Anträge abgelehnt
AfD gegen Verfassungsschutz: Scharfe Töne und Kekse im Gerichtssaal
Der Verfassungsschutz sieht in der AfD einen „extremistischen Verdachtsfall“. Dagegen wehrt sich die Partei juristisch. Seit Dienstag verhandelt das Oberverwaltungsgericht Münster darüber. Für die AfD geht es um viel.
Dienstag, 12.03.2024, 14:39 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 12.03.2024, 17:29 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die AfD hat im Berufungsverfahren gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) grundsätzlich infrage gestellt, dass der Inlandsgeheimdienst für die Beurteilung der Partei eine gesetzliche Grundlage hat. „Es geht hier nicht um irgendeinen Hasenzüchterverein“, sondern um eine relativ erfolgreiche Partei, sagte ihr Anwalt, Christian Conrad, am Dienstag in der Verhandlung vor dem 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster. Die Partei von Alice Weidel und Tino Chrupalla will in dem Verfahren erreichen, dass der Verfassungsschutz seine Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall zurücknimmt.
Der Anwalt der Gegenseite führte aus, dass bei der Einstufung durch den Verfassungsschutz nicht nur strafrechtlich relevante Äußerungen berücksichtigt werden dürften. Der Maßstab sei vielmehr, ob sich diese gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richteten.
Noch bevor das OVG in die inhaltliche Auseinandersetzung einstieg, forderte der Anwalt der AfD eine Vertagung. Es sei nicht möglich gewesen, in der Kürze der Zeit auf die im Januar eingereichten rund 4.200 Seiten Dokumente und 116 Stunden Videomaterial entsprechend einzugehen, sagte er. Er forderte unter anderem Einsicht in ein neues Gutachten des Bundesamtes zur AfD. Ein Vertreter des Bundesamtes betonte vor Gericht, die neue Einschätzung der AfD durch die Behörde sei noch nicht final – „es gibt kein fertiges Gutachten“.
Vorsitzender Richter wirft AfD Rechtsmissbrauch vor
Mit Vorbehalten gegen den Senat und der Benennung zahlreicher Zeugen aus dem Verfassungsschutz füllte die AfD zu Beginn der Verhandlung mehrere Stunden. Der Vorsitzende Richter Gerald Buck warf der AfD Rechtsmissbrauch vor. Die Partei habe für ihre Vorbehalte gegen den Senat keine neuen Argumente aufgeführt, sagte er. Ihr Antrag gegen den gesamten Senat sei pauschal und offensichtlich grundlos gestellt worden. Am Vormittag mussten Beobachter zwischenzeitlich den Gerichtssaal verlassen, weil die AfD für einen bestimmten Punkt, der als nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Inhalte betraf, Medienvertreter und Zuschauer ausschließen lassen wollte. Dem folgte der Senat nicht.
Das OVG soll klären, ob das Urteil aus der Vorinstanz am Verwaltungsgericht Köln Bestand hat. Das Bundesamt (BfV) mit Sitz in Köln hatte die Partei sowie die Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Die Richter in Köln hatten diese Sicht im Jahr 2022 bestätigt. Entsprechend dürfen Partei und JA seitdem mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden.
Ethnischer Volksbegriff
Das Kölner Gericht verwies damals auf Gutachten und Materialsammlungen des Verfassungsschutzes. Auch Aktivitäten der Jugendorganisation flossen in die Bewertung ein. Sowohl im formal inzwischen aufgelösten Flügel, der einst vom Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke ins Leben gerufen worden war, als auch in der JA sei ein ethnisch verstandener Volksbegriff ein zentrales Politikziel. Danach müsse das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand erhalten und müssten „Fremde“ möglichst ausgeschlossen werden. Das stehe im Widerspruch zum Volksbegriff des Grundgesetzes. Es gebe auch Verlautbarungen, in denen “Umvolkungs“- und “Volkstod“-Vorwürfe erhoben würden.
Von der AfD-Spitze waren der frühere Bundestagsabgeordnete Roman Reusch und Bundesschatzmeister Carsten Hütter in Münster im Gericht.
Urteilstermin noch offen
Das OVG hat für Mittwoch noch einen zweiten Verhandlungstag angesetzt. Wann es ein Urteil geben wird, war bis Dienstagnachmittag zunächst noch offen. Die Klägerin stellte sich offensichtlich auf eine Marathon-Sitzung ein. Jedenfalls ließ sich das Team der AfD – auf eigene Rechnung – Kekse und Getränke in den Gerichtssaal liefern.
Der stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende, Peter Boehringer, hatte vor Beginn der Verhandlung im Deutschlandfunk auf die Frage, wie die Partei mit einer Niederlage umgehen würde, geantwortet, angesichts des Umfangs der zu klärenden Fragen wäre eine Entscheidung nach maximal zwei Tagen mündlicher Verhandlung allein schon Grund für eine Revision. Das Bundesverwaltungsgericht würde die Entscheidung des OVG allerdings lediglich auf mögliche Rechtsfehler hin prüfen. Inhaltliche Fragen spielen dort keine Rolle mehr.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, sagte in Berlin, auf die Verhandlung angesprochen: „Ich sehe das ganz gelassen. Wir gucken, was dabei rauskommt und dann gehen wir weiter unseren Weg.“
Begleitet wurde der Verhandlungsauftakt von Protesten gegen die AfD in der Innenstadt von Münster. Die Polizei hatte das Gerichtsgebäude weiträumig abgesperrt.
Kein Verbotsantrag
Um ein Parteiverbot geht es in dem Verfahren nicht. Die Bremer Regierungsfraktionen, SPD, Grüne und Linke, streben ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD an. Der Bremer Senat solle sich dafür auf Bundesebene einsetzen, teilten die Fraktionen vergangene Woche mit. Über ein Verbot kann nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden – nach einem Antrag von Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung. Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) sieht die Voraussetzungen für ein Verbot der AfD als erfüllt an.
In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hat der Verfassungsschutz den jeweiligen Landesverband als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Das gilt inzwischen auch für die JA und wurde durch das Kölner Verwaltungsgericht bestätigt. Die AfD will sich auch dagegen juristisch zur Wehr setzen. Allerdings ist dies nicht Gegenstand des Verfahrens in Münster. In aktuellen bundesweiten Wählerumfragen lag die AfD zuletzt bei etwa 18 Prozent. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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