blieben viele türkische Arbeitskräfte dauerhaft in Deutschland und integrierten Teile ihrer Kultur in die Gesellschaft. Dazu zählen auch türkische Teestuben, die sich in städtischen Räumen zu wichtigen sozialen Treffpunkten der Einwanderer entwickelt haben.
Was sind Teestuben?
Eine Teestube entspricht dem „kahvehane“ oder Kaffeehaus in der Türkei, das als eine Art Café für das soziale Miteinander von Stadt- und Dorfbewohnern funktioniert. Obwohl es kein ausgesprochenes Verbot für Frauen gibt, werden die Lokale hauptsächlich von Männern aufgesucht. Konsumiert wird hier vornehmlich schwarzer Tee, aber im Angebot sind auch türkischer Kaffee und Instantgetränke mit verschiedenen Geschmacksrichtungen. Teestuben entsprechen in der Türkei in ihrer sozialen Bedeutung den deutschen Provinzkneipen, in denen das Trinken und das gesellige Miteinander im Vordergrund stehen. Doch im Gegensatz zu Kneipen werden sie nicht nur abends, sondern zu jeder Tageszeit besucht. Hinsichtlich der Inneneinrichtung ähneln sich die Teestuben häufig: Charakteristisch sind helle Lichtverhältnisse, eine geräumige Tischverteilung mit einfachen Stühlen sowie eine verhältnismäßig kurze Theke, an der die Getränke zubereitet werden. An einer Wand hängt meist ein großer Fernseher, an dem Fußball, Nachrichten und populäre Sendungen laufen. Typisch ist weiterhin eine lockere Stimmung mit lauten Diskussionen.
In Deutschland sind die Teestuben, bedingt durch die Einwanderung der Gastarbeiter aus der Türkei, in städtischen Räumen entstanden. Der Ausschank von Getränken in Kneipen sowie die Sprachbarriere waren wichtige Ursachen für die Gründung der ersten Lokalitäten in den 1960ern und 1970ern Jahren. Mit wachsenden Einwandererzahlen nahm auch die Zahl der alternativen Treffpunkte in den 1980ern zu. Bis heute werden in den Teestuben üblicherweise gezockt, Fußball verfolgt und über die Heimat diskutiert.
Aktivitäten
Die Spielgewohnheiten in den Teestuben orientieren sich nach den Traditionen der türkischen Spielkultur. Während deutsche Spieler moderne Tischspiele ebenso schätzen wie die Klassiker Skat und Schafkopf, kennen Besucher der Teestuben diese Vielfalt nicht. Gezockt wird in erster Linie Backgammon, das schnelle Kartenspiel Pişti oder das Legespiel Okey, das mit Spielsteinen und -brettern gespielt wird. In Bezug auf die Spielaktivität hat das Internetzeitalter die Teestuben getroffen. Fast alle klassischen Spiele wurden in den 1990er und 2000er Jahren in die digitale Welt eingeführt. Heutzutage werden sie über wenige Klicks auf Webseiten gestaltet in Spiel-Format, auf speziellen Servern, über Apps oder als Minispiele in Videospielen angeboten. Vor allem die jüngeren Generationen bevorzugen die digitalisierten Klassiker, anstatt sich in Teehäusern zu treffen, wobei schnelle Slotgames und Poker genauso oft gezockt werden wie Backgammon oder Okey.
Daneben ist Fußball ein großes Thema in den Teestuben. In der Türkei ist der Ballsport ähnlich wie in Deutschland die beliebteste Sportart und Freizeitbeschäftigung. Derbys und internationale Spiele sind immer wieder ein großes Highlight. Aber auch schwächere Mannschaften und Teams aus der zweiten Liga werden mit Leidenschaft verfolgt. Die Verfolgung von Fußballspielen in Teestuben ist nicht nur eine äußerst beliebte Freizeitbeschäftigung, sondern hat auch vereinende Eigenschaften. Es werden sowohl deutsche als auch türkische Begegnungen angesehen und kommentiert. Besonders populär sind dabei Persönlichkeiten wie Mesut Özil, Lukas Podolski und Loris Karius, die im Verlauf ihrer Karriere in beiden Ländern gespielt haben.
Funktionen
In seiner Hauptfunktion sind Teestuben nach sechzig Jahren Migrationsgeschichte Lokalitäten, die ihren Besuchern ein Stück Heimat schenken. Am Anfang ihrer Gründung linderten Arbeitskräfte hier ihre Sehnsucht nach ihrem Geburtsland und ihren Verwandten. Heute schwelgen ältere Besucher in Nostalgie. Jüngere Menschen lernen hingegen türkische Traditionen und die Sprache, während sie in kleinen gewölbten Gläsern Tee trinken, Fußball schauen und Gespräche führen. Weiterhin sind Teestuben wichtige soziale Treffpunkte, in denen generationsunabhängig Freundschaften gepflegt, Wissen ausgetauscht sowie Rat und Hilfe gesucht werden. Sie bilden eine soziale Weiche zwischen der deutschen Gesellschaft und den türkischen Traditionen und geben türkischstämmigen Besuchern der Teestuben Rückhalt, der aus einer gemeinsamen Einwanderungsgeschichte stammt.
Die Teestuben haben zwischen den türkischstämmigen Bewohnern Deutschlands nichts an ihrer Aktualität verloren. Sie sind weiterhin beliebte Lokalitäten, besonders für Männer, die hier Tee trinken, spielen und Fußball schauen. Dabei erinnern sie sich an ihr Heimatland und führen ihre türkischen Traditionen weiter. (dd) Panorama
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