„Gefährliche Narrative“
Misereor-Chef: Nationalismus bedroht Entwicklungsarbeit
Nationalistische und populistische Narrative bedrohen die Entwicklungszusammenarbeit, beklagt Misereor-Chef Pirmin Spiegel. Die Diskurse würden nicht nur von AfD-, sondern auch von Unions- und FDP-Politikern bedient. Werte seien aber keine nationalen Projekte.
Von Nora Frerichmann Mittwoch, 26.06.2024, 15:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 26.06.2024, 15:23 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Der langjährige Hauptgeschäftsführer des Hilfswerks Misereor, Pirmin Spiegel, sieht die Entwicklungszusammenarbeit zunehmend durch nationalistische und populistische Narrative bedroht. Sie gerate zunehmend unter Legitimationsdruck und werde zum Teil lächerlich gemacht, etwa wenn über Radwege in Peru gespottet und gefordert werde, das Geld in Deutschland zu verwenden, sagte Spiegel dem „Evangelischen Pressedienst“ zum Ende seiner zwölfjährigen Amtszeit. Er sehe dabei das „gefährliche Narrativ“, dass die nationalen Interessen immer an erster Stelle stehen sollten. „Ein solcher Diskurs wäre vor fünf oder zehn Jahren noch nicht möglich gewesen.“
Solche Erzählweisen seien auch in der „Mitte der demokratischen Parteien angekommen“, sagte der katholische Theologe. Sie würden neben der AfD teils auch von Vertretern von CDU/CSU und FDP bedient. Doch christliche Werte wie Solidarität und Nächstenliebe seien kein lokales oder nationales Projekt, sondern immer ein globales. „Das gehört zur DNA der Entwicklungszusammenarbeit aus christlicher Perspektive“, sagte Spiegel.
Der aktuelle Legitimationsdruck sei aber auch eine Chance, zu zeigen, „wie notwendig in einer taumelnden Welt Entwicklungszusammenarbeit ist“, betonte Spiegel. Große Herausforderungen wie etwa Klimaerhitzung, Artensterben, Migrationsbewegungen und Ressourcenkonflikte könnten nur gemeinsam gelöst werden oder eben gar nicht.
„Flut an Schreckensnachrichten“
Die Kürzungen des Entwicklungsetats durch die Bundesregierung seien in diesem Jahr schon deutlich zu spüren, sagte der langjährige Misereor-Chef vor seiner offiziellen Verabschiedung in Aachen. Im Vergleich zu 2023 seien dem katholischen Hilfswerk etwa vier Millionen Euro weniger bewilligt worden. Im kommenden Jahr erwarte die Organisation noch stärkere Einschnitte. Kürzungen in dem Bereich würden besonders die Ärmsten treffen.
Neben dem Krieg in der Ukraine und in Gaza bekämen viele andere humanitäre Krisen zu wenig Aufmerksamkeit, sagte Spiegel. Ursachen dafür sehe er in den vielfältigen Unsicherheiten auch hierzulande und der Ohnmacht der Menschen angesichts einer „Flut an Schreckensnachrichten“. Er sprach sich dafür aus, Zusammenhänge und Hintergründe von Krisen stärker zu erklären und positive Aspekte wie etwa kleine Initiativen von Menschen vor Ort mehr herauszustellen.
„Shrinking spaces“
Als größte Herausforderungen für die Zukunft sehe er die „shrinking spaces“, also das Beschränken von Freiheitsräumen weltweit durch autoritative Systeme und Regierungen, erklärte Spiegel. Das treffe neben Hilfsorganisationen auch Journalisten, Menschenrechtsaktivistinnen und die Zivilgesellschaft, etwa durch Diffamierung, Ausgrenzung oder Gewaltandrohungen. Auch der Klimawandel und das Artensterben werde die Entwicklungszusammenarbeit der kommenden Jahre prägen. Die meisten Betroffenen seien nicht die Hauptverursacher des menschengemachten Klimawandels und müssten unterstützt werden.
Spiegel soll am Donnerstag als Hauptgeschäftsführer von Misereor verabschiedet werden. Als sein Nachfolger wurde der bisherige Generalvikar des Bistums Aachen, Andreas Frick, berufen. (epd/mig) Aktuell Panorama
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