Lohn-Dumping?
Hohe Hürden für Ukrainer auf Jobsuche
Den einen geht es nicht schnell genug, die anderen sehen beachtliche Fortschritte: Beim Erfolg der Jobintegration von Ukrainern gehen die Meinungen auseinander. Geflüchtete auf Jobsuche müssen hohe Hürden überwinden - und das gelingt eher selten.
Von Dirk Baas Dienstag, 04.06.2024, 11:31 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 04.06.2024, 11:34 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Olena K. aus Charkiw im Osten der Ukraine hat in München geschafft, was noch eher selten gelingt: Sie arbeitet seit Juli 2023 als Apothekenassistentin in der Nymphenburger Apotheke, wie das Jobcenter München nicht ohne Stolz berichtet. Die junge Frau kam zu der Stelle über eine Kooperation zwischen der Apothekenkammer und dem Jobcenter. Das Amt schickte die Bewerbungsunterlagen der in der Ukraine ausgebildeten Apothekerin an verschiedene Apotheken – mit Erfolg.
„Nach drei Vorstellungsgesprächen hat es geklappt. Ich bin dankbar für die Chance, die mir diese Kooperation bietet“, sagt Olena K. Ihr Chef Hans Michler merkt an: „Frau K. ist ein Musterbeispiel für erfolgreiche Integration, weil sie freundlich, zuverlässig und fleißig ist. Sie macht gerade den C1-Deutschkurs für die Fachsprachenprüfung bei der Bezirksregierung von Oberbayern.“ Das Jobcenter München habe die Anstellung von Anfang an sehr gut unterstützt. Stichwort „Job-Turbo“, der auf schnelle Beschäftigung setzt, ohne erst vertiefte Sprachkenntnisse zu erwerben.
Experte: Bürokratische Hürden
Im Januar 2024 hatten hierzulande rund 172.000 ukrainische Staatsbürger einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Weitere rund 44.000 Personen gingen einer geringfügigen Beschäftigung nach – bei insgesamt 1,2 Millionen Flüchtlingen aus dem von Russland überfallenen Land, von denen aber nur rund die Hälfte eine Arbeit aufnehmen könnte. Denn viele befinden sich noch in Sprachkursen oder sind Eltern mit kleinen Kindern, die betreut werden müssen.
Prinzipiell ist die Arbeitsaufnahme für ukrainische Geflüchtete mit Schutzstatus sofort möglich. Doch davor stünden einige bürokratische Hürden, schreibt der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhard in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Daraus folgten „Verzögerungen und Orientierungsschwierigkeiten“. Ein Problem: die langwierigen Anerkennungen von Berufsabschlüssen in den reglementierten Berufen. Wartezeiten bis zu anderthalb Jahren seien nicht ungewöhnlich. Beschäftigt sind Ukrainer daher oft im Niedriglohnsektor.
AWO befürchtet Lohn-Dumping
Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit München, Wilfried Hüntelmann, hält die Grundidee des Job-Turbo der Bundesagentur für Arbeit (BA) für „goldrichtig“: „Geflüchtete brauchen zunächst eine Einstiegschance, auch wenn sie die Sprache noch nicht perfekt beherrschen. Sprachkenntnisse lassen sich oft am besten im Job erwerben.“
Das sieht die Arbeiterwohlfahrt (AWO) völlig anders: Der Job-Turbo sei ein „Programm für Lohn-Dumping“. Hoch qualifizierte Menschen würden in fachfremde oder niedrig-qualifizierte Tätigkeiten vermittelt, sagt Sprecherin Jennifer Rotter. Der Job-Turbo gebe den Unternehmen die Legitimation, Praktika zu vermitteln, „die weder auf eine qualifizierte Tätigkeit hinzielen noch entsprechend vergütet werden müssen“.
DIHK beklagt viele Herausforderungen
„Der Job-Turbo setzt an genau der richtigen Stelle an, weil die Erwerbsintegration durch eine gezielte Vermittlung und passgenaue Nachqualifizierung der zugewanderten Erwerbspersonen am besten gestärkt werden kann“, sagt dagegen Wido Geis-Thöne vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) auf Anfrage. „Dennoch ist sein Erfolg sehr beschränkt.“ Denn die Jobcenter seien von Fachkräfteengpässen betroffen und könnten nur schwer optimale Unterstützungsinfrastrukturen realisieren: „Insgesamt besteht der Job-Turbo vorwiegend aus frommen Wünschen‘.“
Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer, sagte, beim Job-Turbo „stimmt die Richtung, auch weil Behörden wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und Jobcenter enger zusammenarbeiten.“ Dennoch blieben viele Herausforderungen: „Es fehlt an Kita-Plätzen, ohne die viele Ukrainerinnen nicht arbeiten können, die Anerkennung von Qualifikationen in reglementierten Berufen geht zu langsam und die Wohnraumknappheit belastet ebenfalls“, so Dercks.
Migrationsforscherin: Reinigung trotz Hochschulabschluss
Die Migrationsforscherin Yuliya Kosyakova beklagt im Gespräch: „Der deutsche Arbeitsmarkt erfordert in vielen Bereichen sehr gute Deutschkenntnisse. Ohne diese ist man oft auf niedrig qualifizierte Tätigkeiten wie Reinigungsarbeiten beschränkt, was paradox ist, weil über 70 Prozent der geflüchteten Frauen einen Hochschulabschluss haben.“ Die Wirtschaft könne definitiv mehr tun. „Eine größere Offenheit gegenüber Geflüchteten und weniger Fokus allein auf deutsche Sprachkenntnisse würden helfen“, konstatiert die Forscherin.
Bei der Integration der Ukrainer brauche es einen langen Atem: „Die Sprache müsse beherrscht werden, die Unterlagen zur Qualifikation müssen da sein, und es ist sicher auch gut, wenn Berufserfahrung nachgewiesen werden kann.“ Anders komme man in die reglementierten Berufe nicht hinein – und dort auch nicht voran. (epd/mig) Aktuell Wirtschaft
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