Kein demokratischer Ort
Rassismus und Diskriminierung sind in Schulen „here to stay“
Die rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen Rassismus und Diskriminierung in der Schule zu wehren, sind für Schüler und Eltern sehr dünn. Antidiskriminierungsberaterin Sylvia Amiani erklärt im Gespräch problematische Machtstrukturen im Bildungssystem, warum Schulen keine demokratischen Orte sind und was mit Tätern nicht passiert.
Von Mercedes Pascual Iglesias Mittwoch, 03.04.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 03.04.2024, 7:08 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Sie arbeiten in Düren in einer Antidiskriminierungs-Beratungsstelle. Mit welchen Erfahrungen kommen Kinder und Jugendliche oder auch Bezugspersonen zu Ihnen?
Ich erlebe Kinder, die verängstigt sind und die in der Beratung nur weinen. Ich erlebe gekränkte Eltern, die alles versuchen, um ihre Kinder vor rassistisch motivierter Gewalt in Bildungseinrichtungen zu schützen. Es bricht mir immer wieder das Herz, dass ein Kindergartenkind in diesem noch zerbrechlichen Alter mit (rassistisch) diskriminierendem Verhalten konfrontiert wird, wo es noch nicht genau erfassen kann, was das bedeutet. Bei all dem frage ich mich: Wie kommt es, dass wir uns trotz hohem Bildungsstandard und Post-Aufklärung zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch immer mit diesen Problemen beschäftigen?
Wie beurteilen Sie die bisherigen rechtlichen Möglichkeiten für Kinder und Erziehungsverantwortliche, gegen diskriminierendes Verhalten von Lehrkräften anzugehen?
„Selbst wenn ein Diskriminierungsfall bei der Schulaufsichtsbehörde landet, wird kaum ein Ergebnis erreicht.“
Die rechtlichen Möglichkeiten sind für Betroffene sehr dünn. Und meist ist der Rechtsweg auch nicht die erste Option. Je nach Fall muss man unterschiedliche Wege beschreiten. Man kann erst einmal „klein“ anfangen, zum Beispiel mit einem Gespräch. Allerdings enden diese Gespräche oft ohne Ergebnis, denn es braucht dafür die Kooperationsbereitschaft der Lehrperson und der Schulleitung. Gibt es da keine Bereitschaft, kann das für die betroffenen Eltern und Kinder deprimierend sein. Die Sprache ist außerdem ein Hindernis. Viele Eltern fühlen sich nicht ernst genommen, weil sie nicht fehlerfrei Deutsch sprechen.
Innerhalb der Schule und der Kita erlebt man oft, dass eine Lehrkraft oder eine pädagogische Fachkraft im Falle einer Diskriminierung von Kolleg:innen geschützt wird. Teamgeist und die Vermeidung von Konflikten können mögliche Ursachen dafür sein.
Selbst wenn ein Diskriminierungsfall bei der Schulaufsichtsbehörde landet, wird kaum ein Ergebnis erreicht, das kritisch mit den Machtstrukturen, Rassismus und Diskriminierung umgeht. Es hat keine Konsequenzen. So fühlt sich das diskriminierende Lehr- und Kitapersonal in seinem Verhalten bestätigt. Und ein „Weiter so“ wird damit ermöglicht und wahrscheinlich.
Was ist, wenn Mitschüler:innen rassistisch diskriminieren?
„Täter werden selten sanktioniert. Da nichts passiert, fühlen sie sich bestätigt und bestärkt.“
Sie werden selten sanktioniert. Da nichts passiert, fühlen sie sich bestätigt und bestärkt. Sie können ihre schulische Laufbahn problemlos weitermachen, beruflichen Erfolg haben, in Führungspositionen gehen und weiter (rassistisch) diskriminierend bleiben, weil niemand ihnen jemals gesagt hat, dass das, was sie tun, nicht richtig ist. Stattdessen sind es immer die Betroffenen, die Lösungen suchen müssen, zum Beispiel einen Schulwechsel vornehmen. Die Verantwortlichen können in ihren Komfortzonen bleiben.
Was kann ein erweitertes Landesantidiskriminierungsgesetz bringen, vor dem Hintergrund der aktuellen Bedingungen an Schulen?
„Schule ist bisher kein wirklich demokratischer Ort. Daran ändert auch eine Schüler:innenvertretung und ein Antirassismusarbeitskreis nichts.“
Schule ist bisher kein wirklich demokratischer Ort. Daran ändert auch eine Schüler:innenvertretung und ein Antirassismusarbeitskreis nichts. Rassismus und Diskriminierung sind „here to stay“. Wenn wir dagegen wirksam werden wollen, und wenn wir es wirklich ernst meinen, dann muss die Antidiskriminierungsarbeit mit einem umfassenden strukturellen Wandel einhergehen. Das heißt: Gesetze müssen an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts angepasst werden, inklusive Sanktionen mit abschreckender Wirkung. In den Schulaufsichtsbehörden muss es machtkritische, rassismuskritische, diskriminierungskritische Abteilungen geben.
Mit Bezug auf die Schulen muss es ebensolche Beschwerdestellen und Antidiskriminierungsberatungsstellen geben. Man muss der selbstgerechten Haltung an vielen Schulen entgegenwirken.
Wie könnte mehr echte Demokratie in der Schule aussehen? Wie kann demokratische Teilhabe in der Schule verbessert werden?
Eine echte Demokratie ist aus meiner Sicht als Antidiskriminierungsberaterin eine, die auch eine Fehlerkultur pflegt. Wo Schulmitglieder ohne Angst auf Fehler hinweisen können. Wenn Fehler gemacht worden sind, sollte man diese erkennen, anerkennen, einräumen, aufarbeiten und Veränderung verfolgen, anstatt von vornherein in Abwehr zu gehen und zu sagen, man habe damit nichts zu tun und Rassismus und Diskriminierung existieren bei uns nicht.
„Die momentane gesetzliche Lage begünstigt eine Kindeswohlgefährdung.“
Eine demokratische Schule gewährleistet, wenn dies gewünscht ist, die Beistandschaft durch externe Berater:innen oder andere Vertraute für Schüler:innen und ihre Eltern. Es kann nicht im Ermessen der Schulleitung liegen, zu entscheiden, ob ein Beistand bei Schulkonferenzen und Gesprächen mit Schulleitung und Lehrkräften zugelassen wird, besonders dann nicht, wenn es um die Verletzung der Rechte des Kindes innerhalb der Schule geht und somit um eine mögliche Kindeswohlgefährdung. Als Beraterin erlebe ich, dass sowohl Kinder als auch Eltern in solchen Situationen manchmal sehr überfordert sind und einen Beistand immens nötig haben.
Wie passt das alles zum angestrebten Schutz der Kinderrechte?
Die momentane gesetzliche Lage begünstigt eine Kindeswohlgefährdung. Die Kinderrechtskonvention, die auch Deutschland verbindlich unterschrieben hat, verlangt, dass Kinder sich frei entfalten können sollen. Wie kann ein Kind sich frei entfalten, wenn es über lange Zeit mit einer psychischen Kindeswohlgefährdung (1666 BGB) konfrontiert ist, mit Stigmatisierung als Sündenbock, mit Beleidigungen, Wutausbrüchen? Wenn es herabsetzenden Äußerungen ausgesetzt ist, die dem Kind das Gefühl vermitteln, es sei wertlos, ungewollt und nicht zugehörig? Hier hat der Staat nach § 8a SGB VIII einen Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. Dieser Schutzauftrag müsste auch beinhalten, in der Schule vor Gewalt geschützt zu sein.
Aktuell InterviewDieses Interview ist zuerst erschienen im „Vielfalt – das Bildungsmagazin“ der AWO Bezirksverband Mittelrhein e.V.
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