Thüringen
Dämpfer für Höcke-AfD bei Landratswahlen
Bei den Wahlen in Thüringen geht um Landratsämter, Rathäuser und Kommunalparlamente – doch nicht nur. Es geht auch um die Frage, ob die hohen Umfragewerte der AfD in Wahlsiege ummünzen lassen. Danach sieht es nicht aus.
Von Simone Rothe, David Hutzler und Stefan Hantzschmann Montag, 27.05.2024, 10:32 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 28.05.2024, 9:49 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die Befürchtungen waren groß, der laute Knall blieb aber aus: Die AfD von Rechtsaußen Björn Höcke hat in den Thüringer Kommunalparlamenten zwar ihre Position gestärkt, aber bei den Landrats- und Oberbürgermeisterwahlen keinen Sieg im ersten Anlauf geschafft. Stattdessen läuft es in mehreren Landkreisen auf ein Duell mit der CDU bei den Stichwahlen am 9. Juni hinaus. Auch bei den Stimmanteilen in den Kreistagen und Stadträten lieferten sich beide Parteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen. „Nach jetzigem Stand kann man der AfD keinen Durchmarsch attestieren. Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetreten“, sagte der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt.
Experten und die AfD selbst rechnen aber mit mehr Einfluss der Partei in den Kommunalvertretungen. Es könnte schwierig werden, an ihr vorbeizuregieren. Verschwindet nun die Brandmauer in den Kommunen?
Die AfD schwächelt bei ihrem Personal
Insgesamt brachte die AfD 9 ihrer 13 Landrats- und Oberbürgermeisterkandidaten in eine Stichwahl. Jedoch lag nur der AfD-Bewerber im Altenburger Land vor seinem Kontrahenten. Thüringens SPD-Landeschef Georg Maier ließ bereits durchblicken, dass seine Partei in den anstehenden Stichwahlen CDU-Bewerber unterstützen könnte. Auch bei den Wahlen zu den haupt- und ehrenamtlichen Bürgermeistern hatte die Partei keine Chance. Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sage der dpa: „Die AfD überzeugt offenbar weniger mit ihren Personen als ihren Parolen.“ Er wies darauf hin, dass selbst Höcke in Umfragen als Person unter den Werten der Partei liegt.
Thüringens AfD-Co-Chef Stefan Möller zeigte sich enttäuscht. „Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass wir da bessere Ausgangspositionen bekommen“, sagte er der dpa. Die Partei habe kein einfaches Umfeld gehabt und im „Dauerfeuer“ gestanden. Der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke sagte hingegen mit Blick auf die Skandale rund um AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl: „Die AfD hat es in der Weise vermasselt, weil sie das schlechtmöglichste Bild in den vergangenen Wochen abgegeben hat.“
Aber sie setzt sich in Kommunalparlamenten fest
Anders sieht es bei den Wahlen für die Kommunalparlamente, also Stadträte und Kreistage, aus. Hier legte die Partei deutlich zu und lag kurz vor Schluss der Auszählungen am Montagnachmittag mit landesweit 26,1 Prozent nur knapp hinter der CDU mit 27,4 Prozent. In zehn Kreisen und kreisfreien Städten wurde sie stärkste Kraft oder stand kurz davor. So erreichte sie etwa im Sonneberg, wo Robert Sesselmann AfD-Landrat ist, 34,7 Prozent.
Das hat aus Sicht von Lembcke Folgen für die Mehrheitsfindung in den Parlamenten: „Es wird noch schwerer, sie auszugrenzen, in manchen Fällen wird es gar nicht mehr funktionieren können.“ Durch diese Stärke in den kommunalen Vertretungen werde das Thema Brandmauer „faktisch immer mehr zu einer Metapher werden, die sich zum Ballast für die CDU entwickelt“. Brodocz ist der Meinung, dass das Thema Brandmauer faktisch ohnehin nur noch auf Bundes- und Landesebene gilt – „auf lokaler Ebene hat man sie vielfach aufgegeben“.
Die CDU geht gestärkt aus der Wahl, andere verlieren
Die CDU hat trotz eines Generationenwechsels ihre Stellung als kommunale Kraft gehalten. So gewannen ihre Kandidaten in Suhl und Weimar mit deutlicher Mehrheit die Oberbürgermeisterwahlen. Zudem verwies der CDU-Kandidat Andreas Horn in der Landeshauptstadt Erfurt SPD-Amtsinhaber Andreas Bausewein auf Rang zwei – die Entscheidung fällt nun in der Stichwahl. Ansonsten finden die meisten Stichwahlen zwischen CDU und AfD statt. Diese könnten als eine Art Vorspiel für das Landtagswahl-Duell zwischen CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt und Höcke interpretiert werden, so Brodocz. Bei Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) komme es darauf an, wie er seinen Amtsbonus nutzen könne. Ramelow regiert mit SPD und Grünen zusammen.
Seine Linke musste bei den Wahlen zu den Stadt- und Kreisparlamenten deutliche Verluste hinnehmen. Auch SPD, Grüne und FDP verloren zum Stand Montagnachmittag Stimmanteile in den Kommunalparlamenten. Allerdings gewann die SPD einen Landratsposten direkt und steht in drei Stichwahlen. In Jena entscheiden Grüne und FDP die Oberbürgermeisterwahl unter sich.
Starker Start für Wagenknecht-Bündnis
Politikwissenschaftler Brodocz bezeichnete den ersten Auftritt des Wagenknecht-Bündnisses BSW bei Wahlen in Thüringen als bemerkenswert. Es sei nur punktuell angetreten, habe aber Werte von sieben bis zwölf Prozent bekommen. Bei einem landesweiten Antritt bei der Landtagswahl könne das Bewegung bringen. „Das BSW kann bei der Wahl im September die größten Veränderungen bewirken.“
Nach eigenen Angaben trat das BSW bei vier Kreistagswahlen sowie mit fünf Stadtrats- und Bürgermeisterkandidaturen an. In den Landkreisen Greiz, Gotha und im Wartburgkreis holte die neue Partei aus dem Stand zweistellige Ergebnisse, im Kreis Sonneberg erreichte sie 7,6 Prozent. In Bleicherode im Landkreis Nordhausen wurde BSW-Kandidat Robert Henning zum Bürgermeister gewählt.
Aufregung um Neonazi in Landrats-Stichwahl
Für Aufregung sorgte das Abschneiden eines Neonazis bei der Landratswahl im Kreis Hildburghausen – Tommy Frenck schaffte es mit 24,9 Prozent in die Stichwahl. Dort gilt aber der Gegenkandidat Sven Gregor (42,4 Prozent) als aussichtsreich. Einen AfD-Kandidaten gab es dort nicht. Frencks Wählergemeinschaft „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ (BZH) entwickelte sich laut Verfassungsschutzbericht 2022 „zur führenden neonazistischen Gruppierung im Landkreis Hildburghausen“. Frenck wurde bundesweit bekannt, weil er eine Reihe großer Neonazi-Konzerte organisiert hatte, zu denen teils Rechtsextremisten aus mehreren europäischen Ländern anreisten.
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Irene Mihalic, hat die Frage aufgeworfen, warum Frenck als Kandidat antreten durfte. „Es ist schon erschreckend, dass ein waschechter Neonazi, der seine verfassungsfeindliche Haltung bis in die Gegenwart hinein immer wieder gezeigt hat, überhaupt zur Landratswahl zugelassen wurde“, sagte Mihalic dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Jemand mit diesen offen zur Schau gestellten Einstellungsmustern und unmissverständlichen Avancen an die NS-Zeit und deren Symbole darf doch in unserem demokratischen Rechtsstaat niemals ein so bedeutendes Amt bekleiden“, so die Grünen-Politikerin. „Ich kenne das Dossier zu Frenck ja nicht, das dem Wahlleiter des Landkreises vom Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt wurde. Aber ich hoffe inständig, dass es nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch intensiv ausgewertet wurde.“
Die Wahlbeteiligung zu den Landrats- und Oberbürgermeisterwahlen lag laut Statistischem Landesamt bei 62,9 Prozent und damit deutlich über dem Wert von 2018 (47, 1 Prozent). (dpa/mig)
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