Regierungsbericht
Bedenken gegen Asylverfahren in anderen Ländern
Am Donnerstag beraten Bund und Länder, ob und wie Asylverfahren in Drittstaaten verlagert werden können. Nichtregierungsorganisationen lehnen das strikt ab. Auch ein Regierungsbericht formuliert vorrangig Bedenken: Ruanda- oder Albanien-Modell nicht denkbar.
Mittwoch, 19.06.2024, 16:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.06.2024, 16:20 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Vor dem Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder haben mehr als 300 Sozial- und Menschenrechtsorganisationen appelliert, die Pläne zur Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten nicht weiter zu verfolgen. Diese Pläne funktionierten in der Praxis nicht, seien „extrem teuer“ und stellten „eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit dar“, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Schreiben. Auch der für das Spitzentreffen erstellte Prüfbericht des Bundesinnenministeriums zählt vor allem Bedenken gegen die Umsetzung solcher Pläne auf. Eindeutig positioniert hat sich die Bundesregierung bislang aber nicht.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte den Bundesländern im vergangenen Jahr zugesichert zu prüfen, ob die Prüfung von Asylverfahren auch in Drittstaaten möglich ist. Das Bundesinnenministerium hatte in der Folge 24 deutsche Sachverständige sowie Experten aus anderen Ländern angehört. Am Donnerstag beraten die Regierungschefinnen und -chefs der Länder mit Scholz über das inzwischen vorliegende Zwischenergebnis.
Der 17-seitige Bericht formuliert Skepsis. Die Anhörung Sachverständiger habe erkennen lassen, dass internationales und EU-Recht eine Feststellung des Schutzstatus Geflüchteter in Dritt- und Transitstaaten „zwar nicht grundsätzlich ausschließt“, heißt es darin. Viele Sachverständige hätten sich aber „skeptisch bis kritisch“ zu den tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten geäußert.
Ruanda- oder Albanien-Modell nicht denkbar
Deutlich formuliert der Bericht etwa, dass das Bundesinnenministerium es nicht für denkbar hält, Modelle anzuwenden, wie sie zwischen Großbritannien und Ruanda sowie Italien und Albanien vereinbart worden sind. Unter den gegebenen rechtlichen und praktischen Rahmenbedingungen seien sie in dieser Form nicht auf Deutschland übertragbar. Der Bericht verweist im Fall von Ruanda beispielsweise auf Hürden durch EU-Recht, das für Großbritannien nach dem Austritt aus der Europäischen Union nicht mehr gilt. Unions- und FDP-Politiker hatten zuletzt ähnliche Modelle auch für Deutschland gefordert.
Wegen der geografischen Lage Deutschlands schließt der Bericht zudem aus, das Italien-Albanien-Modell zu kopieren. Anders als aus Seenot gerettete Schutzsuchende, die Italien nach Albanien bringen will, haben in Deutschland ankommende Flüchtlinge auch deutsches Hoheitsgebiet betreten, womit andere rechtliche Voraussetzungen gelten. Der jetzt vorliegende Bericht formuliert zudem weitere Bedenken, etwa zu den erwartet hohen Kosten, die man tragen müsste, damit Länder bereit sind, die Flüchtlinge aufzunehmen und ihre Fälle zu bearbeiten, oder sogar deutsche Asylverfahren ins Ausland zu verlagern.
Brief an Scholz
Ein eindeutiges Nein zur Verlagerung von Asylverfahren gibt es von der Bundesregierung aber bislang nicht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wolle das Thema zunächst mit den Ministerpräsidenten besprechen, sagte ein Sprecher am Mittwoch in Berlin. Gleichzeitig sagte er, dass für Faeser derzeit die Umsetzung der EU-Asylrefom Priorität habe. Zuvor hatte Faeser das italienische Vorhaben in Albanien als „interessant“ bezeichnet.
Strikt gegen die Auslagerung von Asylverfahren sind 309 Organisationen und Initiativen, darunter der Paritätische Gesamtverband, die Diakonie Deutschland, Sea-Watch und Terre des Hommes. In einem offenen Brief direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz zeigen sie sich überzeugt, dass die Auslagerung „absehbar zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen“ würde.
UNHCR meldet Skepsis an
Solche Pläne seien „unsolidarisch und menschenrechtlich bedenklich“, erklärte „Brot für die Welt“-Präsidentin Dagmar Pruin, deren Werk den Brief mit unterzeichnet hat. Zudem seien sie realitätsfremd, weil sich kein Land finden werde, das zur Aufnahme einer größeren Zahl von Flüchtlingen aus Europa bereit ist.
Klare Worte kommen auch von Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten werde die Ämter und Kommunen nicht entlasten, sie werde aber enorme Kosten verursachen und noch dazu eklatante Menschenrechtsverletzungen mit sich bringen. „Das zeigen alle bisherigen Erfahrungen mit solchen Versuchen, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies künftig anders sein könnte“, so Bünger.
Skepsis kam auch vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), dessen Vertreterin in Deutschland unter den Sachverständigen für die Anhörung im Innenministerium war. Rückführungen oder Überstellungen in sogenannte sichere Drittstaaten seien nur dann angemessen, wenn wichtige Standards erfüllt sind, erklärte das Berliner Büro auf Anfrage. Dazu gehöre, dass diese Länder die Genfer Flüchtlingskonvention und die menschenrechtlichen Verpflichtungen in vollem Umfang respektieren. (epd/mig) Leitartikel Politik
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