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Miriam Rosenlehner, Migazin, Portrait, Rassismus, Schriftstellerin, Buch
Miriam Rosenlehner © privat, Zeichnung: MiGAZIN

Ansichten & Aussichten

Bavarian Book*Ban

Beim bayerischen Genderverbot denken wir an Sternchen. Dabei sollten wir eher an Bücherverbote denken – und an die Macht der Sprache: Sie schließt aus, was die Gesellschaft ausschließt.

Von Mittwoch, 27.03.2024, 11:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 26.03.2024, 23:44 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Bevor ich mich an eine Kolumne setze, versuche ich mich in Recherche. Ich bin keine ausgebildete Journalistin, aber Hand und Fuß muss meine Meinung schon haben. Diesmal wälze ich deshalb die Verkündungsplattform Bayern, die Internetadresse, bei der man die neuesten Erlasse und Regelungen des Freistaats findet. Ich suche nach dem Wortlaut des bayerischen Genderverbots. Mich interessiert, wie genau das Verbot denn nun ausgestaltet ist. Die Presselandschaft spricht nur oberflächlich darüber, wer weiß denn jetzt wirklich, was erlaubt und was verboten ist und auf welcher Grundlage.

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In den Medien ist zu lesen, dass die Regelung der besseren Lesbarkeit dienen. Netter Versuch, denke ich, während ich die Verkündungsplattform runterscrolle. Die Texte hier sind völlig unlesbar, z.B. dieser: „Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Staatsvertrags über die Errichtung und den Betrieb des elektronischen Gesundheitsberuferegisters als gemeinsame Stelle der Länder zur Ausgabe elektronischer Heilberufs- und Berufsausweise sowie zur Herausgabe der Komponenten zur Authentifizierung von Leistungserbringerinstitutionen (eGBR-Staatsvertrag – eGBRStVtr)“. Sehr witzig.

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Das bringt mich auf den Gedanken, dass es bei den Sternchen gar nicht um die Lesbarkeit geht. Schließlich ist es mit der Barrierefreiheit, also der Lesbarkeit für z.B. sehbehinderte oder leseeingeschränkte Lesende auf den Internetseiten des Freistaats auch nicht weit her. Lesbarkeit ist also eher nicht der Grund für die Sternchendebatte. Das stört mein Vertrauen in meine Regierung. Lügt mein Staat mich etwa an, wenn er die Gründe für das Genderverbot nennt?

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Auf der Verkündungsplattform ist der Erlass über das Genderverbot jedenfalls nicht zu finden. Fündig wird man in der „Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern“. Mit Änderung dieser Geschäftsordnung verbot das Kabinett das Gendern mit Wortbinnenzeichen, also mit Sternchen oder Doppelpunkt.

Verbannung progressiver Inhalte und unbequemer Forschungsergebnisse

„Sprache ist nicht neutral, sie zeigt, was ist. Sie zeigt, wer mitgedacht wird und wer mitsprechen darf.“

Einige Lesende könnten jetzt vielleicht denken, dass ich die gendergerechte Sprache verteidige. Ich muss eingestehen, dass ich das nur widerwillig und aus anderen Gründen tue. Ich selbst bemühe mich mittlerweile um genderneutrale Sprache. Das bedeutet, ich schreibe heute lieber „Gesetzgebende“ statt „Gesetzgeber:innen“. Anfangs fiel es mir schwer, meine wohlklingende, alte, patriarchale Ausdrucksweise abzuändern. Ich kann also völlig verstehen, dass man eine altmodische Liebe zum Deutschen hat, das, wie jede Sprache, die gesellschaftlichen Verhältnisse der vergangenen Jahrhunderte mitabbildet. Die Sprache schließt aus, was die Gesellschaft ausschließt. Sie hat Worte für alles, was wir für besprechenswert halten und keine für das, was nicht besprochen wird und nicht besprochen werden soll. Sprache ist nicht neutral, sie zeigt, was ist. Sie zeigt, wer mitgedacht wird und wer mitsprechen darf. Insofern ist sie ein Biotop zur Erforschung der Machtverhältnisse. Trotzdem hatte ich die patriarchale Ausdrucksweise unvernünftig lieb und sehe wehmütig auf die Zeit zurück, in der frau sich keine Gedanken darüber machte. Dichten mit Doppelpunkt? Geht das? In jedem Workshop und bei jedem Auftritt musste ich mich konzentrieren, um alle anzusprechen. Leicht ging mir das Gendern nicht von der Hand. Das war mein Stand vor dem bayerischen Verbot. Verbot!! Seitdem ist es auf einmal sehr einfach geworden. Wann immer ich darf, wird jetzt gegendert.

Das inklusive Sprechen und Schreiben ist in progressiven Gesellschaftsteilen längst ein Standard geworden. Es fühlt sich nicht mehr richtig an, Menschen nicht anzusprechen oder auszulassen durch die Verwendung von altem patriarchalem Deutsch. Das genau regt ja die Gesetzgebenden auf. Wer sich im Umfeld neuer progressiver Bewegungen und deren Schriften bewegt, trifft unweigerlich auf das Sternchen oder den Doppelpunkt. In Texten über Gleichberechtigung, über Rassismus, über Gendergerechtigkeit, über Feminismus, über Antisemitismus, über neue Formen des Miteinanders, über demokratische Initiativen, überall dort wird gegendert. Nicht nur in Büchern, sondern auch in Forschungstexten. So finden sich in den Forschungstexten aus dem Zentrum der deutschen Rassismusforschung, dem nationalen Rassismusmonitor, Gendersternchen. Und hier sind wir beim eigentlichen Problem. Mich wundert, dass bisher niemand darüber schreibt. Denn das Genderverbot hat Wirkungen, über die sich das Kabinett im besten Fall keine Gedanken gemacht hat, im schlimmsten Fall aber sind genau diese Wirkungen beabsichtigt.

Im Beschluss heißt es: „Die amtliche Regelung der Rechtschreibung ist auch Grundlage des Unterrichts an den bayerischen Schulen. Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus wird die Schulen über die präzisierten Vorgaben zum Gebrauch von Gendersprache in Schule und Unterricht informieren.“ Auf dieses Schreiben bin ich sehr gespannt. Denn im Moment sieht es so aus, als würden alle Texte und Forschungen der letzten 10 Jahre, die eine Genderschreibweise verwenden, zukünftig unter Androhung dienstrechtlicher Konsequenzen als Unterrichtsgegenstand verboten werden. Wir haben also nicht etwa ein formales Verbot des Gendersternchens auf dem Tisch, sondern ein faktisches Verbot progressiver Texte und Forschung in bayerischen Schulen.

„Auf die Art wird ganz bequem neues Gedankengut aus unseren Schulen verbannt.“

Auf die Art wird ganz bequem neues Gedankengut aus unseren Schulen verbannt. Und das viel eleganter als wir das bei den Book Bans in den USA sehen. Im erzkonservativen Florida stellen Lehrkräfte öffentlicher Schulen mittlerweile heimlich Bücherboxen außerhalb der Schule auf, in denen die verbotenen Bücher stehen. Private Sommerschulen lehren nichtweiße Kinder die Geschichte von Rassismus und Widerstand wie vor 100 Jahren, als das progressive Wissen verboten war. Lehrende überall im Land werden bedroht und entlassen, wenn sie über Rassismus lehren oder Bücher nichtweißer Autoren für den Unterricht verwenden. Ein Zustand wie in einer Diktatur. Jedes Buch steht unter Verdacht und wird in mühsamen Verhandlungen einzeln verboten. Das wird bei uns in Bayern nicht nötig sein. Das Gendersternchen hat das erledigt.

Schwerwiegende Folgen für Schulen

Auch außerschulische Projekte, die bisher an Schulen kommen, etwa Demokratieprojekte oder Aufklärungsinitiativen, werden entweder ihr komplettes Material abändern müssen – was viel Geld und Zeit kosten wird – oder einfach draußen bleiben. Wie wird sich das z.B. auf die Zahl der Teenagerschwangerschaften im Freistaat auswirken?

Buchtipp:Was uns Rassismus nimmt“ von Miriam Rosenlehner, Books on Demand, erschienen am 22. Juli 2022, 368 Seiten, ISBN-10: 375626954X

Die Einschränkungen bei der Lehre in Schulen wird noch weitere Folgen haben. Während das Bildungssystem unter Lehrkräftemangel leidet, wird das Genderverbot progressive junge Menschen davon abhalten an die Schulen zu gehen. Das Schulsystem als Arbeitgeber erscheint vielen jungen Leuten ohnehin nicht mehr besonders einladend. Nun kommen noch Regeln hinzu, die das offene Klima an Schulen einschränkt.

Dabei geht es nicht so sehr um die Verwendung von Sternchen in Worten, sondern darum, was wir bereits mit der Denunziationsplattform der AfD gesehen haben. Angezeigt werden Lehrkräfte nämlich von Radikalisierten, die nur auf eine Gelegenheit warten gegen die offene Gesellschaft zu agitieren. Frau hätte sich die Rückendeckung ihrer Arbeitgebenden gewünscht, wenn die Meinungsfreiheit in Schulen unter Druck gerät. Stattdessen bringt der Freistaat ein Instrument auf den Weg, das dazu gemacht ist, Lehrkräfte einzuschüchtern.

„Das wird rechte Kräfte im Land freuen.“

Und selbst wenn die Sternchenfrage nicht so restriktiv gehandhabt werden würde, die Ankündigung von dienstrechtlichen Konsequenzen für das Verwenden eines Satzzeichens im Wort ändert das Mindset von Lehrkräften. Ganz genauso wie es bei der Denunziationsplattform der AfD der Fall war. Lehrkräfte sind keine Revoluzzer. Sie werden versuchen, sich zu schützen und sich deshalb bei der Verwendung von Texten weiter einschränken. Das wird rechte Kräfte im Land freuen.

Zudem ist die Handhabung der Sanktionen gegen widerständige Lehrkräfte ihren örtlichen Vorgesetzten überlassen. Das wird dazu führen, dass wir auf der großen Bühne gar nicht mitbekommen, wer da was genau und wie sanktioniert. Ein Freifahrtschein, um progressive Lehrkräfte zu verfolgen und kaltzustellen.

Mit der Geschäftsordnung gegen die pädagogische Freiheit

Wohlweißlich kommt das Genderverbot mit der Geschäftsordnung und nicht mit einem Gesetz, das vermutlich verfassungswidrig wäre. Auch der Kruzifixerlass wurde seinerzeit mit der Geschäftsordnung durchgesetzt. Juristischer Widerstand dagegen wurde mit dem Argument abgelehnt, dass die Geschäftsordnung kein Gesetz ist, sondern „nur“ eine interne Vorschrift. Letztlich zu unwichtig, um auf Rechtmäßigkeit geprüft zu werden. Ich bin keine Juristin, aber würde gerne einen Kommentar von Fachleuten lesen, die sich diesem Sachverhalt fundiert widmen. Ist die Geschäftsordnung wieder so eine Lücke, wie sie gerade überall auftauchen, die dazu verwendet werden können, um rechtsstaatliche Verfahrensweisen und Grundrechte zu umgehen?

Der Sternchenerlass bedroht die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte. Sie wird an unseren Schulen eigentlich hochgeschätzt. Die rechtliche Verwirklichung dieser Freiheit von Lehrkräften ist in zahlreichen Gesetzesstellen präzisiert. Das Bundesverfassungsgericht erkannte in einer Entscheidung an, dass Lehrkräfte die ihnen geeignet erscheinenden Methoden im Unterricht einsetzen sollen, ohne Eingriffe der Schulverwaltung oder des Staates. Auch die Auswahl zusätzlicher Materialien durch die Lehrkräfte, die Schwerpunktsetzung im Lehrplan, die kritische Kommentierung des Lehrplanstoffs und viele weitere Freiheiten sind in einzelnen Urteilen bestätigt. In einem Aufsatz zum Thema heißt es daher „…Der durch Vorschriften komplett ferngesteuerte Lehrer ist nicht gewollt. Als Marionette von Schulleitung und Schulverwaltung könnte er auch schwerlich seine Aufgabe erfüllen, die Schüler zu selbständigen und mündigen Bürgern zu erziehen“. Der Hamburger Jurist und Verwaltungsfachmann Beaucamp nennt in einem Text „…die Unterrichtsmethoden, der persönliche Unterrichtsstil, die Detailplanung der Unterrichtsinhalte und die Benotung“ als Mindestgebiet pädagogischer Freiheit von Lehrkräften. Wie passt das zum faktischen Ausschluss progressiver Texte durch das Verbot?

Von der Freiheit der Forschung und Lehre an unseren Universitäten möchte ich hier gar nicht anfangen. Sie genießt den Schutz von Art. 5 des Grundgesetzes. Wie soll Genderforschung nach dem Sternchenerlass möglich bleiben? Wie sollen jüngste Forschungsergebnisse mit Genderzeichen in die Lehre einfließen können? Der Genderbann ist an Universitäten noch unerträglicher als an unseren Schulen.

„Die Genderfrage ist von erzkonservativen bis reaktionär-rechten Kräften erst auf die Tagesordnung gesetzt worden. Sie werden mit den Ergebnissen des Genderverbots hochzufrieden sein.“

Insgesamt ist das Projekt Genderbann als Angriff auf Freiheiten zu werten, die wir beim harmlosen Sternchen gar nicht auf dem Schirm hatten. Wir nicht. Die AfD aber vielleicht schon. Seit Jahren schon überzieht sie Länder- und Bundesparlamente mit ihren Anträgen und Anfragen zum Gendern in Schulen. Die Genderfrage ist von erzkonservativen bis reaktionär-rechten Kräften erst auf die Tagesordnung gesetzt worden. Sie werden mit den Ergebnissen des Genderverbots hochzufrieden sein.

Disclaimer

Dieser Text ist bewusst genderneutral gehalten, um für Unterricht und Lehre verwendbar zu bleiben. Der Stern in der Überschrift erfüllt keine Genderfunktion und sollte daher auch in bayerischen Schulen legal sein. Der Genderdoppelpunkt in dem Wort „Gesetzgeber:innen“ demonstriert nur die verbotene Schreibweise, meint sie aber nicht so. Wer sich darum sorgt, möge wie früher das Tippex zücken und das Wort in der Kopiervorlage für Lernende als Leerstelle im Text stehenlassen. Eine aktivierende Lehrlernmethode, die in Klassen sicher zu Gesprächen führen wird. Meinung

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  1. Martin Stenzel sagt:

    Danke für den tollen Beitrag!
    Die Erde dreht sich weiter, das Denken ändert sich, die Sprache ändert sich – Fakten!
    Wer an Altem, Konservativem, Konformativem festhält, darf sich nicht wundern, wenn ER eines Tages ein Dinosaurier ist.
    Ich würde da mal ganz cool bleiben. Wenn wir, als Gesamtgesellschaft, uns nicht vorschreiben lassen, wie die Dinge zu laufen haben – dann haben auch die Ewiggestrigen keine Chance. Und falls das wirklich eine juristische Komponente hat, dann freue ich mich schon jetzt, Richter und Staatsanwaltschaft auf Artikel 3 des Grundgesetzes freundlich hinzuweisen. Nein – ich/wir sind nicht bereit für eine geschlossene Gesellschaft.
    Noch einmal danke für den Beitrag!