Alles auf eine Karte
Wie Asylbewerber im Alltag mit einer Bezahlkarte klarkommen
Statt Bargeld sollen Asylbewerber künftig Bezahlkarten erhalten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch die Konzepte dafür unterscheiden sich deutschlandweit zum Teil erheblich. In einigen Kommunen werden solche Karten bereits getestet.
Von Michael Grau Montag, 08.04.2024, 11:42 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.04.2024, 11:44 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Bevor er zur Supermarkt-Kasse geht, kramt Basel Al Refaee erst einmal einen Zettel aus der Jackentasche und checkt die Geheimnummer. Sicher ist sicher, es soll nichts schiefgehen mit seiner neuen „Social Card“ für Asylbewerber in Hannover. Dann packt der 29-jährige Syrer die Lebensmittel auf das Laufband: Tiefkühlpizza, Milch, Kaffee, Apfelsinen. Er schiebt die Prepaid-Karte ins Lesegerät, tippt die vier PIN-Ziffern ein. Es piept, es surrt, ein Kassenzettel – fertig. „Mit der Karte kann ich fast alles kaufen“, erzählt Al Refaee. Nur bei Bahntickets bereite sie manchmal Probleme.
Seit Wochen wird in ganz Deutschland heiß darüber diskutiert, ob und in welcher Form künftig Bezahlkarten wie diese an Asylsuchende ausgegeben werden sollen, statt ihnen Bargeld zu geben. Anfang April einigten sich die Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und FDP auf eine Gesetzesänderung zur Einführung einer solchen Karte. Details werden auf Länderebene beschlossen. Viele Politiker verbinden mit dem Projekt auch die Hoffnung, dass Flüchtlinge künftig kaum noch Geld aus staatlicher Unterstützung an Angehörige in ihren Herkunftsländern oder an Schlepper schicken können.
Geldkarten in Hannover schon seit Dezember
Basel Al Refaee kauft schon seit drei Monaten mit der Karte ein, denn Hannover hat sie bereits im Dezember eingeführt. Zusammen mit den Landkreisen Eichsfeld und Greiz in Thüringen gehört die Stadt zu den ersten Kommunen, die das neue System erproben. „Wir verfolgen das Ziel, geflüchteten Menschen einen diskriminierungsfreien Zugang zu bargeldloser Bezahlung zu ermöglichen“, sagt Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Inzwischen testen auch Hamburg und Magdeburg sowie Landkreise in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen eigene Karten-Systeme.
Ausgegeben werden die Karten an Asylbewerber oder an Menschen mit einer Duldung, die noch kein eigenes Bankkonto haben. Die Behörden überweisen dann die ihnen zustehenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz an Banken, die damit die Karten aufladen. Das sind bei alleinstehenden Erwachsenen zurzeit 460 Euro im Monat. Wer in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt wie Basel Al Refaee, bekommt 413 Euro.
Im Supermarkt hat Al Refaee heute 34,51 Euro ausgegeben. „Das reicht wieder für ein paar Tage“, sagt er, schiebt den Einkaufswagen zurück und schnappt sich die Tasche, in der er die Lebensmittel verstaut hat. Am Abend wird er in der Unterkunft mit anderen wieder etwas Leckeres kochen. Über sein Geld kann der Syrer mit der „Social Card“ weitgehend frei verfügen, solange sein Konto gedeckt ist. Bundesweit kann er damit überall dort zahlen, wo Kreditkarten akzeptiert werden: im Jeansladen ebenso wie im Restaurant. Und an jedem Geldautomaten kann er Bargeld abheben.
Große Unterschieden zwischen Kartensystemen
Das ist nicht in jeder Kommune so. Denn zwischen den Karten-Systemen gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede. So ist die Bargeld-Auszahlung beim bayerischen Modellversuch sowie in Magdeburg auf 50 Euro begrenzt. Hier kann die Karte auch nur in bestimmten Postleitzahl-Gebieten eingesetzt werden.
Solche Einschränkungen rufen die Kritik der Flüchtlingsräte auf den Plan. Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen etwa sieht die Freizügigkeit der Geflüchteten in Gefahr, wenn die Karte nur in einem einzigen Landkreis genutzt werden kann. Es sei ein Rückschritt, wenn durch die Hintertür wieder die sogenannte Residenzpflicht eingeführt werde. Auch Einschränkungen beim Bargeld hält Weber für problematisch: „Es gibt eine Fülle von ganz praktischen Situationen, in denen Bargeld gebraucht wird, sei es beim Kopiergeld für die Kinder in der Schule oder auf dem Flohmarkt.“
So verschieden wie die einzelnen Karten-Systeme sind auch die Motivationen der Kommunen und Landkreise. In Hannover will die Stadt in erster Linie die Verwaltung vereinfachen. Hier wurden bereits rund 240 Karten ausgegeben. Dadurch seien bereits sechs Mitarbeiter von Verwaltungsaufgaben entlastet worden, berichtet Oberbürgermeister Onay.
„Es hat alles seine positiven und negativen Seiten“
Im thüringischen Landkreis Eichsfeld hingegen geht es vor allem darum, Geflüchtete in Arbeit zu bringen. „Das Leben in Deutschland geht nur über Arbeit“, betont Landrat Werner Henning (CDU). Und wer sich selbst eine Arbeit suche, entlaste den Staat. Henning hat sich deshalb ein Bonus-System überlegt: Dabei fließen 55 Prozent der Sozialleistungen auf die Karte, die hier „Sachleistungskarte“ heißt. Die restlichen 45 Prozent, das sind 204 Euro, werden in bar ausgezahlt. Wer aber selbst etwas hinzuverdient, bekommt alles in bar. Das Echo sei positiv, sagt Henning. Allerdings seien rund 35 Personen daraufhin zurück nach Nordmazedonien gereist.
Basel Al Refaee findet es gut, Bargeld zu haben, weil er damit flexibel ist. Andererseits muss er jetzt mit der „Social Card“ nicht immer Schlange stehen wie früher bei der Geldausgabe. „Es hat alles seine positiven und negativen Seiten“, sagt er. Irritiert ist er über die Diskussion über Geldtransfers in die Herkunftsländer: „Was ist so schlimm daran, wenn man alle sechs Monate einen kleinen Betrag nach Hause schickt, wenn die Familie in Not ist?“
Solche Transfers machten aber ohnehin nur diejenigen, die schon eine Arbeit hätten, erzählt er. Und arbeiten, das will auch er so bald wie möglich. Ein Job im Restaurant, das kann er sich fürs Erste gut vorstellen. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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