US-Kehrtwende
Weltsicherheitsrat fordert erstmals Waffenruhe in Gaza
Monatelang war der Weltsicherheitsrat in der Frage einer Waffenruhe im Gaza-Krieg gespalten. Die USA, Israels Schutzmacht, verhinderten bislang eine Einigung. Doch nun wechselt Washington den Kurs. Deutschland kritisiert angekündigten Siedlungsbau Israels.
Von Jürgen Bätz und Gregor Mayer Montag, 25.03.2024, 17:49 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.03.2024, 17:49 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Der internationale Druck auf Israel steigt: Mit einer völkerrechtlich bindenden Resolution hat der Weltsicherheitsrat fast sechs Monate nach Kriegsbeginn erstmals eine „sofortige Waffenruhe“ im Gazastreifen gefordert. Zudem verlangt das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen die umgehende und bedingungslose Freilassung aller von der islamistischen Hamas festgehaltenen Geiseln. Die Vetomacht USA enthielt sich bei der Abstimmung am Montag und ermöglichte damit die Annahme der Resolution. Die 14 übrigen Mitglieder des Gremiums stimmten dafür. Damit steigt der internationale Druck auf die Konfliktparteien. Es ist jedoch fraglich, ob oder inwieweit die Resolution Einfluss auf ihre Entscheidungen zum weiteren Kriegsverlauf haben wird.
Der Beschluss des Sicherheitsrats verdeutlicht die zunehmenden Spannungen zwischen Israel und den USA, dem wichtigsten diplomatischen und militärischen Verbündeten des jüdischen Staats. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu reagierte nach der Abstimmung umgehend und sagte eine geplante und – ursprünglich von der US-Seite eingeforderte – Reise einer israelischen Delegation nach Washington kurzfristig ab.
Israel sagt Reise nach Washington ab
Der Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, und der nationale Sicherheitsberater Zachi Hanegbi hätten noch am Montag in die USA fliegen sollen, um sich mit hochrangigen Regierungsvertretern zu treffen. Diese wollten den Israelis unter anderem Alternativen zu der von Israel geplanten Bodenoffensive in Rafah im Gazastreifen vorlegen. Der Plan wird von vielen Verbündeten, darunter auch Deutschland, abgelehnt. In der südlichen Stadt an der ägyptischen Grenze haben Hunderttausende Palästinenser Schutz vor den Kämpfen gesucht. Bei den Gesprächen sollte es auch um die Ausweitung der humanitären Hilfe für die Not leidende Zivilbevölkerung im Gazastreifen gehen. „Wir sind sehr enttäuscht, dass sie nicht nach Washington kommen werden“, sagte John Kirby, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, in Washington. Es gebe aber auch weitere Gesprächskanäle.
Bemühungen um eine Forderung des Weltsicherheitsrats nach einer Waffenruhe waren bislang vor allem am Widerstand der Vetomacht USA gescheitert. Seit Kriegsbeginn im Oktober vergangenen Jahres hatte Washington sich gegen eine Waffenruhe gewandt und drei Vetos gegen entsprechende Resolutionen eingesetzt.
Kehrtwende der USA
Angesichts der steigenden Zahl ziviler Opfer und einer drohenden Hungersnot in Teilen des abgeriegelten Küstenstreifens verstärkten die USA zuletzt aber auf mehreren Kanälen den Druck auf Israel. Auch US-Präsident Joe Biden äußerte sich zunehmend kritisch, etwa auch mit Blick auf Rafah. Am Freitag vollzog Washington die Kehrtwende und forderte in einer Resolution erstmals „eine sofortige und dauerhafte Waffenruhe“ im Gaza-Krieg. Doch Russland und China legten ihr Veto ein. Die Beschlussvorlage ging Moskau und Peking nicht weit genug – in ihren Augen war der Text unter anderem zu proisraelisch und stellenweise nicht ausreichend verbindlich.
Der nun angenommene knappe Resolutionstext konzentriert sich auf die Forderung nach „einer von allen Seiten respektierten sofortigen Waffenruhe für den (islamischen Fastenmonat) Ramadan“. Dies solle zu einer „dauerhaften und nachhaltigen Waffenruhe“ führen, heißt es in dem Text. Zudem fordert die Beschlussvorlage die Freilassung aller Geiseln und betont die „große Sorge angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen“. Die Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung müssten ausgebaut werden.
„Es hätte schon vor Monaten eine Waffenruhe geben können, wenn Hamas willens gewesen wäre, Geiseln freizulassen“, sagte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield. „Hamas steht einem Frieden weiter im Weg“, betonte sie. Die Botschafterin ergänzte, die USA hätten sich bei der Abstimmung über die Resolution enthalten, weil der Text keine Verurteilung der Hamas beinhalte.
Baerbock begrüßt Forderung des Weltsicherheitsrats
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock begrüßte die Forderung des Weltsicherheitsrats nach einer sofortigen Waffenruhe. Sie sei „erleichtert über die Verabschiedung der Resolution, weil es auf jeden Tag ankommt“, sagte die Grünen-Politikerin am Montag am Rande eines Besuchs in Jerusalem. Dies gelte sowohl für die hungernden Menschen in Gaza als auch für die weiterhin in der Gefangenschaft der Hamas befindlichen Geiseln. Deutschland hatte sich bei früheren Abstimmungen enthalten.
Das Auswärtige Amt hatte zuvor die Ankündigung Israels kritisiert, eine größere Fläche im Westjordanland zu israelischem Staatsland zu erklären. „Wir verurteilen die Ankündigung auf das Schärfste, über 800 Hektar Land in den Palästinensischen Gebieten als israelisches ‚Staatsland‘ zu konfiszieren. Das wäre die größte Aneignung seit über 30 Jahren“, teilte das Außenministerium in Berlin am Sonntag auf X (früher Twitter) mit. Der Siedlungsbau verletze internationales Recht und „trägt in der äußerst fragilen Lage zu weiteren Spannungen bei“.
Israelischen Medienberichten zufolge hat die Zivilverwaltung Israels 800 Hektar im Westjordanland zu Staatsland erklärt. Dies entspricht etwa einer Fläche von mehr als 1.100 Fußballfeldern. Auf dem Gebiet sollen unter anderem Hunderte Siedlerwohnungen entstehen. Die israelischen Siedlungen im Westjordanland sind nach internationalem Recht illegal.
Kritik aus Israel
Israels UN-Botschafter Gilad Erdan nannte es hingegen „eine Schande“, dass der Text der Resolution nicht die Taten der Hamas verurteile. Das Massaker der Hamas vom 7. Oktober sei für den Krieg verantwortlich. So lange sich die Hamas weigere, die Geiseln freizulassen, bleibe Israel nur das militärische Vorgehen, betonte er. Die Forderung einer bedingungslosen Waffenruhe gefährde in der Tat die Geiseln, es handle sich um eine „schändliche Resolution“.
Die Resolution war von nichtständigen Mitgliedern des UN-Gremiums eingebracht worden. Eine Resolution im Weltsicherheitsrat braucht die Stimmen von mindestens 9 der 15 Mitgliedsstaaten. Zudem darf es kein Veto der ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Frankreich oder Großbritannien geben. Beschlüsse des Sicherheitsrats sind völkerrechtlich bindend. Wenn ein betroffener Staat sie ignoriert, kann das Gremium Sanktionen verhängen – was im Falle Israels wegen der Vetomacht der USA nicht als wahrscheinlich gesehen wird.
Verhandlungen über Feuerpause gehen weiter
Der Ramadan hatte um den 10. März begonnen. Hoffnungen, es könne bis zum Beginn des Fastenmonats dank Vermittlungsbemühungen durch Katar, die USA und andere ein Abkommen der Konfliktparteien zu einer Feuerpause und der weiteren Freilassung von Geiseln geben, erfüllten sich nicht.
US-Botschafterin Thomas-Greenfield erklärte, man sei einem Abkommen nahe. Hamas müsse das aktuelle Angebot akzeptieren, forderte sie. „Eine Waffenruhe kann mit der Freilassung der ersten Geisel beginnen. Daher müssen wir jetzt Druck auf die Hamas ausüben, das auch zu tun“, sagte sie weiter.
Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1.200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. (dpa/mig) Aktuell Ausland
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