Südafrika vor der Zeitenwende
Rückhalt für ehemalige Mandela-Partei schwindet
Korruption und Misswirtschaft haben in Südafrika das Vertrauen in den seit 30 Jahren regierenden ANC, der ehemaligen Mandela-Partei, erschüttert. Rückhalt hat die ehemalige Befreiungsbewegung vor allem bei den Älteren – auch weil das Trauma der Apartheid immer noch tief sitzt.
Von Helena Kreiensiek Sonntag, 26.05.2024, 14:46 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.06.2024, 12:01 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Seit dem Ende der Apartheid war die Mandela-Partei ANC bei Wahlen in Südafrika unangefochten. Doch wenn die Bevölkerung am 29. Mai zum siebten Mal nach der Abschaffung des Systems der Rassentrennung ein neues Parlament wählt, könnte es damit vorbei sein. Korruption, Klientelismus und die schwelende Wirtschaftskrise haben der Dauerregierungspartei und ehemaligen Befreiungsbewegung ihre Glaubwürdigkeit gekostet.
Umfragen zufolge könnte der ANC („African National Congress“) zum ersten Mal seine absolute Mehrheit verlieren. Bei den ersten freien Wahlen im Jahr 1994 kam die Partei auf 62 Prozent der Stimmen. Vier Tage lang standen damals Millionen Menschen in Schlangen, um ihre Stimme abzugeben. Der Freiheitskämpfer und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela wurde der erste schwarze Präsident Südafrikas.
Jüngere fühlen sich nicht repräsentiert
30 Jahre später kämpft der ANC-Spitzenkandidat und amtierende Staatschef Cyril Ramaphosa um die Gunst der gut 27 Millionen registrierten Wählerinnen und Wähler. Dabei ist der Frust über fehlende Jobs und den Zerfall der Infrastruktur groß. Wirtschaft und Bevölkerung sind geplagt von immer längeren und häufiger werdenden Stromausfällen. Insbesondere unter Ex-Präsident Jacob Zuma, der Südafrika von 2009 bis 2018 regierte, wurden die Staatskassen systematisch geplündert. Die als „State Capture“ bezeichnete Periode erschütterte das Vertrauen in die politische Führung.
Vor allem die Generation der „Born Free“ – also jene Südafrikanerinnen und Südafrikaner, die nach dem Ende der Apartheid geboren wurden – fühlten sich nicht von den Parteien repräsentiert, erklärt die Politikwissenschaftlerin Busisiwe Thabisa Sibizo von der Universität Johannesburg. Korruption und Misswirtschaft hätten zu Politikverdrossenheit geführt. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei etwa 28 Jahren.
Weiter großer bei älteren Wählern
Doch trotz der Probleme genießt der ANC vor allem in ländlichen Gebieten und bei der älteren Generation immer noch großen Rückhalt. Dies zeigt sich etwa im Township Soweto, einem Vorort von Johannesburg. Dort patrouilliert Patricia vor dem Haus des 2021 verstorbenen Erzbischofs Desmond Tutu, der an der Seite Mandelas gegen das Apartheidsregime kämpfte. Die 52-Jährige sorgt dafür, dass Touristen, die das Haus fotografieren wollen, keine Angst vor Taschendieben haben müssen.
Die zurückhaltende Frau bittet darum, nicht mit vollem Namen genannt werden, berichtet jedoch bereitwillig, dass sie den ANC auch dieses Mal wählen wird. Dabei leidet auch sie unter der wirtschaftlichen Lage und der hohen Arbeitslosigkeit von zuletzt schätzungsweise rund 40 Prozent. Ihre vier Söhne sind arbeitslos, auch ihr Patrouillen-Job ist auf freiwilliger Basis, in der Hoffnung auf ein Trinkgeld.
Loyalität mit Befreiungsbewegung überwiegt
Doch die Loyalität mit der ehemaligen Befreiungsbewegung überwiegt. Ihre Mutter sei schwarz und ihr Vater weiß gewesen, erzählt Patricia. Eine Beziehung, die während der Apartheid verboten war, weshalb ihre Mutter den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbüßte. Patricia wuchs in einem Waisenhaus von Erzbischof Tutu auf. Das Trauma aus der Zeit des diskriminierenden Systems der Rassentrennung sitzt tief, genauso wie die Angst vor einer Rückkehr der Apartheid.
Rund 50 Parteien stehen am Mittwoch für den Einzug in die Nationalversammlung zur Wahl. Parallel dazu werden neun Provinzparlamente gewählt. In den vergangenen Monaten sind zahlreiche neue Parteien gegründet worden. Viele von ihnen seien Abspaltungen des ANC oder der größten Oppositionspartei „Democratic Alliance“, sagt Paul Kariuki, Leiter des „Democracy Development Program“, eine Organisation, die sich für die Stärkung der Demokratie in Südafrika einsetzt.
Ungewisser Wahlausgang
Eine dieser Neugründungen ist die Partei des Ex-Präsidenten und ehemaligen ANC-Mitglieds Zuma. Benannt ist sie nach dem Namen des ehemaligen bewaffneten Arms des ANC, „uMkhonto we Sizwe“. Zuma selbst darf nach einem Urteil des Verfassungsgerichts wegen einer gegen ihn erlassenen Haftstrafe nicht bei der Wahl antreten. Dennoch könnte seine Partei dem ANC in Zumas Hochburg KwaZulu-Natal die Wählerinnen und Wähler abspenstig machen.
Dennoch bleibt der Wahlausgang Kariuki zufolge ungewiss. Es lohne sich, die kleinen Parteien zu beobachten, sagt er. Denn wenn der ANC tatsächlich die absolute Mehrheit verliert, könnten diese am Ende die Königsmacher sein. (epd/mig) Aktuell Ausland
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