Streit ausgelagert
Bund und Länder ziehen Zwischenbilanz zur Asylpolitik
Ohne offenen Streit ging am Mittwoch ein Treffen von Kanzler Scholz und den Ministerpräsidenten zur Flüchtlingspolitik über die Bühne. Das Streitpotenzial wurde in Protokollerklärungen ausgelagert. Auch über das Bürgergeld für Ukraine-Geflüchtete wird vermehrt diskutiert.
Donnerstag, 07.03.2024, 10:33 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 07.03.2024, 11:19 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Regierungschefinnen und -chefs der Bundesländer haben am Mittwoch eine Zwischenbilanz zur Umsetzung ihrer im November gefassten Beschlüsse in der Flüchtlingspolitik gezogen. Man bekräftige das Ziel, „die irreguläre Migration nach Deutschland besser zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen“, heißt es in dem Beschlusspapier nach dem rund einstündigen Treffen in Berlin. Darin werden die im November vereinbarten Maßnahmen nochmals erwähnt und mit einem Zwischenfazit versehen.
Das Treffen blieb ohne großen offenen Streit. Man sei weggekommen von einem „politischen Irrweg“ mit Achselzucken und „abenteuerlichen Vorschlägen“, sagte Scholz nach dem Treffen. Tatsächlich sei es „beharrliche Arbeit“, die man miteinander machen müsse. Von diesem Kurs „sollten wir auch nicht wieder weggehen“, sagte der Kanzler. Die Zahl der Asylantragsteller gehe zurück, „aber wir machen uns da nichts vor“, sagte Scholz und versprach, weiter an Maßnahmen zu arbeiten.
In einem Punkt macht das Papier etwas mehr Druck auf den Bund: Im November war vereinbart worden, dass die Bundesregierung bis zum Sommer 2024 prüft, ob und unter welchen Bedingungen Asylanträge in Staaten außerhalb Europas bearbeitet werden könnten. Nun legt das Papier ein konkretes Datum fest: Beim nächsten Treffen der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler am 20. Juni soll das Ergebnis vorliegen.
Weiter Streit um Obergrenze
Der hessische Ministerpräsident und Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Boris Rhein (CDU) und Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) betonten am Mittwoch Geschlossenheit bei dem Thema. Er hätte vor drei Jahren „niemals gedacht“, dass das Thema Bargeldleistungen an Flüchtlinge in eine Bezahlkarte münden können, wie sie nun die Länder planen, sagte Rhein. Dies sei eine „Riesenleistung“. Weil sagte mit Blick auf die vor vier Monaten gefassten Beschlüsse, man könne nicht erwarten, dass diese „sofort den Schalter umlegen“. Im November waren die Fronten zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen SPD- und Unions-geführten Ländern bei dem Thema deutlich größer. Das Vorhaben stößt in der Fachwelt und in Teilen der Politik auf Kritik.
Das nach wie vor bestehende Konfliktpotenzial drückt sich im Beschlusspapier in Protokollerklärungen aus. Bayern und Sachsen dringen darin erneut auf eine „Integrationsgrenze“, womit eine Grenze für die Aufnahme von Flüchtlingen gemeint ist. Hessen lässt darin festhalten, dass alle Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollten, bei denen die Asylanerkennungsquote bei unter fünf Prozent liegt.
Städte- und Gemeindebund unzufrieden
Der bayerische Regierungschef Markus Söder (CSU) kritisierte die Ergebnisse des Treffens als unzureichend. „Es ist einfach zu wenig. Angesichts der tatsächlich dramatischen Lage, der dramatischen Überforderung der Kommunen, der Gemeinden und auch der Überforderung der demokratischen Stabilität bräuchte es eine echte Integrationsgrenze, eine echte Rückführungsoffensive“, sagte er in der Sendung „RTL Direkt“. Er warf der Bundesregierung vor, Länder und Kommunen in der Flüchtlingspolitik im Stich zu lassen.
Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, André Berghegger, bewertete die Beschlüsse als unzureichend. Die Kommunen hätten sich „weitere klare Schritte zur nachhaltigen Entlastung“ gewünscht, sagte er der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Er kritisierte es als „nicht nachvollziehbar“, dass sich die Ministerpräsidenten nicht darauf verständigen konnten, dem Beispiel Hessens und weiterer Bundesländer zu folgen und verbindlich festzulegen, Asylbewerber nur bei Vorliegen einer klaren Bleibeperspektive auf die Kommunen zu verteilen.
FDP: Asylleistungen statt Bürgergeld für Ukraine-Flüchtlinge
Thema ist auch die immer lauter ausgesprochene Forderung, Geflüchteten aus der Ukraine künftig nicht mehr direkt Bürgergeld zu zahlen, sondern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Stephan Thomae, hatte im Vorfeld des Bund-Länder-Treffens Sympathien für solche Forderungen signalisiert. Entsprechende Forderungen waren aus der Union gekommen, aber auch vom Deutschen Landkreistag.
Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine können in Deutschland seit Juni 2022 Leistungen der Grundsicherung (damals noch Hartz IV, heute Bürgergeld) erhalten anstelle der geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Darauf hatten sich damals Bund und Länder verständigt. Begründet wurde die Änderung unter anderem damit, dass Flüchtlinge aus der Ukraine direkt Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben und daher keine Entscheidung wie bei Asylbewerbern abwarten müssten.
„Inzwischen erkennt man, dass die im Vergleich zu anderen Aufnahmeländern niedrige Arbeitsquote der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland nicht nur mit Sprachbarrieren und auch Fragen der Kinderbetreuung zu tun haben könnte, sondern auch mit dem geringen Lohnabstand zwischen Bürgergeld mit der Wohnkostenübernahme und niedrigen Erwerbseinkommen“, erklärte Thomae. (epd/mig) Aktuell Politik
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