Exmatrikulation
Berlin verschärft nach Angriff auf jüdischen Studenten Hochschulgesetz
Ein Angriff auf einen jüdischen Studenten in Berlin durch einen Kommilitonen sorgte im Februar für Entsetzen. Nun zieht der Senat Konsequenzen – in rekordverdächtigem Tempo. Bei Gewalttaten soll künftig Exmatrikulation möglich sein. Kritiker sprechen von politisch motiviertem Aktionismus.
Mittwoch, 27.03.2024, 13:45 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 26.03.2024, 23:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Berliner Hochschulen sollen Studenten nach schweren Straftaten künftig wieder exmatrikulieren, also dauerhaft von der Einrichtung verbannen können. Eine entsprechende Änderung des Hochschulgesetzes beschloss der schwarz-rote Senat am Dienstag bei einer Sitzung in Neukölln. Das Vorhaben ist eine Konsequenz aus einem Angriff eines Kommilitonen auf einen jüdischen Studenten der Freien Universität vor knapp zwei Monaten. Es wird nun im Abgeordnetenhaus weiter beraten und soll dort voraussichtlich noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.
Die Möglichkeit einer Exmatrikulation war erst 2021 von Rot-Grün-Rot abgeschafft worden. Seither ist Berlin nach früheren Angaben das einzige Bundesland ohne eine solch scharfe Sanktionierung – das bisher geltende Hochschulgesetz sieht höchstens ein dreimonatiges Hausverbot vor.
Rüge, Androhung, Verbot, Exmatrikulation
Kernpunkt der Gesetzesnovelle ist nach Angaben von Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) die Wiedereinführung des Ordnungsrechts an Hochschulen. Geplant sind abgestufte Ordnungsmaßnahmen, die je nach Art und Schwere der Störung.
Dazu zählen eine Rüge, die Androhung der Exmatrikulation und ein Verbot, bestimmte Einrichtungen der Hochschule einschließlich ihrer digitalen Infrastruktur zu benutzen. Als weitere mögliche Maßnahmen werden der Ausschluss von einzelnen Lehrveranstaltungen bis zu einem Semester und schließlich die Exmatrikulation genannt.
Exmatrikulation nur bei Gewalttaten
Ziel sei, einen gewalt- und angstfreien Hochschul- und Studienbetrieb zu gewährleisten, so Czyborra. Zudem müssten Mitglieder und Angehörige der Hochschulen vor Übergriffen und Diskriminierungen geschützt werden. „Wir wollen, dass die Hochschulen sichere und diskriminierungsfreie Orte sind“, sagte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU). „Die Änderung des Hochschulgesetzes bietet dafür die besten Voraussetzungen.“
Eine Exmatrikulation soll der Senatorin zufolge nur bei Gewalttaten greifen – und zwar nach einer Verurteilung des Betroffenen durch ein Gericht. Es soll aber eine Ausnahme geben: Übt der Verdächtige nach einer ersten schweren Straftat, wegen der gegen ihn ermittelt wird und einen Exmatrikulation droht, weitere Gewalt aus, kann er laut Gesetzentwurf auch schon vor einem Urteil von der Hochschule dauerhaft verbannt werden.
Exmatrikulationen politisch motiviert?
Czyborra betonte, dass es bei dem Gesetzesvorhaben nicht darum gehe, politische Meinungsäußerungen oder andere Freiheitsrechte einzuschränken. Es gehe vielmehr darum, Meinungsfreiheit und Räume für Diskurs zu schützen. Demonstranten warnten dennoch vor dem Roten Rathaus, wo der Senat normalerweise tagt, vor „politisch motivierten Exmatrikulationen“.
Die Linke lehnt das neue Hochschulgesetz ab. „Der Senat schießt weit über das Ziel hinaus und bleibt beim Aktionismus“, erklärte der wissenschaftspolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Tobias Schulze. Das Ziel des Schutzes von Gewaltopfern werde nicht erreicht: „Eine mögliche Exmatrikulation würde erst viele Monate oder gar Jahre nach der Tat erfolgen.“ Auch die Grünen bezweifelten, dass das Gesetz effektiven und rechtssicheren Schutz vor Gewalt oder Antisemitismus bietet.
Uni-Leitung und Senatorin unter Druck
Auslöser für die Gesetzesnovelle war eine mutmaßlich antisemitisch motivierte Gewalttat Anfang Februar: Der jüdische FU-Student Lahav Shapira kam damals mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus. Ein propalästinensischer Kommilitone soll ihn auf einer Straße in Berlin-Mitte geschlagen und getreten haben. Die Staatsanwaltschaft geht von einem gezielten Angriff und einem antisemitischen Hintergrund aus.
Der Fall setzte die Leitung der FU wie auch Czyborra seinerzeit stark unter Druck. Die Senatorin sah sich mit Rücktrittsforderungen etwa des Zentralrats der Juden konfrontiert. Dieser kritisierte vor allem, dass sie zunächst keinen Anlass für eine Änderung des Berliner Hochschulgesetzes gesehen habe. Die FU belegte den mutmaßlichen Angreifer für zunächst drei Monate mit einem Hausverbot. Für ihn selbst kann die Novelle keine Anwendung finden, da Gesetze nicht rückwirkend gelten. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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