Nairobi, Kenia
Fluten in Ostafrika treffen Slumbewohner und Urlauber
Graue Wolken, prasselnder Regen und eine Spur der Zerstörung: Die Regenzeit in Ostafrika fällt in diesem Jahr ungewöhnlich heftig aus. Schon jetzt gibt es Hunderte Tote. Der Klimawandel ist für die einheimischen Menschen viel mehr als nur ein Luxusproblem.
Von Eva Krafczyk Sonntag, 12.05.2024, 12:34 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.05.2024, 12:35 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Es regnet, wo es sonst oft viel zu trocken ist. Kenia hat mit schweren Überschwemmungen zu kämpfen. Landesweit kamen bisher rund 200 Menschen bei den Unwettern ums Leben, Zehntausende Familien sind obdachlos. Das Wetter hatte zudem Auswirkungen auf die Reisepläne deutscher Touristen. Doch für viele Einheimische könnte es noch schlimmer kommen: Das Innenministerium des ostafrikanischen Landes hat nun alle Menschen aufgerufen, innerhalb von 24 Stunden die Regionen der insgesamt 178 vollgelaufenen Staudämmen und Wasserreservoirs zu verlassen.
Wer nicht freiwillig gehe, werde zwangsevakuiert, hieß es. Die Behörden des ostafrikanischen Landes wollen eine weitere Tragödie wie vor wenigen Tagen nach einem Dammbruch im Rift Valley mit 50 Toten vermeiden. Auch in den Nachbarstaaten toben schwere Unwetter. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Als die Evakuierung am Donnerstag angeordnet wurde, saßen die Kenianer buchstäblich im Dunkeln – nicht nur wegen der späten Stunde, sondern auch wegen eines landesweiten Stromausfalls nach einem schweren Gewitter. Die Wassermassen verwandelten unter anderem die Mombasa Road in Nairobi, eine der wichtigsten Verkehrsadern und Straße zum Flughafen, teilweise in eine Flusslandschaft. Neue Wetter-Warnungen erreichten für Freitag die Küstenregion. Dort wurde ein – allerdings eher schwacher – Zyklon erwartet. Auch die Schulen des Landes blieben aufgrund der Krisenlage vorerst geschlossen.
Flucht aus dem Safari-Paradies
Seit vergangenem Wochenende bekommen auch Urlauber in den Safariregionen Kenias die Auswirkungen der anhaltenden Regenfälle und Gewitterstürme zu spüren. Unter ihnen waren deutsche Kenia-Urlauberin Heike Schönfeld und ihr Mann, deren Unterkunft in der Maasai Mara plötzlich unter Wasser stand. Am Donnerstag konnten sie einen Flug nach Nairobi buchen. „Hauptsache weg. Auf der Straße wäre es die nächsten Tage unmöglich“, sagte Schönfeld der Deutschen Presse-Agentur.
Der Talek-Fluss sei schon bei der Ankunft am Samstag ein reißender Fluss gewesen, so Schönfeld. „Aber es war wohl nicht absehbar, dass es sich innerhalb kürzester Zeit so schlimm entwickelt.“ Mitarbeiter des Camps und nahe gelegener Unterkünfte hätten regelmäßig den Wasserstand kontrolliert, im Dunkeln leuchteten Taschenlampen am Fluss. In der Nacht zu Sonntag musste es schnell gehen, Angestellte hätten sie durch knöchelhoch stehendes Wasser an einen höher gelegenen Punkt gebracht. Nur die Handgepäck-Rucksäcke konnten die beiden Deutschen in der Eile mitnehmen.
Die Lage direkt am Fluss, die vielen Touristen so wichtig ist, gerade während der großen Wanderung der Gnus, hat sich angesichts der schweren Regenfälle für insgesamt 14 Camps allein in der Maasai Mara als fatal erwiesen. Immerhin: Es gab dort keine Todesopfer zu beklagen. Und angesichts der wichtigen Rolle, die der Tourismus für die Wirtschaft Kenias spielt, stellten die örtlichen Behörden schnell zwei Hubschrauber bereit, um Urlauber und Camp-Mitarbeiter in Sicherheit zu bringen.
Fluten treffen vor allem die Ärmsten hart
In anderen Landesteilen liefen die Menschen an Flüssen und Staudämmen um ihr Leben. Nach Flutwellen und Erdrutschen in den städtischen Slums von Nairobi kamen zahlreiche Menschen ums Leben. Die Folgen der Unwetter trafen in besonderem Maße die Ärmsten: Denn bei den Slums handelt es sich um das, was Städteplaner informelle Siedlungen nennen – viele Gebäude sind ohne Plan gebaut, es gibt keine vernünftige Infrastruktur, viele Menschen leben auf sehr engem Raum.
Nicht nur dort wird Stadtplanung zu oft von Korruption beeinträchtigt, kritisierte der Hydrologe Sean Avery in einem am Donnerstag veröffentlichten Kommentar. Schneller Profit werde über Sicherheitsbedenken gestellt, Abflussgräben für Starkregen würden nicht instandgehalten oder von Müll verstopft.
Stark hat es auch die Flüchtlingslager von Dadaab getroffen. Laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sind dort rund 20.000 Menschen aufgrund des steigenden Wasserpegels aus ihren Unterkünften vertrieben worden. Insgesamt leben in den Lagern von Dadaab mehr als 380.000 Menschen. Viele davon stammen aus Somalia, das sie aufgrund der extremen Dürre, die das Land in den vergangenen Jahren fest im Griff hatte, verlassen mussten. Erschwerend kommt die hygienische Lage hinzu: Eingestürzte Latrinen haben in den vergangenen Tagen die Infektionsgefahr mit tödlichen, durch Wasser übertragene Krankheiten stark erhöht.
Zerstörte Infrastruktur
Dutzende Straßen sind unterbrochen, auch Bahnlinien sind beeinträchtigt. Medienberichten zufolge haben zahlreiche Firmen ihre Mitarbeiter aufgefordert, möglichst von zu Hause aus zu arbeiten oder sie lassen sie früher in den Feierabend gehen, damit sie nicht in die häufig am späten Nachmittag und frühen Abend einsetzenden Starkregenfälle geraten. Denn wenn Straßen urplötzlich unter Wasser stehen, können auch Busse und Matatus, die von vielen Pendlern benutzten Minibusse, von den Fluten mitgerissen werden.
Gerade für viele Kleinverdiener ist das Leben teurer geworden: Denn bei schlechtem Wetter erhöhen die Betreiber der Matatus die Preise. „Die Fahrt ist jeweils um 100 Schilling (69 Cent) teurer“, klagte Mary Odoto, die in einem Hotel in Nairobi als Zimmermädchen arbeitet und täglich in einen der Vororte pendelt. Aus den täglichen Fahrtkosten von 250 Schillingen seien 450 geworden – für die alleinerziehende Mutter keine Kleinigkeit.
El Niño und seine Folgen
Starker Regen während der im März beginnenden „langen Regenzeit“ ist in Ostafrika nicht ungewöhnlich. In diesem Jahr wird der unwetterartige Regen jedoch von dem Wetterphänomen El Niño verstärkt, das bereits seit dem vergangenen Oktober immer wieder untypische Regenfälle brachte und Zerstörungen anrichtete. Der Klimawandel, so vermuten Experten, hat auch das regelmäßig wiederkehrende Wetterphänomen verschärft.
Schon vor mehr als einem Jahr hatten Meteorologen auch in Ostafrika vor den Folgen von El Niño gewarnt und zu Vorbereitungen aufgerufen. Zwischen Oktober und Februar kamen nach Angaben der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes allein in Kenia fast 1.800 Menschen infolge von Überflutungen, Erdrutschen und andere Auswirkungen ums Leben. Zum Vergleich: In den vergangenen beiden Wochen gab es laut einem Sprecher der Regierung etwa 200 Hochwassertote in Kenia. In ganz Ostafrika sind es schon bald 400, wenn man offizielle Angaben addiert.
Mangelnde Vorsorge?
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisierte am Mittwoch mangelnde Vorsorge der Regierung Kenias auf das absehbare Desaster. Ostafrika und das Horn von Afrika gehören zu den Regionen, die stark von den Auswirkungen betroffen sind, mehrere Jahre hintereinander litt die Region unter schwerer Dürre. Trotz aller Expertenwarnungen und der Erfahrungen mit den Fluten im Jahr 2023 seien die Vorbereitungen auf die neuen angekündigten Fluten unzureichend und zu langsam gewesen, so HRW. Erst am 24. April – einen Monat nach Einsetzen der Regenzeit – habe die Regierung Kenias einen Krisenstab ins Leben gerufen. Oppositionspolitiker und Kirchenführer hatten zu diesem Zeitpunkt bereits vergeblich gefordert, den Katastrophenfall auszurufen. (dpa/mig) Aktuell Ausland
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