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Die italienische Flagge © greghristov @ pixabay.com (CC0), bearb. MiG

Vor 80 Jahren

Für jeden toten Deutschen ermordeten NS-Besatzer zehn Italiener

Vor 80 Jahren verübten die deutschen NS-Besatzer eines ihrer schlimmsten Massaker auf italienischem Boden. Der Opfer wird am Ort des Verbrechens gedacht, in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom. Aber nicht nur dort.

Von Donnerstag, 21.03.2024, 10:34 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21.03.2024, 10:35 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Vor dem Haus mit der Nummer 10 in der Via Angelo Berardi im Südosten Roms ist eine quadratische Messing-Plakette in den Boden eingelassen. Das Messing glänzt noch, der darauf geschriebene Name strahlt dem Fußgänger hell entgegen. „Hier wohnte Carlo Camisotti“ steht auf dem Stolperstein, „geboren 1902, verhaftet am 14.3.1944, getötet am 24.3.1944 in den Fosse Ardeatine.“

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Etwa fünf Kilometer Luftlinie entfernt findet man Carlo Camisottis Namen erneut. Auf dem Steinsarg mit der Nummer 96, auf dem über seinem Namen auch ein Foto prangt: Das dunkle Haar auf der Seite ordentlich gescheitelt, die gestreifte Krawatte um den weißen Hemdkragen gebunden, die Lippen zu einem zarten Lächeln geformt. Camisottis Sarg im Mausoleum der Ardeatinischen Höhlen (italienisch: Fosse Ardeatine). Vor 80 Jahren haben die deutschen Besatzer hier ein grauenvolles Massaker verübt.

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Am 24. März 1944 töteten SS-Männer in den Höhlen 335 Jungen und Männer – aus Rache. Einen Tag zuvor hatten italienische Widerstandskämpfer in der Via Rasella in der Innenstadt von Rom einen Bombenanschlag verübt, bei dem 33 Mitglieder eines deutschen Besatzungstrupps getötet wurden. Als Vergeltung sollten für jeden getöteten Deutschen zehn Italiener hingerichtet werden, am Ende wurden es sogar 335. Aus Gefängnissen wurden politische Gefangene – Partisanen, Kommunisten, Antifaschisten – geholt. Hinzu kamen 75 Juden, die eigentlich in Vernichtungslager deportiert werden sollten.

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Jahrzehnte unentdeckt in Argentinien gelebt

Organisiert wurde das Massaker von SS-Kommandant Herbert Kappler und SS-Hauptsturmführer Erich Priebke. Kappler wurde später in Rom zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 15. August 1977 gelang ihm mithilfe seiner Frau die Flucht nach Deutschland. Der „Henker von Rom“ starb ein halbes Jahr später im niedersächsischen Soltau an Krebs.

Priebke wurde erst 1998 in Rom verurteilt. Er hatte Jahrzehnte lang unentdeckt in Argentinien gelebt. Trotz Verurteilung musste er nie ins Gefängnis, sein Gesundheitszustand verhalf ihm zum gelockerten Hausarrest. 2013 starb er im Alter von 100 Jahren. Reue zeigte er nie.

Nur wenige Gehminuten entfernt von dem Haus, in dem Carlo Camisotti lebte, stolpert man erneut. Vor einem Hoftor in der Via Capua 54 erinnert eine weitere Messing-Plakette im Boden an eines der Opfer des Massakers: Paolo Angelini. Er und Camisotti gehörten zu einer Gruppierung der Kommunistischen Partei, die im damaligen 8. Bezirk von Rom operierte, einer Hochburg der Partisanen, die gegen die deutschen Besatzer kämpften. Auf der Scheibe finden sich dieselben Daten, wie auf jener, die an Camisotti erinnert: „verhaftet am 14.3.1944, getötet am 24.3.1944 in den Fosse Ardeatine.“ Sein Steinsarg im Mausoleum der Ardeatinischen Höhlen ist nur wenige Meter von dem seines Kameraden entfernt, er trägt die Nummer 140.

Durch Genickschüsse getötet

Nach der Absetzung und Festnahme des faschistischen Diktators Benito Mussolini durch König Viktor Emmanuel III. hatte Italien im Zweiten Weltkrieg die Seiten gewechselt. Die deutsche Wehrmacht besetzte das Land daraufhin von September 1943 bis zur Kapitulation in Norditalien am 2. Mai 1945. Der 8. Bezirk von Rom, heute der 5., war für die Besatzer von enormem strategischem Interesse. Die Via Casilina, die zwischen dem Haus von Camisotti und dem von Angelini verläuft, stellte die Hauptversorgungslinie für die Front der Deutschen an der sogenannten Gustav-Linie dar, die etwa 100 Kilometer südlich von Rom verlief.

Camisotti und Angelini wurden verhaftet, während sie mit anderen auf dem Weg zu einem italienischen Offizier waren, der im Dienste der SS stand. Er war für zahlreiche Verhaftungen in ihrem 8. Bezirk verantwortlich. Das Ziel der Gruppe: ihn töten. Sie wurden erkannt, verhaftet und kamen ins Gefängnis.

Zehn Tage später zählten die beiden Männer zu jenen 335, die auf Lastwagen zu den Tuffsteinhöhlen an der Via Ardeatina gefahren wurden. In Fünfergruppen führten ihre Mörder sie in das stillgelegte Bergwerk, ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Sie mussten sich niederknien und wurden durch Genickschüsse getötet. Mehr als fünf Stunden dauerte das Grauen. Dann wurden die Höhlen gesprengt, die Getöteten darin begraben.

„Nur weil sie Italiener waren“

Kurz nach der Befreiung Roms im Juni 1944 begann man, die Leichen der Opfer auszugraben und zu identifizieren. 1949 wurde die Gedenkstätte eingeweiht.

Jedes Jahr wird dort der Getöteten gedacht. Zum 80. Jahrestag ist Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) von ihrem Amtskollegen Gennaro Sangiuliano eingeladen worden. Der parteilose Politiker steht den Fratelli d’Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nah. Die Partei ist die Nachfolgerin des Movimento Sociale Italiano (MSI), in dem sich nach dem Zweiten Weltkrieg Sympathisanten und Gefolgsleute Mussolinis versammelten.

Gerade an Tagen wie dem 24. März wird genau geschaut, wie sich die Repräsentanten der rechtsnationalen Regierungspartei äußern. 2023 erntete Meloni heftige Kritik für ihr Statement. „335 unschuldige Italiener wurden niedergemetzelt, nur weil sie Italiener waren“, sagte sie. Dass die Opfer Antifaschisten, Partisanen und Juden waren – darüber verlor sie kein Wort. (epd/mig) Aktuell Ausland Panorama

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